Bozen/Pune – Alex Nigg ist ein Weltreisender. Wir erreichen ihn während eines zehntägigen Aufenthalts in Indien, bevor er für fünf Tage nach Kalifornien fliegt, um dann weiterzureisen nach Neuseeland. In allen drei Ländern befinden sich Standorte seines Unternehmens Properly. Dem Aufbau dieses 2014 gegründeten Unternehmens ordnet er derzeit alles unter. „Ein Startup-Unternehmen frisst dein Leben, es beansprucht jede Minute deines Tages“, sagt er. Selbst zum Kartenspielen kommt der passionierte Watter nicht mehr. Bis vor ein paar Jahren – so erzählt er – gab es in San Francisco eine nette Südtiroler Runde: „Wir haben uns fast an jedem Wochenende zum Watten und Klettern getroffen. Mittlerweile hat sich die Gruppe in alle Welt verstreut, wie es in Kalifornien halt häufig passiert.“
SWZ: Wie sehen sie Ihre alte Heimat aus der Ferne? Südtirol ist eine der reichsten Regionen Europas, die Wirtschaft boomt, es fehlt eher an Mitarbeitern denn an Arbeit – alles in Butter?
Alex Nigg: Ich komme nach wie vor regelmäßig nach Südtirol, und mich beeindruckt, wie gut sich das Land entwickelt. Ich denke dabei auch an die Universität und den NOI Techpark in Bozen. Es gibt allerdings ein Aber: Als Mitglied des Netzwerkes Südstern stelle ich fest, wie viele junge Südtiroler im Ausland Karriere machen. Südtirol sollte sich die Frage stellen, warum es so viele ambitionierte Landsleute verliert.
Gute Frage. Das Silicon Valley, wo Sie seit bald 30 Jahren arbeiten, ist ein Magnet für junge Leute. Was kann Südtirol vom Silicon Valley lernen?
Das Silicon Valley ist ungleich dynamischer – und es ist offener. Dort interessiert niemanden, wo jemand herkommt, es zählt einzig und allein, was jemand an Talent und Leistungsbereitschaft mitbringt. In Südtirol werden Menschen viel stärker schubladisiert, es zählt, wen man kennt und wo man herkommt.
Und was meinen Sie mit „dynamischer“?
Südtirol hat zwar eine sehr kompetente Unternehmerklasse, allerdings ist sie zahlenmäßig überschaubar. Im Silicon Valley hat alles ganz andere Dimensionen: mehr kompetente Unternehmer, größere Ambitionen, leichter abrufbare Finanzierungen, beeindruckendere Erfolgsgeschichten. Gerade die Sogwirkung solcher Erfolgsgeschichten darf nicht unterschätzt werden.
Inwiefern?
Der Mensch ist von Natur aus risikoscheu. Wenn ihm aber prominente Beispiele vormachen, dass es mit dem Erfolg klappen könnte, selbst wenn vieles dagegen spricht, dann fangen die Menschen an, daran zu glauben, dass sie es ebenfalls schaffen können. Da ist dann völlig egal, ob – nüchtern betrachtet – letztendlich nur eine Geschichte unter einer Million Versuchen richtig gut geht. Die wirklich großen Erfolgsgeschichten, und davon gibt es im Silicon Valley gar einige, machen Mut. Das befeuert die Ambitionen. Der Nachteil ist freilich, dass es mit dem Mut manchmal übertrieben wird und auch Exzesse finanziert werden.
Damit wären wir bei den Dingen, die sich Südtirol keinesfalls vom Silicon Valley abschauen sollte.
Groß denken muss keine Schwäche sein, vor allem dann nicht, wenn private Kapitalgeber das Risiko schultern und nicht die Mitarbeiter und Geschäftspartner. Die Risikokapitalgeber wissen, dass Sie im Falle eines Scheiterns den Preis dafür zahlen. Wenn es passiert, dann geht es für sie darum, aus unternehmerischen „Unfällen“ zu lernen und neu zu starten – denn aus Fehlern lernt man nun mal mehr als aus Erfolgen.
Das ist der vielzitierte Unterschied, wie Scheitern in den USA und in Europa gesehen wird.
In den USA gilt Scheitern als Erfahrungsschatz, aus dem man lernen kann. In Europa wird um Gescheiterte ein großer Bogen gemacht, denn sie sind ja gescheitert.
Zu einem anderen Thema: Die allermeisten Südtiroler Unternehmen sind es gewohnt, dass ihre Mitarbeiter täglich an den Arbeitsplatz kommen. Sie haben hingegen Mitarbeiter in Pune, in Wellington, in San Francisco – ist das nicht schwierig zu organisieren?
Ich ergänze: Zusätzlich zu den Mitarbeitern an unseren drei Standorten haben wir Leute, die in allen Teilen der Welt von daheim aus arbeiten – einen auch in Margreid, er war zuerst in San Francisco für uns tätig und ist dann nach Südtirol zurückgekehrt. Ich will die Schwierigkeiten, das zu organisieren, gar nicht kleinreden. Aber dank moderner Kommunikationstechnologien sind wir immer nur ein paar Sekunden voneinander entfernt. Und weil der persönliche Austausch trotz allem wichtig ist, reisen wir viel gemeinsam. Diese Art des Arbeitens hat ja auch viele Vorteile.
Erzählen Sie.
Bei uns arbeiten die Leute weitgehend zeit- und ortsunabhängig, das gefällt den Millennials. Zum Beispiel arbeitet für uns ein Brasilianer, dem schnell langweilig wird, wenn er mehrere Wochen an einem Ort bleibt. Er ist ständig auf Reisen – aber er ist einer unserer besten Mitarbeiter. Bei vielen unserer Mitarbeiter ist es wie früher auf der Walz, als Handwerker für eine längere Zeit auf Wanderschaft gingen, bevor sie sesshaft wurden. Das erweitert den Horizont ungemein. Europa hat da weniger Tradition als andere Kontinente.
Ist diese Flexibilität Ihr Trumpf im Wettbewerb um gute Mitarbeiter?
Wir können als Start-up natürlich nicht mit den großen Konzernen mithalten, wenn es um Löhne und Zusatzleistungen geht. Aber wir können diese Flexibilität bieten. Und ungleich attraktivere Perspektiven, wenn es darum geht, in einem wachsenden Unternehmen Mitverantwortung zu übernehmen, das Ergebnis der eigenen Arbeit unmittelbar zu spüren, auch mal verrückte Dinge zu probieren oder einfach von Kollegen zu lernen – unser CTO hat beispielsweise die meiste Zeit seines Berufslebens bei Microsoft und Google verbracht. Ich denke, wir sind als Arbeitgeber attraktiv.
Interview: Christian Pfeifer
Info
Das ist Alex Nigg
Der gebürtige Meraner Alex Nigg ist Gründer und CEO von Properly mit Standorten in San Francisco (USA), Pune (Indien) und Wellington (Neuseeland). Properly bringt Anbieter von Ferienunterkünften (z. B. über Airbnb, Booking und Homeaway) mit Dienstleistern zusammen, welche etwa Reinigung, Gästewechsel und Inspektionen abwickeln, und ermöglicht die Bewertung und Bezahlung dieser Dienstleister über die Plattform. Derzeit sind rund 10.000 Ferienunterkünfte dabei, Ende 2020 sollen es bereits 40.000 sein. Das Marktpotenzial sind zehn Millionen Unterkünfte, sagt Nigg. Properly beschäftigt derzeit rund 55 Mitarbeiter, etwa 30 davon in Indien. Alex Nigg lebt seit 1989 im Ausland und ist Mitglied von Südstern, dem Netzwerk der Südtiroler im Ausland. Zunächst studierte er in London und an der kalifornischen Stanford University im Herzen des Hightech-Gründertales Silicon Valley, wo er hängen blieb. Er arbeitete für die Unternehmensberatung Bain & Company, baute für Telecom Italia Ventures ein Risikokapitalgeschäft im Silicon Valley auf und gründete parallel 2002 sein erstes eigenes Unternehmen: Mit Walkwire betrieb Nigg Internetcafés in Hotels. 2012 verkaufte Nigg das Unternehmen, um 2014 Properly zu gründen, zu Deutsch: ordentlich. Alex Nigg pendelt zwischen den USA, Europa, Australien und Neuseeland.
Alex Nigg in Bozen
Alex Nigg ist einer der Referenten beim diesjährigen Südtiroler Wirtschaftsforum am Freitag, 27. März, von 12 bis 19.30 Uhr, im Kongresszentrum von Messe Bozen und Four Points Sheraton.
12.00 Uhr Come together und Start-up-Präsentation
13.15 Uhr Begrüßung: Arno Kompatscher, Landeshauptmann, und Gerhard Brandstätter, Präsident der Südtiroler Sparkasse
Alberto Zanatta: Sport, Gesundheit & Life Style: Mit Mut und Kreativität bestehen und gewinnen!
Angelika Gifford: Work-Life-Balance, Diversity, Sustainability: The new Leadership Challenge
15.15 Uhr Kommunikationspause mit Erfrischungen
15.45 Uhr Alberto Baban: Tanz auf dem Vulkan: Innovation und Digitalisierung als tägliche Herausforderung
Alex Nigg: David gegen Goliath: Was wir vom Silicon Valley lernen können
Georg Kofler: Höhle der Löwen: Mehr Unternehmertum wagen
18.00 Uhr Ausklang mit Erfrischungen und Start-up-Präsentation
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