Bozen – Verdammt, was hatten wir da noch mal ausgemacht? Nicht einmal fünf Tage sind seit dem monatlichen Teammeeting vergangen. Und doch will Kathrin Maier einfach nicht mehr einfallen, was das Ergebnis der Sitzung war. Sie grübelt und grübelt. Aber ihre Gehirnzellen geben einfach nichts her.
So wie ihr geht es im Berufsalltag vielen: Mails werden gelesen und deren Inhalt gleich wieder vergessen, Abmachungen mit Vorgesetzten, Kolleginnen und Kollegen getroffen, an die sich niemand mehr erinnern wird, und Texte werden bearbeitet, nur, um dann aus unserem Gedächtnis zu verschwinden. Dabei wäre die ein oder andere Information, die uns abhandenkommt, durchaus wichtig, sowohl für uns selbst als auch für die Firma. Aber unser Gedächtnis tut eben nicht immer das, was wir gerne hätten.
Unser Hirn ist kein Safe
„Unser Gehirn ist kein Speicher, in dem wir einfach etwas ablegen können“, erklärt der Neurowissenschaftler Henning Beck. Das Erinnerungsvermögen funktioniere nicht nach dem Prinzip eines Safes, in dem wir unsere Goldbarren – also Informationen – ablegen, sondern eher nach dem eines Orchesters. „So wie alle Musiker bei einem Lied zusammenspielen, verhält es sich beim Gedächtnis, wenn eine Erinnerung abgerufen wird. Unsere Nervenzellen müssen dafür kooperieren.“
„Unser Gedächtnis entscheidet, wie wir ans nächste Projekt denken: ob mit Hoffnung und Vorfreude oder Verzweiflung und Frustration.“
Damit ein Eindruck überhaupt als Erinnerung abgerufen werden kann und nicht sofort wieder verschwindet, muss er mehrere Stadien durchlaufen. „So gut wie alles, was wir erleben, wahrnehmen, sehen, hören oder riechen, hinterlässt in unserem Gehirn Spuren. Das heißt aber nicht, dass wir uns daran erinnern“, sagt der Wiener Neurobiologe, Buchautor und Führungskräftetrainer Bernd Hufnagl. An etwas langfristig erinnern können wir uns nur, wenn eine Information es in unser Langzeitgedächtnis schafft.
Dafür muss sie aber mehrere andere Regionen des Gehirns passieren: Zunächst kommt die Information – sei es ein Bruchstück eines Gesprächs mit dem Büronachbarn oder der Geschmack des Cappuccinos – für wenige Sekunden ins Ultrakurzzeitgedächtnis. Wird sie als relevant eingestuft, wird sie ans Kurzzeitgedächtnis weitergereicht und von dort schließlich ans Langzeitgedächtnis, vorausgesetzt, sie wird nicht ausselektiert. Im Langzeitgedächtnis bleibt die Erinnerung zwar nicht ewig, aber das ist schon mal ein erster Schritt.
Schlaf macht schlau
Wenn wir uns also etwas merken wollen, müssen wir schauen, dass es diese eine Information irgendwie in unser Langzeitgedächtnis schafft. Aber wie geht das? Dafür kommt eine Gehirnregion ins Spiel: der Hippocampus. „Der Hippocampus organisiert den Übergang ins Langzeitgedächtnis – und dieses Organisieren geschieht vor allem nachts, wenn wir schlafen“, so Beck. Trotzdem könne der Mensch nicht bewusst entscheiden, „das Datum des Geburtstags meines Arbeitskollegen merke ich mir“, auch wenn das ab und zu recht praktisch wäre.
„Im Prinzip merken wir uns Dinge über Assoziationen“, erklärt Gregor Staub. Als Gedächtnistrainer kennt er zahlreiche Tricks, wie sich das menschliche Hirn Dinge merken kann. „Im Grunde ist es aber so, dass eine Information eher in unserem Gedächtnis erhalten bleibt, wenn wir sie mit unserem bestehenden Netzwerk verknüpfen können.“ Wer also mehr weiß, merkt sich zusätzliche Informationen leichter.
Das bestätigt auch Henning Beck. „Im Berufsalltag heißt das, dass Informationen stets bewusst an bestehendes Wissen angeknüpft werden müssen.“ Außerdem solle man sofort versuchen, neu erworbenes Wissen oder zusätzliche Informationen anzuwenden, etwa indem mit jemandem darüber gesprochen wird, diese aufgeschrieben werden oder indem ein Problem damit gelöst wird. Im optimalen Fall greift das Gedächtnis am Tag darauf noch einmal darauf zurück. Dann stehen die Chancen gut, dass die Informationen vom menschlichen Speicher noch lange abgerufen werden können. Besonders gut stehen die Chancen auch dann, wenn uns etwas zornig macht. Oder glücklich.
Unser Gehirn steht auf Happy Ends
„Erinnerungen, die mit Emotionen verbunden werden, bleiben abrufbar“, sagt Bernd Hufnagl. Er erklärt: Wenn eine Führungskraft möchte, dass sich die Mitarbeitenden etwas merken, müsse sie versuchen, bei diesen Emotionen auszulösen. „Sie darf also nicht sagen, ,Unsere Firma muss die Umsätze steigern‘. Vielmehr muss sie erklären, dass, wenn es im Unternehmen gut läuft, sich das auch auf die Mitarbeitenden auswirkt“, so der Neurobiologe. Eine Information mit Ich-Bezug werde viel eher abgespeichert als eine ohne direktes persönliches Interesse.
Unsere Gefühle haben noch eine zweite Wirkung auf unsere Erinnerungen: „Unser Gedächtnis speichert Dinge stets mit einer bestimmten Emotionalität ab“, sagt Hufnagl. Diese stimme stark mit dem Ende eines Erlebnisses überein. „Wenn beispielsweise das Ende eines Projekts, Meetings, genauso wie das Ende eines Urlaubs, positiv abläuft, bekommt die gesamte Erinnerung einen positiven Beigeschmack.“
Umgekehrt bleibe etwas, das negativ endet, als eher negativ in Erinnerung. „In der Berufswelt sollte deshalb darauf geachtet werden, Meetings, Gespräche, Telefonate oder Projekte auf positivem Wege zu beenden, etwa mit Hoffnung, mit einem Ausblick – einfach mit einem Happy End.“ Positive Erinnerungen seien wichtig, weil sie die Grundlage dafür sind, wie wir in die Zukunft schauen. „Unser Gedächtnis entscheidet, wie wir ans nächste Projekt denken: ob mit Hoffnung und Vorfreude oder Verzweiflung und Frustration.“
Wenn das Gedächtnis Streiche spielt
Die gute Nachricht: Negative Erinnerungen können verändert werden. Die Erinnerung an ein Meeting etwa, das bis zu einem gewissen Punkt eigentlich ganz gut lief, dann aber ins Negative gekippt ist, kann auch im Nachhinein noch auf positive Weise verändert werden. „Wir müssen uns nur bewusst werden, wie wir über ein bestimmtes Erlebnis sprechen“, sagt Hufnagl.
Unser Gehirn wird ständig überarbeitet. Das heißt, jedes Mal, wenn unser Gedächtnis eine Erinnerung oder Information abruft, besteht die Möglichkeit, dass sich der Gedächtnisinhalt dadurch verändert. Das ist gut und schlecht zugleich. Gut, weil neue, ähnliche Informationen mit bestehenden verknüpft werden können und unser Wissen damit breiter wird. Auch kann der Mensch dadurch Erinnerungen, die als negativ wahrgenommen werden, mit der Zeit vergessen.
Gehirnjogging-Apps zu nutzen, hat kaum Wirkung auf die Leistungsfähigkeit des Hirns.
Schlecht ist es hingegen, weil uns unser Gehirn mit dieser Fähigkeit, sich ständig zu verändern, auch Streiche spielen kann. Etwa wenn wir felsenfest überzeugt davon sind, unserem Kollegen etwas mitgeteilt zu haben, das aber eigentlich nicht getan haben. Oder wenn wir etwas in einem Film gesehen oder in einer Geschichte erzählt bekommen haben und anschließend meinen, es selbst erlebt zu haben.
Daneben spielt das Gedächtnis auch dann Streiche, wenn der Mensch älter wird. Denn mit zunehmendem Alter verliert das Gehirn an Leistungsfähigkeit, manche Dinge werden einfach vergessen. Das ist unumgänglich. Doch es gibt einige Tricks, wie das Gedächtnis verbessert werden kann – und die gelten für jedes Alter.
Gehirnjogging nutzt nichts. Jogging an der frischen Luft hingegen schon
Eines vorweg: Gehirnjogging-Apps zu nutzen, hat kaum Wirkung auf die Leistungsfähigkeit des Hirns. Das sagt Brigitte Schrott. Als Lerncoachin beschäftigt sie sich regelmäßig mit der Frage, was das menschliche Gehirn braucht, um gute Leistungen zu erbringen. „Eigentlich sind das Faktoren, die ein gesundes Leben im Allgemeinen ausmachen“, sagt sie.
Besonders schädlich sei Stress. Eine übermäßige Anspannung wirke sich negativ auf die Konzentrationsfähigkeit aus und könne sogar dazu führen, dass die Bildung neuer Verbindungen im Gehirn unterbrochen wird
Da wäre zunächst der regelmäßige Sport. „Es ist erwiesen, dass der Hippocampus bei Menschen, die wenig Sport machen, kleiner ist als bei denen, die viel Sport machen.“ Zur Erinnerung: Der Hippocampus ist jene Region, die den Übergang der Informationen ins Langzeitgedächtnis organisiert. Ein größerer Hippocampus ist laut Brigitte Schrott gut für die Funktionsfähigkeit des Gehirns – und damit des Gedächtnisses. Wer also den Weg zur Arbeit mit dem Fahrrad bestreitet oder in der Mittagspause eine Runde joggen geht, hat schon mal gute Voraussetzungen für ein fittes Gedächtnis.
Mach mal Pause
Neben Sport benötigt das Gehirn auch Pausen. „Die Faustregel dabei ist: Auf fünf Teile Arbeit sollte ein Teil Pause folgen“, erklärt der Neurowissenschaftler Henning Beck. Daneben haben auch Hobbys, bei denen die Gedanken schweifen können, eine sehr positive Wirkung auf unser Gehirn.
Im Arbeitsalltag sei es hilfreich, Pausen einzulegen und den Blick aus dem Fenster ins Weite zu richten, sagt Schrott. „Auch Sauerstoff, gesunde Ernährung und genug Wasser zu trinken fördern die Leistungsfähigkeit unseres Gehirns.“
Besonders schädlich sei hingegen Stress. Eine übermäßige Anspannung wirke sich negativ auf die Konzentrationsfähigkeit aus und könne sogar dazu führen, dass die Bildung neuer Verbindungen im Gehirn unterbrochen wird, meint Schrott. Auch bei zu vielen Informationen blockiert das Gehirn. „Man weiß, dass die Menschen am Abend oft so überlastet sind von den Informationen des Tages, dass das Hirn neue Informationen ausselektiert und nicht mehr hineinlässt“, weiß Beck. Das bemerke man zum Beispiel dann, wenn man eine Mail lese, die Informationen aber nicht mehr richtig wahrgenommen werden. „In so einem Fall können wir eine Mail oder einen Text noch so oft lesen – der Inhalt wird nicht mehr hängen bleiben“, führt Bernd Hufnagl aus. Unser Gedächtnis sei als Speicher zwar unendlich groß – unsere Aufmerksamkeit hingegen nicht. Die ist endlich.
Dieser Artikel ist in der gedruckten SWZ mit folgendem Titel erschienen: „Wie war das noch mal?“.