Bozen – Am Dienstag wird Wirklichkeit, was der Universitätsrat schon im Jänner beschlossen hat: Zum ersten Mal in der 25-jährigen Geschichte der Freien Universität Bozen (unibz) wird der Rektor in den nächsten vier Jahren ein Südtiroler sein: Alex Weissensteiner. Der gebürtige Bozner folgt auf Paolo Lugli und ist zugleich der erste Ökonom an der unibz-Spitze seit Gründungsrektor Alfred Steinherr.
Weissensteiner ist der sechste Rektor der Bozner Universitätsgeschichte nach Steinherr (1998–2003), Hans Drumbl (2003–2004), Rita Franceschini (2004–2008), Walter Lorenz (2008–2016) und Paolo Lugli (seit 2017). Er lehrte unter anderem an der Universität Liechtenstein und an der technischen Universität Kopenhagen, bevor er als Professor für quantitative Finanzwissenschaften nach Bozen kam.
Gemeinsam mit Präsidentin Ulrike Tappeiner und Direktor Günther Mathà bildet Alex Weissensteiner künftig das Führungstrio der unibz. Er sagt, er wolle für eine Universität stehen, die für Bevölkerung und Unternehmen greifbar ist.
SWZ: Professor Weissensteiner, welche ist derzeit die größte Sorge der unibz?
Alex Weissensteiner: Die größte Sorge gilt sicher den Wohnplätzen für die Studierenden, vor allem in Bozen. Wir haben soeben die neue Fakultät für Ingenieurwesen im Noi Techpark eröffnet, wir verfügen über optimale Universitätsstrukturen, und wir hätten in diversen Programmen Studienplätze zur Verfügung und dafür durchaus auch Interessierte. Wir beobachten aber, wie sich gar einige dieser Interessierten schlussendlich gegen den Studienplatz Bozen entscheiden, weil es an Wohngelegenheiten mangelt bzw. diese im Vergleich zu anderen Universitätsstandorten relativ teuer sind. Das macht Studieren in Bozen schwierig und ist auch für uns ein Hemmschuh, weil wir unsere Studienprogramme nicht optimal bespielen können.
Wir beobachten , wie sich gar einige dieser Interessierten gegen den Studienplatz Bozen entscheiden, weil es an Wohngelegenheiten mangelt bzw. diese im Vergleich zu anderen Universitätsstandorten relativ teuer sind.
Fühlt sich die unibz von der Politik diesbezüglich ein bisschen alleingelassen?
Tatsächlich weisen wir seit vielen Jahren auf dieses Problem hin und glauben, dass die Botschaft mittlerweile gut angekommen ist. Es werden diverse Initiativen gestartet, was uns hoffen lässt, dass es relativ rasch eine Linderung der Situation geben wird, sprich dass Studentenwohnungen zu einem erschwinglichen Preis geschaffen werden.
Sie spielen auf jene 770 Schlafplätze an, die vier Unternehmen im Zuge einer Marktsondierung der Gemeinde Bozen angeboten haben. Diese werden aber wohl erst im September 2026 bezugsfertig sein. Bis dahin ist eine lange Zeit.
Die Zeit ist noch sehr viel länger, wenn man sich vor Augen führt, wie lange wir schon auf das Problem hinweisen. Für uns ist wichtig, dass jetzt konkret an einer Lösung gearbeitet wird. Es handelt sich um eine Investition für Südtirol, auch mit Blick auf den Mangel an Fachkräften. September 2026 wäre für uns ein vernünftiger Horizont, denn so wie das Problem nicht erst seit gestern besteht, so kann es nicht bis morgen gelöst werden.
Sie haben die Fakultät für Ingenieurwesen angesprochen, die vergangene Woche offiziell eröffnet wurde. Wie wichtig ist sie für Südtirols Wirtschaft?
Glücklicherweise fanden wir ein offenes Ohr bei der Provinz, denn diese Fakultät ist extrem wichtig. Entsprechend viel Energie haben wir in den vergangenen Jahren investiert, allen voran Rektor Paolo Lugli, der die Türen bei Politik und Unternehmen geöffnet und die Weichen in der Universität gestellt hat. Der Bau ist das eine, aber es müssen auch Professoren berufen und Studienprogramme erstellt werden. Das ist alles sehr aufwendig.
Der Bau ist das eine, aber es müssen auch Professoren berufen und Studienprogramme erstellt werden. Das ist alles sehr aufwendig.
Sie sagen es: Die Ingenieursfakultät ist ein Kind Ihres Vorgängers Paolo Lugli. Wo will Alex Weissensteiner seine Handschrift setzen?
Das Projekt Ingenieursfakultät kann nicht als abgeschlossen betrachtet werden. Jetzt gilt es, die Fakultät zu konsolidieren und zu vervollständigen. Auch soll sie noch wachsen – personell und genauso bei Studienprogrammen und Studierenden. Zudem geht es mir ähnlich wie meinem Vorgänger darum, die Uni noch stärker im Territorium zu verankern. Darüber hinaus wird eines meiner wichtigsten Themen sein, dass wir Lösungen für berufstätige Studierende aufbauen.
Diese berufsbegleitenden Studien hatten Sie schon vor einigen Monaten angekündigt. Was schwebt Ihnen konkret vor?
Zunächst ist zu sagen, dass wir da nichts Revolutionäres erfinden, sondern einem internationalen Trend folgen. Zum einen wollen wir Möglichkeiten schaffen, damit Oberschulabgängerinnen und -abgänger ein Hochschulstudium in Kombination mit einer beruflichen Tätigkeit absolvieren können. Dies, weil wir beobachten, dass vor allem Maturanten in den sogenannten Mint-Fächern – also Naturwissenschaften, Technik, Engineering und Mathematik – in der Arbeitswelt sehr gefragt sind und somit gleich nach der Matura ins Berufsleben einsteigen.
Und zum anderen?
Zum anderen betrachten wir die Universität als natürlichen Ort für das lebenslange Lernen, das immer wichtiger wird. Folglich wollen wir Spezialisierungskurse für bestimmte Berufsgruppen anbieten. Es gibt auf europäischer Ebene diverse Ideen, dass nach dem Lego-Prinzip in kleinen Lerneinheiten sogenannte Mikrokredite gesammelt und irgendwann für einen vollständigen Uniabschluss aggregiert werden können.
Es gibt Ideen, dass nach dem Lego-Prinzip in kleinen Lerneinheiten sogenannte Mikrokredite gesammelt und irgendwann für einen vollständigen Uniabschluss aggregiert werden können.
Warum diese Teilzeitstudien? Weil Studieren in Vollzeit nicht für alle erschwinglich ist – oder weil die Kombination aus Studium und Beruf ein Mehrwert ist?
Beides. Die Nachfrage ist da, das beweist der exponentielle Anstieg der Zahlen an den Fernuniversitäten. Wer zu meiner Studienzeit kein Vollzeitstudent war, versäumte Vorlesungen im Hörsaal und war somit indirekt benachteiligt. Heute gibt es die digitalen Möglichkeiten dafür, dass Studierende autonom am Abend oder am Wochenende lernen können, indem Vorlesungen, Lernmaterialien und Probeexamen auf einer Plattform zugänglich gemacht werden. Ich finde die physische Präsenz an der Uni wertvoll, aber ein Teil der Wissensvermittlung kann autonom stattfinden. Das eröffnet Chancen für eine Kombination von Studium und Arbeit, wobei klar ist, dass sich die Studienzeit dadurch verlängert und wir den Studierenden mit einer Gebührenreduzierung entgegenkommen müssen.
Für alle, die sich jetzt auf berufsbegleitende Angebote der unibz freuen: Ab wann wird es die Angebote geben?
Wir haben schon zwei Studienprogramme als Pilotprojekte, die diesen Herbst starten: einen Masterstudiengang an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften, der speziell auf die öffentliche Verwaltung abzielt, und einen Masterstudiengang an der Fakultät für Ingenieurwesen. Ab nächstem Herbst wird das Angebot auf eine Vielzahl an Studienprogrammen ausgedehnt.
Braucht es dafür auch einen engeren Kontakt mit den Südtiroler Unternehmen, um Beruf und Studium abzustimmen?
Die Unternehmen erkennen den Mehrwert, wenn sich Mitarbeitende weiterentwickeln. Sie sind froh, wenn sie motivierte und qualifizierte Arbeitskräfte haben, und machen heute schon flexible Angebote.
Ist die unibz aus Ihrer Sicht ausreichend mit der heimischen Wirtschaft vernetzt?
Die Zusammenarbeit hat sich in den vergangenen acht Jahren deutlich verbessert, vor allem mit den größeren Unternehmen. Wir sind im Territorium angekommen, was zweifelsohne auch ein Verdienst des bisherigen Rektors ist. Verbesserungsbedarf haben wir bei den kleineren und mittleren Unternehmen. Sie müssen wir verstärkt ansprechen, und auch für die Bürger und Bürgerinnen müssen wir die Türen noch weiter aufmachen.
Wir sind im Territorium angekommen. Verbesserungsbedarf haben wir bei den kleineren und mittleren Unternehmen.
Die unibz existiert jetzt seit 27 Jahren und zählt derzeit knapp 4.500 Studierende. Gibt es ein Limit, das sie als Maximalgröße für die unibz ansehen würden?
5.000 Studierende wären mit der derzeitigen Struktur eine vernünftige Größe. Trotzdem würde ich mich ungern auf diese Zahl festlegen, denn letztendlich müssen immer drei Aspekte zusammenpassen. Erstens: Was brauchen die Studierenden, also fragen sie Qualifizierungen nach, die wir bieten? Zweitens: Was braucht Südtirol, also welche Fachkräfte in welcher Quantität sind gefragt? Und drittens: Was ist die Universität in der Lage zu bieten, also welche Ausbildungen kann sie zu vernünftigen Kosten auf die Beine stellen?
Angenommen, Sie wären noch einmal ein frischgebackener Maturant: Würden Sie an der unibz studieren oder doch eher ins Ausland gehen?
Ich würde als Südtiroler tatsächlich das Bachelorstudium in Bozen aufnehmen, weil ich weiß, dass ich hier eine sehr gute Betreuung erhalte. Ein Betreuungsverhältnis zwischen Studierenden und Professoren wie an der Uni Bozen ist anderswo sehr schwer zu finden. Für den Masterstudiengang würde ich ins Ausland gehen, und zwar aus dem einfachen Grund, dass die Uni Bozen nicht in allen Spezialisierungsbereichen – und so auch in meinem Interessenfeld – Angebote schnüren kann. Es wäre ökonomisch nicht machbar und daher unsinnig, alle Interessen abdecken zu wollen. Zudem ist es durchaus begrüßenswert, wenn Südtiroler Studierende Auslandserfahrung sammeln. Umgekehrt müssen wir imstande sein, Studierende aus anderen Ländern anzusprechen, die ebenfalls nach einer Auslandserfahrung suchen.
Wird Rektor Weissensteiner künftig auch noch als Professor tätig sein?
Eine Unterrichtstätigkeit geht sich neben den Aufgaben des Rektors erfahrungsgemäß schwer aus. Allerdings ist es mein Ziel, noch einige Vorlesungen zu halten.
Eine Unterrichtstätigkeit geht sich neben den Aufgaben des Rektors erfahrungsgemäß schwer aus. Allerdings ist es mein Ziel, noch einige Vorlesungen zu halten.
Sie selbst sind Professor für Finanzwissenschaften. Brauchen wir mehr Finanzbildung in der Schule und an den Universitäten?
Ich sehe den Bedarf, schon im Kleinkindalter mit der Finanzbildung zu starten. Sie ist ein wesentlicher Baustein für eine zukunftsfähige Gesellschaft, in der mündige Personen gute Vorsorge- und Kreditentscheidungen treffen, auch um Altersarmut vorzubeugen.
Interview: Christian Pfeifer
Dieses Interview ist in der gedruckten SWZ mit folgendem Titel erschienen: „Das ist ein Hemmschuh“