SWZ: Frau Swersky Sofer, für Sie ist höchste Innovationsbereitschaft tägliches Brot, sind Sie doch beruflich mit Unternehmensgründungen, Venture-Kapital und Technologietransfer befasst. Was bedeutet für Sie Innovation?
Nava Swersky Sofer: Für mich ist Innovation ein sehr weiter Begriff. Innovation kann die Entwicklung neuer Technologien sein, Innovation kann genauso die Weiterentwicklung von Produkten und Dienstleistungen sein – das ist ja das allgemeine Verständnis von Innovation in der Gesellschaft. Ich verstehe unter Innovation aber vielmehr jeden Veränderungsprozess und das Einflechten dieser Veränderung in unser Leben.
Eines ist Innovation in großen Konzernen, zum Beispiel auch in der Medizin. Etwas anderes ist hingegen Innovation in kleinen und ganz kleinen Unternehmen, wie es Sie in Südtirol viele Tausend gibt. Diese können sich nicht eigene Innovations- und Entwicklungsabteilungen leisten. Braucht es für Innovation eine gewisse Unternehmensgröße?
Nein, Innovation ist nicht eine Frage der Größe. Wer sagt denn, dass ein kleines Unternehmen nicht innovativ sein sollte bzw. nicht innovativ sein kann? Jedes Unternehmen kann in seinem Tätigkeitsfeld, in seiner Nische innovativ sein, denn Innovation ist nichts anderes als das Bemühen um ständige Verbesserung und ständige Veränderung. Innovation ist die Kunst, Dinge neu zu denken. Die Welt verändert sich rasend schnell, und wer nicht bereit ist, sich ähnlich schnell zu verändern, bleibt zwangsläufig zurück.
Ihre Heimat Israel gilt als „Start-up-Nation“, trotz schwieriger politischer Rahmenbedingungen. Was kann das 500.000-Einwohner-Land Südtirol vom 9-Millionen-Einwohner-Land Israel lernen?
Wissen Sie, als Israel 1948 gegründet wurde, zählte es 600.000 Einwohner und war somit nur unwesentlich größer, als es Südtirol heute ist – dies nur nebenbei bemerkt. Abgesehen davon, gilt wieder, was ich bereits gesagt habe: Innovation ist nicht eine Frage von Größe. Es existieren überall auf der Welt Regionen, die mit ihrem Innovationsgeist punkten, aber alles andere als groß sind. Nun zu Ihrer eigentlichen Frage: Ich denke nicht, dass es für Südtirol sinnvoll wäre, das Modell Israel zu kopieren. Die politischen, kulturellen und geographischen Voraussetzungen sind völlig unterschiedlich. Sehr wohl aber kann Südtirol von Israel die Innovationskultur lernen.
Was meinen Sie mit Innovationskultur?
Zur Innovationskultur gehört nicht zuletzt die Fähigkeit, Fehler zuzulassen und Fehler zu akzeptieren. Fehler gehören zum Innovationsprozess dazu wie Erfolge, aber diese Geisteshaltung ist in den meisten europäischen Ländern zu wenig stark ausgeprägt.
Wie wichtig ist eine lokal vorhandene Universität für den Innovationstrieb eines Wirtschaftsstandortes?
Eine Universität ist keine Grundvoraussetzung, um eine Region zu einem Innovationsstandort zu machen. Es gibt genügend Beispiele, wo die Wirtschaft einer Region auch ohne eigene Universität sehr innovativ ist. Wenn aber eine Universität vorhanden ist, dann kann diese ein sehr wichtiges Mosaiksteinchen im gesamten Innovationsgefüge sein. Eine Universität kann zum einen mit ihrer Forschung technologische Innovation fördern, zum anderen aber auch zur Bildung jener Innovationskultur beitragen, von der ich sprach. Sie kann Unternehmer ausbilden, Ideen liefern und vor allem einen offenen Dialog mit den Unternehmen pflegen. Es muss dabei nicht immer ein neuer Computer oder ein anderes neues Produkt erfunden werden. Das Wissen einer Universität kann auch anderweitig genutzt werden. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Ihr habt in Südtirol viele kleine Unternehmen, welche exzellente Qualitätsprodukte herstellen, zum Beispiel Lebensmittel und Wein. Diese Produkte wollen verkauft werden. Manchmal mag dafür der Heimmarkt genügen, nicht immer tut er das aber. Und um die Produkte international besser vermarkten und die Wertschöpfung erhöhen zu können, gehen aus der Universität Marketingexperten hervor.
In Südtirol, wo die Universität mit ihren 15 Jahren noch sehr jung ist, entsteht der Eindruck, dass die lokalen Unternehmen mit „Ihrer“ Universität noch nicht recht viel anzufangen wissen. Was ist zu tun, damit ein intensiver Technologietransfer zwischen Universität und Unternehmen stattfindet?
Das ist ein langfristiger Prozess, es muss sich eine entsprechende Kultur entwickeln. Die Hebräische Universität in Jerusalem hat sogar eine eigene Technologietransfereinrichtung installiert, und ich war selbst Präsidentin und CEO dieser Einrichtung mit Namen Yissum. Israel war das erste Land der Welt mit einer solchen Einrichtung – 20 Jahre vor den USA. Der Erfolg gab uns recht, weil es durch Yissum gelungen ist, die Früchte der universitären Forschung zu ernten. Dabei haben wir uns immer um einen engen Dialog zwischen Universität und Unternehmen bemüht, was kein einfaches Feld ist, weil Universitäten und Unternehmen eine völlig unterschiedliche Kultur in sich tragen. Jedenfalls wurden die Erfolge von Yissum immer mehr, und mit den Erfolgen sprach sich bei den Unternehmen – und zwar international – herum, dass Yissum eine Technologiequelle ist. Daraus wiederum entstanden neue Zusammenarbeiten und Erfolge.
Trotz eigener Universität leidet Südtirol unter dem „Brain Drain“, also der Abwanderung kluger Köpfe. Junge Südtiroler studieren im Ausland und ergreifen dann dort berufliche Chancen, ohne in die Heimat zurückzukehren – trotz hoher Lebensqualität in Südtirol. Welches ist Ihrer Meinung nach das beste Rezept, um kluge Köpfe zu halten bzw. anzulocken?
Das ist eine gute Frage, weil wir in Israel das gleiche Problem haben. Und andere Länder haben das Problem ebenfalls. Deswegen würde ich das vermeintliche Problem nicht ganz so aufgeregt betrachten. Ich schicke voraus, dass es sinnvoll ist, wenn junge Menschen von zu Hause weggehen, um zu studieren und Erfahrung zu sammeln. Ob sie dann zurückkommen, hängt einzig und allein von den beruflichen Perspektiven ab. Grundsätzlich zieht es Menschen in der Regel nach Hause zurück, weil sie dort ihre Wurzeln und ihre Familie haben und gerne ihren Beitrag zur Weiterentwicklung ihrer Heimat leisten. Voraussetzung ist natürlich eine passende berufliche Herausforderung. Ich beobachte in Israel, dass die meisten jungen Menschen zurückkommen, weil sich ihnen attraktive Berufschancen eröffnen. Mit attraktiv meine ich dabei keinesfalls nur die monetäre Seite, denn gutes Geld lässt sich auch anderswo auf der Welt verdienen.
In Südtirol ist auch ein Technologiepark im Entstehen, wo sich öffentliche und private Forschungseinrichtungen sowie Unternehmen gegenseitig befruchten sollen. Nun ist ein Streit darüber entbrannt, ob der teure Technologiepark überhaupt notwendig ist: Viele Unternehmer sagen, eine solche Zentralisierung der Innovation sei im Internetzeitalter Blödsinn. Auch wollen viele Unternehmer ihre Forschungsabteilungen lieber nicht auslagern. Sind Technologieparks Innovationstreiber oder nicht?
Es gilt wieder dasselbe wie für die Universität: Wenn eine Region über einen Technologiepark verfügt, dann ist das schön, es ist aber nicht von grundlegender Bedeutung. Selbstverständlich können sich Forscher und Entwickler aus verschiedenen Branchen leichter gegenseitig befruchten, wenn sie Tür an Tür arbeiten, Räumlichkeiten gemeinsam nutzen oder sich beim Kaffee treffen – die Nähe fördert den Austausch. Aber viel wichtiger als die äußere Hülle ist der Inhalt eines Technologieparks. Das Arbeiten Tür an Tür ist noch lange keine Garantie für gegenseitige Befruchtung. Der Fehler, der zuweilen bei solchen Technologieparks begangen wird, ist eben jener, dass zwar großzügig in die Mauern investiert wird, aber zu wenig auf die Inhalte geachtet wird. Bevor die Hülle eines Technologieparks gebaut wird, muss klar sein, welches die Inhalte sein sollen.
Noch kurz zu Ihnen: Sie haben eine beeindruckende Berufskarriere hingelegt. Hatten Sie als Frau in der männerdominierten Welt der Manager nie Probleme?
Ich wünsche meiner Tochter, die heute neun ist, dass es für sie leichter wird, als es für mich war. Leider existiert fast überall auf der Welt in der Arbeitswelt noch eine große Ungleichbehandlung zwischen Mann und Frau – sowohl bei der Bezahlung, als auch bei den Karrierechancen.
Trotzdem haben Sie es geschafft. Und gleichzeitig haben Sie bewiesen, dass sich auch für eine Frau Karriere und Familie vereinbaren lassen. Sie sind zweifache Mutter. Wie haben Sie das geschafft?
Ich muss täglich schauen, wie ich meine Zeit am besten zwischen Familie und Beruf verteile. Trotzdem habe ich nicht die Zauberantwort auf Ihre Frage. In meinem persönlichen Fall war es sicher von Vorteil, dass ich sehr jung war, als ich meine berufliche Karriere begann. Deshalb war ich bereits etabliert, als die Kinder kamen. Jeder muss für sich selbst den richtigen Weg finden, wie Familie und Beruf am besten vereinbart werden kann. Ich würde mir nur wünschen, dass bei Männern und Frauen mit gleichem Maß gemessen wird.