Wien/Meran – Wie alt er war, als ihm bewusst wurde, dass er selbst mal etwas gründen will, weiß Stefan Raffeiner nicht mehr so genau. „Zwölf vielleicht“, überlegt er, „vielleicht auch 13, 14, 15.“ Dass es früh war, so viel steht fest. Dass er in dem Alter bereits hochmotiviert war, ebenfalls. Während der Oberschulzeit am Realgymnasium Meran brachte Raffeiner sich selbst das Programmieren bei. Leicht sei es ihm deshalb gefallen, weil er dank seines Mathelehrers, Alex Trojer, die Theorie stets direkt in die Praxis umsetzen konnte. Gemeinsam arbeiteten sie etwa an einer digitalen Infotafel für den Eingangsbereich der Schule oder setzten PCs neu auf, sodass diese weiterhin verwendet werden konnten, anstatt entsorgt zu werden.
Die kleine digitale Revolution in Südtirols Schulweg sollte der Beginn einer erfolgreichen Karriere im Tech-Business sein, die ihn über Wien ins Silicon Valley, von dort zurück in die österreichische Hauptstadt und zur Gründung seines eigenen Start-ups Teachino führte.
Ihr größtes Projekt aber war ein anderes, für das Raffeiners Name bis heute vielen in Südtirol ein Begriff ist: das digitale Register. Nach der Matura im Sommer 2012 stellte er dieses fertig. Nach einer Testphase an seiner alten Schule kamen immer mehr dazu. Heute verwenden es hierzulande beinahe alle deutsch- und ladinischsprachigen Bildungsstätten. „Damals fing ich in dem Bereich an – und bin nie mehr weggekommen“, scherzt Raffeiner.
Die kleine digitale Revolution in Südtirols Schulweg sollte der Beginn einer erfolgreichen Karriere im Tech-Business sein, die ihn über Wien ins Silicon Valley, von dort zurück in die österreichische Hauptstadt und zur Gründung seines eigenen Start-ups Teachino führte.
Erfahrung sammeln im Silicon Valley
Das erste Wiener Intermezzo stand im Zeichen des Sich-Ausprobierens. Raffeiner schrieb sich an der Uni ein. Zwar belegte er über mehrere Jahre Kurse in Wirtschaftsinformatik, wandte sich jedoch nie von der Praxis ab. Bald zeigte sich daher eine Tendenz: „Ich studierte immer weniger und arbeitete immer mehr.“ Und das tat Raffeiner nicht irgendwo. Mit dem Wunsch im Herzen, selbst irgendwann etwas Neues schaffen zu wollen, versuchte er gezielt, in der Start-up-Welt Fuß zu fassen. Seinen ersten Einblick erhielt er ab März 2013 als iOS- und Webentwickler bei Journi, einer Art Online-Reisetagebuch, das später unter anderem von Apple als beste Reise-App ausgezeichnet wurde. Das größte Learning aus dieser Zeit: „Wie geht man vor, wenn kein Geld da ist?“ Dank eines Förderprogramms der Wirtschaftskammer Österreich konnte das Journi-Team nach San Francisco gehen. Nicht inkludiert waren allerdings die Lebenshaltungskosten. Zu sechst wohnten die jungen Start-upper auf engstem Raum. „Ich musste irgendwann weg, weil das Geld ausging. Selbst die Gründer legten ein Jahr Zwangspause ein, haben aber nie aufgegeben. Von ihnen habe ich gelernt: Auch wenn’s schlecht ausschaut, kann es noch was werden.“ Heute hat Journi mehr als 50 Mitarbeitende und sei ein profitables Unternehmen.
„Wie geht man vor, wenn kein Geld da ist?“
2015 startete Raffeiner ein neues Abenteuer als Softwareingenieur und Produktmanager bei Properly in San Francisco. Properly bringt Anbieter von Ferienunterkünften (z. B. über Airbnb, Booking und Homeaway) mit Dienstleistern zusammen, welche etwa Reinigung, Gästewechsel und Inspektionen abwickeln, und ermöglicht die Bewertung und Bezahlung dieser Dienstleister über die Plattform. Der Name dürfte den meisten SWZ-Leserinnen und -Lesern ein Begriff sein. Gründer Alex Nigg, wie Raffeiner gebürtiger Meraner, war 2020 zu Gast beim Südtiroler Wirtschaftsforum. Kennengelernt hatten die beiden sich in Kalifornien. „Ich habe damals viel über Start-up-Finanzierung gelernt, über Produktentwicklung und darüber, wie man ein Team aufbaut“, blickt Raffeiner zurück, der kurz nach der Gründung zu Properly stieß. Zunächst blieb der Meraner in San Francisco. Später war er verantwortlich für die Eröffnung des Büros in Wellington, Neuseeland.
Zuerst CEO, dann Gründer
Die Rückkehr nach Europa stand schließlich in Zusammenhang mit einem alten Bekannten, nämlich dem digitalen Register. Dieses wurde zum Konkurrenzprodukt für das Unternehmen Units in Wien, laut eigenen Angaben Marktführer im Bereich Stundenplanung. Unter anderem bringt Untis mittels einer kostenlosen App Stundenpläne aufs Smartphone – inklusive Stundenausfälle oder Raumänderungen. Eben dieses Unternehmen war es, das das digitale Register übernahm und zugleich zur neuen beruflichen Heimat für Raffeiner wurde.
Ab 2018 leitete Raffeiner die Produktentwicklung von Untis. 2021 übernahm er die Geschäftsführung. Eine ereignisreiche Zeit, in der das Unternehmen kräftig wuchs. Ein Plus gab es sowohl bei den Mitarbeitenden (deren Zahl wuchs auf mehr als 100) als auch bei den Kundinnen und Kunden (zuletzt waren es mehr als 26.000). „Es war bis dahin meine größte Rolle in Hinblick auf das Level an Verantwortung. Lehrreich war aber auch jede Station davor, denn nur so konnte ich ein Verständnis für viele verschiedene Bereiche aufbauen“, sagt Raffeiner.
Während er bei Untis tätig war, erhielt der Meraner einen breiten Einblick in die Schulwelt. In zahlreichen Gesprächen hörte er, was gut lief – und was nicht. Schritt für Schritt entstand so die Idee zu seinem eigenen Start-up. Als Gründer von Teachino stand er 2022 dann zwar allein auf dem Papier, hatte jedoch von Anfang an ein Team von Leuten um sich, die ihn „bei der täglichen Arbeit von null auf unterstützten.“ Unter anderem holte er seinen ehemaligen Mathelehrer Alex Trojer mit ins Boot, ebenso wie Matthäus Ranigler, den er von Properly kannte. Mittlerweile arbeiten elf Personen im Team, darunter mehrere Lehrkräfte in Teilzeit, die auch weiterhin unterrichten und so einen direkten Draht zur Schule bilden.
Hunderte Schulen im deutschsprachigen Raum nutzen Teachino
Das Problem, das Teachino lösen will? „Es war immer schon schwierig, individuellen Unterricht anzubieten. Da die Klassen immer heterogener werden, ist es heute wichtiger denn je, auf unterschiedliche Bedürfnisse einzugehen. Die Zeit der Lehrpersonen ist jedoch begrenzt, sowohl im Unterricht selbst als auch in der Vorbereitung“, erklärt der Gründer. Genau hier setzt sein Start-up an. Teachino unterstützt in der Vorbereitung und Dokumentation von Unterricht. Ein Teil ist dabei aufgebaut wie eine Projektmanagement-Software. Ein zweiter Teil umfasst eine KI-Lösung, die neue Ideen für Materialien und Individualisierungsvorschläge liefert. Pro Woche können Lehrpersonen so drei bis vier Arbeitsstunden einsparen, stellt Teachino in Aussicht.
Mehrere Hundert Schulen im deutschsprachigen Raum nutzen die Anwendung bereits, unter anderem mehr als 20 in Südtirol.
Mehrere Hundert Schulen im deutschsprachigen Raum nutzen die Anwendung bereits, unter anderem mehr als 20 in Südtirol. Die Kosten liegen bei rund 120 Euro pro Jahr für Lehrpersonen, die Teachino aus eigener Tasche bezahlen. Über Schullizenzen sind günstigere Modelle möglich.
Die erste Version von Teachino lag im September 2022 vor. Sie war allerdings nicht käuflich. „Wir haben lange mit einer Warteliste gearbeitet, um das Produkt ausgiebig testen zu können“, erklärt Raffeiner. „So konnten wir ganz gezielt Feedback einholen und uns verbessern.“ Optimierungen stehen bis heute an der Tagesordnung. „Wir sammeln weiterhin laufend Rückmeldungen ein und reagieren so flexibel wie möglich.“
KI in die Schule holen
Das nötige Geld, um zu wachsen, hat Teachino in bisher zwei Finanzierungsrunden gesammelt. Im August 2022 verkündete das Start-up den erfolgreichen Abschluss einer Pre-Seed-Finanzierung in Höhe von einer Million Euro. Hauptinvestor war das Südtiroler Netzwerk von Business Angels, tba network. Im heurigen Mai kam im Zuge einer Seed-Finanzierungsrunde in siebenstelliger Höhe unter anderem die Klett-Gruppe als Investor dazu, einer der größten Schulbuchverlage und Bildungsanbieter Europas mit mehr als 90 Tochterunternehmen in 23 Ländern, etwa Pons und Langenscheidt.
Noch im Herbst steht der Launch eines neuen Teachino-Produkts an. Es soll künstliche Intelligenz für Schüler:innen zugänglich machen, und zwar so, „dass es didaktisch sinnvoll ist“, unterstreicht Raffeiner.
DIE SERIE Die SWZ stellt in diesen Wochen in der Serie „Start-up Südtirol“ junge Unternehmen und deren Gründer:innen vor, so wie bereits in den vergangenen Jahren. Alle Artikel können hier und in der SWZapp gelesen werden.
Interview
„Es braucht eine Steh-auf-Mentalität“
SWZ: Was macht für Sie ein Start-up aus?
Stefan Raffeiner: Das Hauptkriterium ist in meinen Augen die Skalierbarkeit. Davon ausgehend ist der Aufbau ein ganz anderer wie bei einem normalen Unternehmen. Man wächst sehr viel schneller in deutlich kürzerer Zeit, wodurch man auch eher auf externe Finanzmittel angewiesen ist. Dennoch würde ich die klassische Fremdfinanzierungsreise eher nicht als Definitionsmerkmal sehen. Für mich sind jedenfalls beide, Start-ups ebenso wie Unternehmen, valide. Es sind einfach unterschiedliche Wege. So wie wir Teachino aufbauen, brauchen wir Tausende Schulen, damit unser Geschäftsmodell funktioniert. Das digitale Register ist hingegen ohne Fremdkapital langsam, aber stetig gewachsen, bis es nach langer Zeit rentabel wurde. Vor beiden Wegen habe ich Respekt.
Welche war die bisher größte Herausforderung für Ihr Start-up?
Ich könnte sofort eine zehnseitige Liste schreiben mit Herausforderungen, die uns begegnet sind, aber eine davon auszuwählen, ist schwierig. Man muss eine nach der anderen annehmen und zu meistern versuchen. Am Ende muss vieles zusammenpassen: das Team, das Produkt, der Markt und die Finanzierung, um nur einige Aspekte zu nennen.
In der Start-up-Welt heißt es oft, der Gründer bzw. die Gründerin sei wichtiger als die Idee. Stimmen Sie dem zu?
Ich würde es umformulieren. Das Team ist hundertmal wichtiger als die Idee. Der Gründer allein macht nicht viel aus. Die Idee allein schon gar nicht.
Was braucht es, um als Gründer:in erfolgreich zu sein?
Es braucht auf jeden Fall eine Steh-auf-Mentalität. Man muss damit zurechtkommen, dass Pläne sich ständig ändern und nicht alles läuft, wie man es sich wünschen würde. Außerdem ist es hilfreich, Generalist zu sein. Diese Rolle kann auch das Team übernehmen, indem es möglichst alle für das Start-up relevanten Bereiche abdeckt und nicht zum Beispiel eine reine Marketingmaschinerie wird. Als Gründer musst du wissen, was du kannst, wo du Expertise hast und vor allem wo nicht. Dort gilt es, sich Fachleute zu holen.
In welcher Umgebung können Start-ups florieren?
Remote lässt es sich mittlerweile von fast überall gut arbeiten. Wer das nicht kann oder will, muss entweder in eine Stadt mit entsprechendem Ökosystem oder aber genug Geld in der Hand halten, um die richtigen Leute an Bord holen zu können. Zudem braucht es gute öffentliche Anbindungen, um schnell bei Kunden und Stakeholdern zu sein. Ebenfalls wichtig sind gute behördliche Rahmenbedingungen. In Österreich ist man derzeit sehr um Vereinfachungen bemüht, wobei derzeit vieles noch zu komplex ist.
Sind Förderungen hilfreich?
Vielen Gründerinnen und Gründern ermöglichen Förderungen den Schritt in die Selbstständigkeit. Das halte ich für sehr wichtig. Darüber hinaus gibt es ein breites Förderangebot, das nicht immer ganz durchsichtig ist. Uns helfen Förderungen zum Beispiel bei der KI-Forschung, um Experimente zu grundlegenden Fragen zu machen, welche uns sonst nicht möglich wären. Gleichzeitig denke ich mir manchmal, dass Entlastungen bei Steuern und Bürokratie vielleicht einen schnelleren Effekt hätten.