Bozen – Vor etwa zehn Jahren hat das Familienunternehmen Seppi M. aus Kaltern angefangen, sich nach einem neuen Standort umzusehen. Das Gebäude des Betriebs, der sich im Bereich Land- und Forsttechnik auf die Herstellung von Mulchgeräten, Steinbrechern und Fräsen spezialisiert hat, war zu klein geworden. „Zunächst wollten wir das bestehende Gebäude vergrößern. Unsere Nachbarin hätte uns dafür ihren Grund verkauft“, sagt Johanna Seppi. Seit 30 Jahren liegt der Sitz des Unternehmens in Kaltern. Als sich herausstellte, dass aus Gründen des Zivil- und Landschaftsschutzes eine Vergrößerung nicht infrage kam, sah man sich nach einem anderen Ort für ein neues Firmengelände um. Zu diesem Zeitpunkt lag bereits ein Angebot für ein Gebäude im Trentino vor, einen Umzug in die benachbarte Provinz habe man zu diesem Zeitpunkt aber noch kategorisch abgelehnt, so Seppi. „Wir haben daraufhin auf der Suche nach einem geeigneten Grundstück neben Kaltern alle Gemeinden von Terlan bis Salurn abgeklappert“, erinnert sich Johanna Seppi. Doch es wollte sich nichts Passendes ergeben. Schlussendlich hat sich die Firma dann für den Erwerb eines alten Gebäudes in Mezzolombardo entschieden, die Arbeiten wurden im Februar abgeschlossen (siehe „Seppi M. verlegt Firmensitz ins Trentino“). Im Laufe des Jahres werden die 100 Mitarbeiter:innen umziehen. Die Gemeinde Kaltern verliert damit ihren größten Arbeitgeber.
Ein schwieriges Unterfangen
Ähnlich wie Seppi M. sind in den vergangenen Jahren mehrere Unternehmen aus der Provinz weggezogen: Menz & Gasser ist scheibchenweise nach Novaledo abgewandert, Ninz Firedoors hat Ala 1998 zum Hauptsitz gemacht, Daunenstep hat 2003 in Arco eine Produktionsstätte eröffnet. Andere haben hierzulande zwar noch ihren Hauptsitz, investieren aber kräftig in ihre Standorte außerhalb Südtirols. Technoalpin, Durst, Loacker und Leitner haben Standorte in Tirol eröffnet, Dr. Schär hat einen seiner Produktionsstandorte nach Borgo Valsugana verlegt, Finstral investiert in diesem Jahr 20 Millionen Euro in den Bau einer neuen Werkshalle in Oppeano bei Verona. Seine Standorte in Südtirol hat der Rittner Fensterhersteller – wie viele andere Unternehmen auch – seit einigen Jahren zwar modernisiert, aber nicht vergrößert.
„Wenn wir in Terlan auf keinen grünen Zweig kommen, dann müssen wir Teile des Unternehmens ins Ausland verlegen. Wir können nicht wieder von vorne beginnen und mehrere Jahre warten, bis sich irgendwo der Kauf eines Grundstückes ergibt.“ Philipp Senoner
Wieder andere Unternehmen sind derzeit dort, wo Seppi M. vor einigen Jahren war: auf der fieberhaften Suche nach einem neuen Standort. Eines von ihnen ist das Technologieunternehmen alpitronic. Derzeit arbeitet das Unternehmen aufgeteilt auf fünf Standorte, ein weiterer soll bald dazukommen, sagt Geschäftsführer Philipp Senoner. „Wir wachsen sehr stark. Im vergangenen Jahr haben wir 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingestellt, in diesem Jahr werden es wieder 100 sein“, so Senoner. Diese Arbeitsplätze möchte alpitronic an einem einzigen Standort zusammenführen.
„Ein Unternehmen belebt die Gastronomie, die Hotellerie sowie den Handel vor Ort.“ Johanna Seppi
Seit mehr als zwei Jahren ist das Unternehmen auf der Suche nach einem geeigneten Grund dafür. „Die Suche nach einem neuen Standort gestaltet sich für Unternehmen wie unseres sehr schwierig“, formuliert Senoner. Denn um 350 Arbeitsplätze, die am neuen Standort entstehen sollen, unterzubringen, sei Platz gefragt. Außerdem wolle man für ein künftiges Wachstum gewappnet sein. „Ansonsten sind wir in wenigen Jahren wieder in der Situation, dass wir das Unternehmen auf mehrere Standorte aufteilen müssen.“
Das Unternehmen hat einen fünf Hektar großen Grund in Terlan ins Auge gefasst, der Kaufvorvertrag ist bereits unterschrieben. Doch kaum wurde der Öffentlichkeit bekannt, dass sich alpitronic in Terlan ansiedeln will und dass dafür landwirtschaftliches Grün umgewidmet werden muss, hagelte es Kritik. Vertreter:innen der Landwirtschaft bemängeln, dass landwirtschaftliche Fläche versiegelt wird, Anrainer:innen befürchten mehr Verkehr. Senoner meint dazu: „Ein Teil der Kritik ist berechtigt. Die Frage, die sich eine Gemeinde aber stellen muss, ist: Welchen Mehrwert bringt ein solches Unternehmen der Bevölkerung?“
Arbeitsplätze, Gastronomie und Gewerbeimmobiliensteuer
„Eine Gemeinde profitiert vor allem von den Arbeitsplätzen, die ein Unternehmen in die Gemeinde bringt“, sagt Stefan Vorhauser, Gemeindereferent in Kaltern. Aus diesem Grund sei es schade, dass Kaltern mit Seppi M. einen wichtigen Arbeitgeber verliere. Arbeitsplätze sind allerdings nicht der einzige Vorteil, den ein Ort aus der Niederlassung eines Unternehmens zieht, davon zeigen sich mehrere Unternehmer:innen überzeugt. „Ein Unternehmen belebt die Gastronomie, die Hotellerie sowie den Handel vor Ort“, sagt Seppi. Denn ihre Mittagspause verbringen die Angestellten der Unternehmen vielfach in den Restaurants im Dorf, abends nach der Arbeit wird in den Läden eingekauft.
„Außerdem tragen lokale Arbeitgeber zur Attraktivität und Belebung eines Dorfes bei. Denn auf lange Sicht werden sich einige Mitarbeiter mit ihren Familien in den Dörfern ansiedeln und dort Wohnungen kaufen oder mieten“, unterstreicht Senoner. „Das Umfeld profitiert mit“, führt er aus.
„Die Industrie generiert den Großteil des Steueraufkommens in Südtirol. Wenn wir diese Unternehmen gehen lassen, dann haben wir ein Problem.“ Heiner Oberrauch
Ebenso komme die Diversifizierung der Wirtschaft den Gemeinden zugute, fügt Heiner Oberrauch, der Präsident des Unternehmerverbandes Südtirol, hinzu. „Eine Gemeinde, die ihre Strategie zum Beispiel vorwiegend auf die Landwirtschaft oder den Tourismus ausrichtet, ist für Personen in anderen Berufen weniger attraktiv.“ Nicht zuletzt gehe es auch um die Gemeindeimmobiliensteuer (GIS), die von der jeweiligen Gemeinde kassiert wird. „Die Industrie generiert den Großteil des Steueraufkommens in Südtirol“, formuliert Oberrauch. „Wenn wir diese Unternehmen gehen lassen, dann haben wir ein Problem.“
Wenn des Nachbarn Gras grüner ist
Bei alpitronic ist man – im Moment noch – von Südtirol als Standort überzeugt. „Das Unternehmen ist hier geboren, hier möchten wir es auch voranbringen“, sagt Senoner. „Wenn wir in Terlan aber auf keinen grünen Zweig kommen, dann müssen wir Teile des Unternehmens ins Ausland verlegen. Wir können nicht wieder von vorne beginnen und mehrere Jahre warten, bis sich irgendwo der Kauf eines Grundstückes ergibt. Diese Zeit haben wir nicht.“ Mehrere Angebote von Flächen außerhalb Südtirols liegen dem Unternehmen bereits vor.
„In Südtirol ist Grund und insbesondere Gewerbegrund Mangelware. In anderen Provinzen stehen deutlich größere Grundstücke zur Verfügung, als dies in Südtirol der Fall ist.“ Florian Oberrauch
Seppi M. und andere Betriebe haben sich hingegen bereits für den Weggang entschieden bzw. zusätzliche Filialen außerhalb der Provinz eingerichtet. Das sind zwar nur Einzelfälle, Weltuntergangsstimmung ist nicht angebracht. Dennoch stellt sich eine Frage: Was haben Südtirols Nachbarn, das Südtirol nicht hat?
Für die Automatisierung von Prozessen sind größere Flächen notwendig
Die Unternehmer:innen nennen als einen der wichtigsten Faktoren für die Attraktivität anderer Gegenden die Verfügbarkeit von Grundstücken. „In Südtirol ist Grund und insbesondere Gewerbegrund Mangelware“, sagt Florian Oberrauch, der Vizepräsident des Verwaltungsrates bei Finstral. In anderen Provinzen stünden deutlich größere Grundstücke zur Verfügung, als dies in Südtirol der Fall ist. „Ein Kauf ist dadurch schnell abgewickelt. Und das ermöglicht einem Unternehmen, Bauprojekte in einem kürzeren Zeitraum zu verwirklichen“, führt Oberrauch aus. Unternehmen, die sich in einer Wachstumsphase befinden, seien darauf angewiesen, genauso wie jene, die die Automatisierung ihrer Abläufe voranbringen wollen. „Für die Automatisierung der Produktion sind in der Regel größere Flächen notwendig“, erklärt Oberrauch.
Neben der Verfügbarkeit locken auch die niedrigeren Kosten für Gewerbegrund Unternehmen in benachbarte Provinzen oder ins Ausland. „Schon 200 Kilometer weiter im Süden sind die Preise für Industriegrund fünf- bis zehnmal niedriger als in Südtirol“, weiß Heiner Oberrauch. Manche Gegenden im Ausland umwerben Unternehmen mit offensiven Maßnahmen. „Es gibt Standorte, da bekommen Firmen den Grund zum Nulltarif, weil der Politik bewusst ist, dass die Bevölkerung diese Investition später auf einem anderen Weg, etwa in Form von Sozialabgaben, zurückbekommt“, erklärt Senoner.
Eine strategische Frage: Wo will Südtirol hin?
Ein Problem, das Unternehmen hierzulande spüren, ist die schlechte Erreichbarkeit. „Logistisch sind viele unserer Nachbarprovinzen deutlich besser angebunden“, sagt Seppi. Die bessere Erreichbarkeit des Trentino sei einer der ausschlaggebenden Gründe für den Umzug in die Nachbarprovinz gewesen. Und noch etwas: die Verfügbarkeit von Arbeitskräften. Dass es außerhalb Südtirols leichter fällt, Arbeitskräfte zu finden, bestätigt auch Florian Oberrauch: „Bereits an unserem Standort in Borgo Valsugana merken wir, dass es deutlich leichter fällt, Mitarbeiter zu finden – obwohl das Trentino sehr nahe bei Südtirol liegt.“ Je weiter man sich im Stiefelstaat Richtung Süden bewege, desto einfacher sei es, Arbeitskräfte zu finden. In seinem Werk in Oppeano bei Verona plant Finstral, im Laufe dieses Jahres 50 bis 60 neue Mitarbeiter:innen einzustellen. „In Südtirol wäre das deutlich schwieriger als im Veneto“, so Oberrauch.
Einige dieser Faktoren sind beeinflussbar, andere hingegen weniger. Gegen die hohen Preise für Gewerbegrund fordert der Unternehmerverband beispielsweise steuerliche Erleichterungen bei unterirdischen gewerblichen Bauten. Dadurch könne Grund gespart und dieser günstig den Unternehmen zur Verfügung gestellt werden, zeigt sich Heiner Oberrauch überzeugt.
Senoner fordert hingegen, dass manche Entscheidungen in Bezug auf die Niederlassung von Unternehmen auf höherer Ebene getroffen werden sollten. Insbesondere bei größeren Unternehmen gehe es vielmehr um industriepolitische Entscheidungen als lediglich um die Frage, welche Unternehmen sich in einer Gewerbezone ansiedeln sollen oder nicht. „Da geht es um eine strategische Frage, die sich unser Land stellen muss. Wo will Südtirol in den nächsten Jahren und Jahrzehnten hin?“