Bozen – „Ein Boreout entsteht, wenn Langweile, Frustration und das Gefühl der Unterforderung am Arbeitsplatz überhandnehmen. Das Selbstwertgefühl wird angegriffen. Die Betroffenen fühlen sich austauschbar und empfinden ihre tägliche Arbeit als sinnlos“, erklärt Tobias Hölbling, Arbeitspsychologe im Arbeitsförderungsinstitut Afi. Boreout kommt aus dem Englischen „to bore“ – „jemanden langweilen“ – und ist sozusagen das Gegenteil eines Burnouts, das aus Überforderung und Überarbeitung resultiert.

„Dieser Extremzustand tritt schleichend über einen langen Zeitraum ein. Anfällig für ein Boreout sind Mitarbeitende, die entweder jahrelang dieselben Aufgaben erledigen, oder solche, die sie unterfordern beziehungsweise langweilen“, erklärt Hölbling. Besonders oft betroffen seien Arbeitnehmer:innen, die davon überzeugt seien, keine sinnvolle Arbeit zu leisten, und das Ergebnis ihrer Tätigkeit nicht direkt sehen. „Ärzte und Ärztinnen, die ihren Patienten helfen, können die Genesung beobachten. Verwaltungsmitarbeitende hingegen haben dieses Erfolgserlebnis oft nicht, da einige die unmittelbare Auswirkung ihrer Arbeit nicht sehen“, erklärt Hölbling. Ebenso begünstigen bestimmte Charaktereigenschaften das Entstehen von Boreouts: großer Ehrgeiz und die Tendenz zum Überengagement, starke Leistungsorientierung, der Wunsch nach Authentizität, ein hohes Arbeitsethos und der starke Drang, etwas Sinnvolles beizutragen.
18 Prozent empfinden Arbeit nur „manchmal“ sinnvoll
Das Gefühl, die eigene Arbeit sei nicht sinnvoll, kennen mehr Südtiroler:innen, als man meinen würde: Laut der aktuellen „Europäischen Erhebung über die Arbeitsbedingungen“ aus dem Jahr 2021 haben 18 Prozent der Südtiroler und Südtirolerinnen in der öffentlichen Verwaltung nur manchmal das Gefühl, eine sinnvolle Arbeit zu verrichten. In den Sektoren Handel und sonstige Dienstleistungen sind es zwölf Prozent, im Verarbeitenden Gewerbe zehn Prozent. „Das sind erstaunlich hohe Werte“, unterstreicht Hölbling. In anderen Bereichen wie im Gesundheits- und Sozialwesen haben nur zwei Prozent der Mitarbeitenden angegeben, dass sie ihre Arbeit nur manchmal sinnvoll finden. Gefolgt von drei Prozent in der Hotellerie und Gastronomie sowie vier Prozent in den Sektoren Erziehung und Unterricht sowie Land- und Forstwirtschaft, Fischerei.
Das Gefühl, keine sinnvolle Arbeit zu verrichten, sowie die empfundene Unterforderung schlagen auf die Motivation und die Psyche.
Ein Teufelskreis
Das Gefühl, keine sinnvolle Arbeit zu verrichten, sowie die empfundene Unterforderung schlagen auf die Motivation und die Psyche. Betroffene seien immer weniger motiviert. Meist hätten sie keine Lust mehr, sich bei der Arbeit einzubringen. Für die einfachsten Aufgaben lassen sie sich sehr lange Zeit und seien nicht mehr richtig bei der Sache, weiß Hölbling. Einige überspielen die psychisch belastende Situation, indem sie eine Auslastung vortäuschen und immer sehr beschäftigt wirken. Die Erledigung von Aufgaben ziehen sie in die Länge und machen dafür oft sogar Überstunden. Und das alles, um zu verbergen, dass sie eigentlich zu wenig zu tun haben. Sinnloses Surfen im Internet und das Absitzen der Zeit lassen die Arbeit noch sinnloser scheinen. Obwohl die Arbeitssituation gegenteilig ist, können Boreout und Burnout ähnliche Anzeichen und Symptome hervorrufen. Unter anderem können neben Unzufriedenheit und Antriebslosigkeit ebenso Müdigkeit, Schlafstörungen, Gereiztheit, Stress im Arbeitsalltag, Schwindel, Kopfschmerzen, Magenbeschwerden und Depressionen auftreten.
Einen Ausweg finden
„Spüren Mitarbeiter Anzeichen eines sich anbahnenden Boreouts, haben sie selbst einige Möglichkeiten, sich daraus zu befreien. Sie können aktiv auf den Vorgesetzten zugehen und um neue Aufgaben bitten. Falls dies gelingt, kann sich die Situation schnell bessern. Wenn aber nicht, hat der Betroffene immer noch zwei Möglichkeiten: entweder zu kündigen oder sich mit der Situation abzufinden und das Anforderungsniveau herunterzufahren, was aber auf lange Sicht die schlechtere Alternative darstellt“, erklärt der Arbeitspsychologe. Oft ist ein Jobwechsel leider unumgänglich. Damit solch eine Situation gar nicht entsteht oder nochmals eintritt, sei es sehr wichtig, die Arbeitsstelle richtig zu wählen: Die Fähigkeiten und das Interesse müssen mit den Anforderungen im Arbeitsalltag übereinstimmen. „Dieses Verhältnis ist die Grundvoraussetzung, damit man im Job die entsprechende Arbeit leisten kann. Des Weiteren sind Anerkennung und Wertschätzung sehr wichtig. Arbeitgeber sollten ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen nicht nur Verantwortung übertragen, sondern ebenso realistische Ziele stecken und konstruktives Feedback anbieten, damit Sinnerleben begünstigt wird“, betont Hölbling.
Für einen Betrieb ist die Diagnose eines Boreouts genauso schlimm wie jene eines Burnouts. „Es handelt sich immer um den Ausfall eines Mitarbeiters und bedeutet somit höhere Kosten durch Produktivitätsausfall und Lohnfortzahlungen“, erklärt Hölbling. Umso wichtiger sei es, dass Führungskräfte genau hinschauen und sich für die Mitarbeitenden Zeit nehmen. „Regelmäßige Gespräche und Feedbacks sind sehr wichtig. Sobald auffällt, dass ein Mitarbeiter nicht bei der Sache ist oder Aufgaben oft verschleppt, sollte der Arbeitgeber direkt auf den Betroffenen oder die Betroffene zugehen und die Situation ernst nehmen.“ Zudem können Betriebe mit Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten einem Boreout vorbeugen. Schließlich fördern diese die Entwicklung der Mitarbeiter:innen und qualifizieren zugleich für anspruchsvollere Aufgaben. Flexible Arbeitsmodelle und die Möglichkeit, Homeoffice zu machen, tragen dazu bei, dass Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen persönliche Interessen und Bedürfnisse besser miteinander vereinbaren können. Dies erhöht die Zufriedenheit und die Motivation bei der Arbeit. Ebenso können Angebote zur Gesundheitsförderung das allgemeine Wohlbefinden steigern und Boreout entgegenwirken.
Sabine Kerschbaumer