Bozen – Die gebürtige Münchnerin Nicola Winter geht gern in die Luft, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Als Jugendliche entdeckte sie das Drachenfliegen, dann wollte sie Pilotin bei der Lufthansa werden. Weil sie dafür aber mit ihren 1,60 Metern Körpergröße für zu klein befunden wurde, bewarb sie sich bei der Bundeswehr und wurde Kampfflugzeugpilotin – als erst zweite Frau der deutschen Geschichte. Sie flog zunächst Tornado und später Eurofighter. Parallel studierte sie Luft- und Raumfahrttechnik, absolvierte eine Ausbildung zur Rettungssanitäterin und wurde selbst zur Pilotenausbildnerin. 2017 wurde sie von Boston Consulting Group und Handelsblatt zur „Vordenkerin des Jahres“ gekürt.
2018 verließ Nicola Winter die Bundeswehr und ging zu McKinsey in die Unternehmensberatung. Heute arbeitet sie am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, ist Dozentin für Krisen- und Notfallmanagement und hält Vorträge zu Leadership.
Doch es gibt noch ein größeres Ziel im Leben von Nicola Winter. Sie möchte ins All. Tatsächlich ist sie seit November 2022 Reserve-Astronautin der europäischen Raumfahrtorganisation ESA, ausgewählt unter 22.500 Bewerbern und Bewerberinnen.
Am 12. April kommt Nicola Winter als Referentin zum Südtiroler Wirtschaftsforum nach Bozen. Sie ist auch Gast der neuen Folge des Podcasts „Die SWZ trifft“. Nachfolgend ein Auszug aus dem Gespräch.
SWZ: Frau Winter, was ist eine Reserve-Astronautin?
Nicola Winter: Die Europäische Raumfahrtagentur ESA hat 2021 mit einer Ausschreibung vier bis sechs neue Astronauten gesucht. Das ist sehr speziell, denn zuletzt hat sie das 2009 getan. Insgesamt wurden 17 qualifizierte Menschen ausgesucht, fünf von ihnen wurden für die Ausbildung auserkoren. Deutschland hat mit Alexander Gerst und Matthias Maurer bereits zwei Astronauten, ausgesucht 2009 – also durften Amelie Schoenenwald und ich auf die Reservebank.
Jetzt warten Sie also drauf, ins All zu fliegen.
Wir warten jetzt erst einmal darauf, dass wir mit der Ausbildung beginnen dürfen.
Wie groß, glauben Sie, sind Ihre Chancen, als erste deutsche Frau ins All zu fliegen?
Das ist eine sehr politische Frage, denn Sie fragen mich nach der Chance, dass es einen politischen Stimmungswandel in Deutschland gibt. Wir sind im Moment sehr klimabewusst unterwegs und nicht so technologieaffin. Große Visionen entsprechen nicht so dem Zeitgeist. Ich würde sagen, dass die Chance, dass sich das in den nächsten fünf bis zehn Jahren ändert, bei 50 Prozent liegt. Da wir zu zweit ausgewählt wurden, läge meine persönliche Chance bei 25 Prozent, vielleicht ein bisschen höher. Das ist nicht unendlich viel, aber viel mehr als bei den meisten Menschen.
„Ich möchte ins All fliegen, um dort wirklich etwas zu tun und an der Forschung und Entwicklung mitzuwirken. Die erste Frau Deutschlands im All zu sein, ist nicht der Hauptzweck.“
Warum wollen Sie eigentlich Astronautin werden?
Ich möchte ins All fliegen, um dort wirklich etwas zu tun und an der Forschung und Entwicklung mitzuwirken. Die erste Frau Deutschlands im All zu sein, ist nicht der Hauptzweck.
Was haben wir davon, wenn Sie im All forschen?
Man vergisst oft, dass dadurch der Innovationsgeist massiv befördert wird. Zum Beispiel wurden für die Raumfahrt Methoden entwickelt, wie CO2 aus der Luft herausgefiltert werden kann – sonst wäre in so einer geschlossenen Raumstation die Atemluft innerhalb kürzester Zeit vergiftet, weil die Astronauten Sauerstoff ein- und CO2 ausatmen. Das kann für unzählige Anwendungen auf der Erde sinnvoll eingesetzt werden. Auch der Einsatz von spezifischem Licht in Gewächshäusern kommt aus der Raumfahrt, denn der Anbau von Pflanzen auf einer Raumstation erfordert zwingend künstliches Licht und maximale Ressourceneffizienz.
Sie haben in Ihrer Zeit bei der Bundeswehr viele Überlebenstrainings absolviert. Was war das Heftigste, das Sie dabei erlebt haben?
Überlebenstrainings sind leider nie darauf ausgelegt, dass sie Spaß machen. Für mich waren die Trainings auf dem Wasser immer deutlich schlimmer als jene an Land. Es gibt da so ein Unterwasser-Hubschrauber-Ausstiegstraining. Das Szenario ist, dass man mit dem Hubschrauber vom Wasser abgeholt wird, der Hubschrauber aber crasht. Man muss sich unter Wasser aus dem Hubschrauber retten und dafür zehn bis zwölf Sekunden die Luft anhalten – das kommt einem vor wie eine Ewigkeit.
Auf was kommt es in solchen Grenzsituationen an?
Egal was passiert, man muss die Ruhe bewahren und Schritt für Schritt vorgehen, wie man es geübt hat. Die Panik muss man ins Danach verschieben. Der Trick dabei ist, ganz ruhig und langsam zu sprechen, sich zu bewegen und zu denken. Der eigene Körper reagiert darauf.
Lassen sich die Strategien aus Überlebenstrainings auf unsere Alltagskrisen übertragen, egal ob persönliche Krise oder Unternehmenskrise?
Krisen funktionieren immer gleich – oder besser: unsere menschliche Reaktion darauf. Deswegen sind auch die Mechanismen, damit zurechtzukommen, immer die gleichen. Wenn im Unternehmen alles schiefläuft, dann darf ich nicht aufgeregt zu den Mitarbeitern rennen, sondern muss langsam und klar sprechen und Anweisungen geben.
„Menschen sind nie richtig gut in etwas, weil sie so geboren wurden. Es ist alles gelernt. Auch Krisenbewältigung muss man lernen.“
Kann man Krisenbewältigung lernen?
Menschen sind nie richtig gut in etwas, weil sie so geboren wurden. Es ist alles gelernt. Auch Krisenbewältigung muss man lernen. Es geht nicht ohne Übungen und ohne Auseinandersetzung mit dem Thema.
Um Krisenbewältigung zu lernen, muss man Krisen also entweder durchmachen oder sie simulieren.
Idealerweise bleibt es bei der Simulation. Aber wenn es dann mal eine Krise gibt, dann darf ich diese Chance nicht ungenutzt lassen. Es gilt, strukturiert möglichst viel daraus zu lernen.
„Eine Führungskraft muss wie ein guter Bergführer sein. Sie muss nicht den perfekten Plan für alles haben, was kommt. Aber sie muss die Sicherheit vermitteln, navigieren zu können.“
Auf was kommt es bei der Kommunikation durch die Führungskräfte in einer Unternehmenskrise an?
Das Wichtigste ist transparente und ehrliche Kommunikation. Die Mitarbeiter werden irgendetwas mitbekommen, und dann entstehen Gerüchte. Daher ist es ganz schlecht, erst mal so zu tun, als sei da nichts oder als sei die Krise kleiner. Eine Führungskraft muss wie ein guter Bergführer sein. Sie muss nicht den perfekten Plan für alles haben, was kommt. Aber sie muss die Sicherheit vermitteln, navigieren zu können: Wenn wir ihm oder ihr hinterherlaufen, dann kommen wir da wieder raus.
Das gesamte Gespräch kann untenstehend angehört werden oder über Spotify, Apple Podcasts und Google Podcasts. Nicola Winter verrät im Podcast unter anderem auch, wie es sich anfühlt, einen Kampfjet zu fliegen und ob da nicht der Gedanke mitfliegt, dass aus Training bitterer Ernst in einem Kriegsgebiet werden könnte – inklusive Lebensgefahr. Sie erzählt, was aus ihrer Sicht gute Führung ausmacht und was das Erste wäre, was sie auf dem Mond sagen würde. Und sie sendet eine Liebeserklärung an Südtirol. Alle bisherigen Podcast-Folgen sind unter swz.it/podcast abrufbar. Neue Folgen gibt es jeden zweiten Mittwoch.
Dieses Interview ist in der gedruckten SWZ mit folgendem Titel erschienen: „Wir kommen da raus“
Info
Nicola Winter beim SWF24
Die Reserve-Astronautin und ehemalige Kampfflugzeugpilotin Nicola Winter ist eine der Vortragenden beim diesjährigen Südtiroler Wirtschaftsforum am 12. April von 12 bis 18 Uhr im Kongresszentrum MEC der Messe Bozen. Weiters referieren der gebürtige Algunder und Rektor der ETH Zürich Günther Dissertori, der langjährige Vorstandsvorsitzende der börsennotierten RWE Rolf Martin Schmitz, die für Amazon Web Services in Stockholm tätige Boznerin Annette Werth und der Re-Start-upper Nicola Baban. Zudem präsentieren sich in der Start-up-Arena ausgewählte Start-ups.
INFO Alle Informationen und Anmeldungen unter www.wirtschaftsforum.it. SWZ-Leser:innen erhalten bei Nennung des Vorteilscodes „swz*24“ einen zehnprozentigen Nachlass auf den regulären Ticketpreis.