Afing – „Nicht erschrecken: Ab der Abzweigung sind es noch ungefähr zehn Kilometer“, warnt Priska Reichhalter schon am Telefon. Tatsächlich landet wohl niemand zufällig im Unternehmen ihrer Familie. Es befindet sich in Afing, zehn Kilometer von Jenesien entfernt, oberhalb des Eingangs zum Sarntal. 550 Einwohner:innen hat das kleine Dorf. Das Gebäude von „Reichhalter Treppen“ liegt an dessen Ende.
Priska Reichhalter, ausgebildete Tischlerin und seit einigen Monaten Landesobfrau der Junghandwerker:innen im lvh, empfängt in der Eingangshalle, die gleichzeitig ihr Büro ist. Das Unternehmen, das ihr Vater gegründet hat, plant, produziert und montiert Treppen unterschiedlichster Art. Die 27-Jährige ist vor allem für den ersten Teil des Prozesses zuständig: „Ich habe den ersten Kontakt zu den Kunden und schaue, welche Treppe zu ihren Wünschen passt.“ Nach dem ersten Treffen mit der Kundschaft erstellt sie Zeichnungen, Renderings und Kostenvoranschläge und kümmert sich dann um die Unterzeichnung der Verträge. 250 bis 300 Treppen produziert und montiert das Unternehmen pro Jahr. Priska Reichhalters Bruder Alexander ist für die Arbeit in der Werkstatt zuständig, der Vater hingegen für die Montage. „Wir sind ein richtiger Familienbetrieb“, meint Priska Reichhalter. Insgesamt zählt das Unternehmen 13 Mitarbeitende.
„Den ganzen Tag im Büro sitzen, das liegt mir nicht“, sagt Priska Reichhalter. Und da klingt durch, wofür ihr Herz schlägt: fürs Handwerk.
Der Herbst ist für die Firma die stressigste Zeit des Jahres. Viele Bauherren und -herrinnen würden als Deadline für den Einzug Weihnachten festlegen, die Treppe ist meist eines der letzten Teile, die geliefert und montiert werden. Wenn es im Betrieb stressiger ist, arbeitet Priska Reichhalter auch in der Werkstatt mit, genauso wie bei der Montage. „Den ganzen Tag im Büro sitzen, das liegt mir nicht“, sagt sie. Und da klingt durch, wofür ihr Herz schlägt: fürs Handwerk.
Traumjob: Tischlerin
Schon von klein auf hatte Priska Reichhalter einen klaren Berufswunsch: Sie wollte Tischlerin werden. Über die Sommermonate half sie stets im Familienbetrieb aus. Trotz klarem Berufsziel entschied sie sich nach dem Abschluss der Mittelschule gegen eine Lehre: „Ich wollte unbedingt die Matura machen. Ich wusste zwar damals schon, dass ich in unserer Firma arbeiten wollte, aber es ist schön, mehr Wege offen zu haben.“ Von einem Bekannten hörte sie, dass es in Imst in Tirol eine fünfjährige Oberschule mit Schwerpunkt Holztechnologie und Innenraumgestaltung gibt. „Da fiel meine Entscheidung dann schnell“, erinnert sich Reichhalter. Die Eltern seien von der Idee, die erst 13-jährige Tochter nach Imst zu schicken, nicht begeistert gewesen. Zwischen Imst und Afing liegt immerhin eine vierstündige Fahrt. „Aber ich hatte mir das in den Kopf gesetzt und ließ mich davon auch nicht abbringen“, sagt Reichhalter.
Die Eltern sind von der Idee, die erst 13-jährige Tochter nach Imst zu schicken, nicht begeistert gewesen.
Nach der Matura kam sie zurück nach Südtirol und begann, im Familienunternehmen zu arbeiten. Um ihr unternehmerisches Wissen zu vertiefen, besuchte sie an den Wochenenden einen Masterlehrgang in Management und Unternehmensführung. Die ersten beiden Semester davon in Südtirol, im dritten verbrachte sie je eine Woche in London und in Salzburg. Anschließend machte sie noch den Meistertitel.
Unternehmerische Entscheidungen trifft der Vater heute gemeinsam mit dem Nachwuchs. „Die Stimmung bei uns ist sehr familiär, wir haben kaum Hierarchien“, sagt Reichhalter. Auch habe ihr Vater sie und ihren Bruder von Anfang an viel selbst machen lassen. Heute wissen die drei: Für das Unternehmen hat sich das gelohnt.
Erstes Ziel: einen neuen Markt erschließen
Als Priska Reichhalter und ihr Bruder vor einigen Jahren ins Unternehmen einstiegen, verfolgten sie ein gemeinsames Ziel: Sie wollten auf den deutschen Markt vorstoßen. Bis dahin stammten die Kundinnen und Kunden hauptsächlich aus Südtirol und dem norditalienischen Raum. „Unser Vater hat gesagt: ,Macht nur‘“, sagt Reichhalter.
„Auf dem deutschen Markt sind wir, anders als in Südtirol, vor allem im Hochpreissegment angesiedelt. Bei niedrigen Preisen sind wir in Deutschland nicht konkurrenzfähig.“
Also fuhren die beiden Geschwister zur Internationalen Handwerksmesse IHM nach München. „Wir standen dort zu zweit an unserem Stand – das war eine völlig neue Erfahrung für uns“, erinnert sich die 27-Jährige. Sie schafften es, den ersten Kunden zu akquirieren, der empfahl das Unternehmen dann weiter an einen Schwager, irgendwann kam auch ein Architekt ins Spiel. „So ist der Ball ins Rollen gekommen. Heute erwirtschaften wir 40 Prozent unseres Umsatzes in Deutschland“, sagt Reichhalter sichtlich stolz. „Auf dem deutschen Markt sind wir, anders als in Südtirol, vor allem im Hochpreissegment angesiedelt. Bei niedrigen Preisen sind wir in Deutschland nicht konkurrenzfähig“, meint die Unternehmerin. Noch weiter nach Norden wollen sie und ihr Bruder derzeit nicht vorstoßen. Anders sieht es im DACH-Raum aus: „Die Schweiz und Österreich sind als Märkte für uns aber noch ausbaufähig.“
Ein Preis für die innovativste Treppe
Wie bekannt das Unternehmen in Deutschland mittlerweile ist, zeigt eine Auszeichnung, die es im vergangenen Jahr entgegennehmen durfte. „Reichhalter Treppen“ wurde mit dem bayerischen Staatspreis für die innovativste Treppe geehrt. „Solche Preise geben uns und dem gesamten Team viel zurück. Sie zeigen uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“ Neben Projekten in Süddeutschland verwirklicht das Unternehmen immer mal wieder einzelne in Süditalien oder in Norddeutschland, eine Treppe wurde vor einigen Jahren sogar in Moskau montiert. „Solche Projekte im Ausland machen zwar stolz, sie sind für unseren Betrieb aber mit vielen Mühen und Kosten verbunden –sie dürfen deshalb nicht die Überhand gewinnen“, weiß Priska Reichhalter.
Viele Mitarbeiter – die 27-Jährige ist die einzige Frau in der Firma – seien Familienväter, zu viel Arbeit im Ausland sei deshalb nicht zumutbar. In ihrer Position im Unternehmen ist sie nicht abgehoben, sondern weiß um die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter. Immer wieder schwingt mit, wie bodenständig die Obfrau der Junghandwerker ist. So beschreiben sie auch Personen aus ihrem Umfeld: als eine, die mit beiden Füßen am Boden steht.
Selbstständigkeit: Freiheit und Verantwortung
Diese Bodenständigkeit spürt man auch, wenn die Tischlerin vom Selbstständig-Sein spricht: „Selbstständigkeit bedeutet für mich, Freiheit zu haben – und auch Verantwortung. Wobei … wahrscheinlich mehr Verantwortung als Freiheit.“
Die Selbstständigkeit äußert sich auch darin, dass die Grenzen zwischen Privatem und Beruflichem verschwimmen, sagt Reichhalter. Beim Essen mit der Familie – die 27-Jährige hat neben ihrem Bruder noch zwei weitere Schwestern – werde über die Arbeit gesprochen, auch aus dem Urlaub melde sie sich immer mal wieder. „Ich versuche aber gar nicht, eine Grenze zwischen Arbeit und Privatleben zu ziehen. Ich liebe meine Arbeit und ich will nicht nur für die Feierabende, die Wochenenden und die Urlaube leben“, unterstreicht Reichhalter.
Das Imageproblem des Handwerks
Vorerst hat sie ohnehin genug zu tun. Seit Mai ist Reichhalter die Obfrau der Junghandwerker:innen im lvh. Als solche arbeitet sie bei vielen Projekten mit – etwa bei einem Podcast, den die Junghandwerker:innen veröffentlichen –, ist in Schulen unterwegs und vertritt das junge Handwerk in der Öffentlichkeit. Das Ehrenamt nehme viel Zeit in Anspruch. „Das ist für mich nur möglich, weil auch mein Bruder voll hinter mir steht und mir in der Firma viel abnimmt.“
Als Obfrau der Jungen will sie unter anderem das Arbeiten ab 14 voranbringen und die Ortsgruppen der Junghandwerker im lvh ausbauen. In der Gesellschaft präsent zu sein, sei für das Handwerk wichtig. Nur so könne es langfristig Nachwuchstalente sichern.
„Immer noch haben manche Eltern die Einstellung, Handwerksberufe seien für andere ganz nett, für die eigenen Kinder aber doch nichts – so gehen viele talentierte Handwerker verloren, die im Job glücklich sein könnten.“
Eine weitere Angelegenheit, die sie als Obfrau angehen möchte: das Image des Handwerks. Damit zeigt sie sich noch nicht ganz zufrieden. „Immer noch haben manche Eltern die Einstellung, Handwerksberufe seien für andere ganz nett, für die eigenen Kinder aber doch nichts – so gehen viele talentierte Handwerker verloren, die im Job glücklich sein könnten“, findet Reichhalter. Dabei seien Handwerke sehr schöne Berufe. „Handwerker haben abwechslungsreiche Jobs, sie können kreativ sein und bekommen auch direktes Feedback von den Kunden oder von anderen Gewerken. Das ist sehr genugtuend.“
Eines der Probleme, das dem Image des Handwerks schadet, ortet die Obfrau der Junghandwerker:innen im falschen Bild, das weite Teile der Gesellschaft von vielen Handwerksberufe hätten. Sie nennt das Beispiel ihres eigenen Jobs: „Alle denken, ein Tischler stehe den ganzen Tag hinter einer Hobelbank. Dass wir aber mit hochmodernen CNC-Fräßen oder ganz anderen Materialien als Holz arbeiten, wissen viele nicht.“ Um dieses Bild zu korrigieren, sei es notwendig, dass das Handwerk viel in Schulen unterwegs sei, dass Betriebe die Türen aufsperren.
Nächster Schritt: Politik?
Wer mit Priska Reichhalter spricht, merkt schnell: Sie fühlt sich unter Menschen wohl. Sie erzählt gerne, ist sympathisch und redegewandt. Das bestätigen auch andere. Sie sei eine, die gut und gerne diskutiere, auch wenn im männerdominierten Handwerk dafür immer wieder Mut und Selbstbewusstsein nötig seien, heißt es aus ihrem Umfeld. Sie sei außerdem jemand, der Entscheidungen treffen könne – und dann zu 100 Prozent dahinterstehe. Ihre offene Art kommt der 27-Jährigen auch bei Kundengesprächen zugute. „Der Austausch mit Kunden, die richtige Treppe für sie zu finden, immer wieder neue Projekte anzugehen, das macht mir Spaß,“ sagt sie.
Ihre Offenheit dürfte Mitgrund dafür sein, dass ihr die SVP in diesem Jahr die Tür zur Politik aufmachen wollte: Im Frühling wurde Priska Reichhalter gefragt, ob sie kandidieren wolle.
Diese Offenheit dürfte auch Mitgrund dafür sein, dass ihr die SVP in diesem Jahr die Tür zur Politik aufmachen wollte: Im Frühling wurde Priska Reichhalter gefragt, ob sie kandidieren wolle. „Das wäre sicher spannend gewesen, aber ich habe abgelehnt“, so die 27-Jährige. Für die Zukunft schließt sie eine Kandidatur hingegen nicht aus. „Vorerst habe ich aber mit dem Betrieb und dem Ehrenamt genug zu tun.“
DIE SERIE In der Serie „Jung & hungrig“ stellt die SWZ junge Menschen in und aus Südtirol mit den verschiedensten Lebensläufen vor. Eines haben sie jedoch alle gemeinsam: Sie sind jung und hungrig nach Erfolg. Alle bisher erschienenen Artikel aus der Reihe finden Sie hier und in der SWZapp.