Bozen – 48,3 Jahre: So alt war der Südtiroler Landtag nach der letzten Landtagswahl im Jahr 2018. Die weitaus jüngste Gewählte war damals mit nicht einmal 25 Jahren Jasmin Ladurner (SVP). Nachdem Unregelmäßigkeiten bei der Spesenabrechnung von Dienstfahrten bekannt geworden waren, legte sie ihr Amt zurück und machte Platz für die 39 Jahre ältere Paula Bacher. Zählt man Jasmin Ladurner mit, waren 2018 acht Landtagsabgeordnete unter 40 Jahre alt, nur zwei – Ladurner und SVP-Obmann Philipp Achammer – waren damals unter 35. Mittlerweile ist niemand mehr jünger als 35 Jahre, nur noch einer ist unter 40: Achammer.
„Der nächste Landtag könnte noch älter werden“, vermutet der Politikwissenschaftler und Meinungsforscher Hermann Atz. Einerseits, weil die Abgeordneten, die heute im Landtag sitzen, natürlich älter werden, und andererseits, weil nur einzelne nicht mehr kandidieren wollen – und Amtsinhaber:innen in der Regel bessere Chancen als neue Gesichter haben. Im neuen Landtag werden die allermeisten Abgeordneten also wiederum zwischen 45 und 65 Jahre alt sein.
Die, die von den Entscheidungen der Politik am längsten betroffen sein werden, sind gleichzeitig die, die man auf der politischen Bühne vergebens sucht.
Auch in der Vergangenheit waren junge Gewählte eine Seltenheit. Philipp Achammer (SVP) und Sven Knoll (Süd-Tiroler Freiheit) gehören zu den wenigen, die als unter 30-Jährige ins hohe Haus eingezogen sind. Knoll wurde 2008 im Alter von 28 Jahren gewählt, Achammer gelang dasselbe fünf Jahre später im Jahr 2013. „Wir haben eine Schieflage im Landtag, was das Alter anbelangt. Das ist Fakt. Ich bin mit 38 Jahren der jüngste Abgeordnete des Landtages – das ist nicht das, was der Landtag widerspiegeln sollte“, übt Achammer Selbstkritik am politischen Betrieb.
Knoll sieht die Sache mit dem Alter ebenfalls kritisch: „Als ich 2008 in den Landtag kam, war ich mit 28 der Jüngste. Heute, 15 Jahre später, bin ich immer noch einer der Jüngsten. Das ist tragisch, denn die Politik, die wir machen, hat gerade Auswirkungen auf die Jungen.“ Damit hat er Recht: Die, die von den Entscheidungen der Politik am längsten betroffen sein werden, sind gleichzeitig die, die man auf der politischen Bühne vergebens sucht.
Das Dilemma mit dem Spiegelbild
Diese fehlende Repräsentation der Jungen – genauso wie der Betagten – sei auf ein Dilemma unserer Gesellschaft zurückzuführen, erklärt Atz. Diese hat dem Politikwissenschaftler zufolge zwei Ansprüche an die Politik. Wir wünschen uns (Anspruch Nummer eins), dass der Landtag als politisches Gremium eine Art Spiegelbild der Gesellschaft sein soll. Männer und Frauen sollen darin gleichermaßen vertreten sein, alle Bezirke und Sprachgruppen sowieso. Auf den ersten Blick gelinge das auch – zumindest teilweise.
„Viele Merkmale werden bei diesem vermeintlichen Spiegelbild aber komplett ausgeklammert, etwa der Beruf oder Bildungsgrad“, so der Politikwissenschaftler. „Wenn etwa fast alle Abgeordneten einen hohen Bildungsgrad haben und sozial bessergestellt sind, wird wenig Aufhebens drum gemacht.“ Grund dafür sei der zweite Anspruch, den die Gesellschaft an politische Gremien hat – und damit wären wir wieder beim Dilemma: „Der Großteil der Bürgerinnen und Bürger will, dass Politiker kompetent sind und sich bewährt haben, in der Politik oder im Beruf.“ Kurzum: Sie sollten die Besten der Besten sein, eine Art Elite, wie Atz findet. Beides gleichzeitig geht eben nicht – ein junger Kandidat, der beispielsweise erst vor zwei Jahren ins Berufsleben eingestiegen ist, kann sich noch nicht bewährt haben, genauso wie eine Lehrerin nicht dasselbe Vorwissen im rechtlichen Bereich haben könne wie eine Juristin.
Am Parlament in Rom sieht man besonders deutlich, dass unser politisches System zu Letzterem – den Gewählten als eine Art Elite – neigt, sagt Atz. 18 bzw. 21 Prozent der Abgeordneten bzw. Senatorinnen und Senatoren waren nach der Wahl im vergangenen Herbst Juristinnen und Juristen. Die Jungen sind in Rom eine Seltenheit: Nur drei der 400 Abgeordneten sind jünger als 30. Im Senat liegt das Mindestalter, um gewählt zu werden, bei 40 Jahren, Junge werden dort von vornherein vom politischen Mitgestalten ausgeschlossen.
Wo liegt das Problem?
Dieses Ungleichgewicht wäre an sich kein Problem, wenn die Juristinnen und Juristen die Interessen der Lehrpersonen, der Handwerker:innen und Landwirte und Landwirtinnen genauso gut vertreten würden wie die eigenen, wenn Männer Frauen gleich vertreten würden und ältere Generationen die Jungen. Doch das klappt nur begrenzt.
Viele Studien zeigen, dass sozial Bessergestellte oder Ältere von der Politik eher gehört werden. „Sie wissen besser, wie sie ihre Anliegen artikulieren können oder an wen sie sich wenden können, um ihre Ziele zu erreichen“, erklärt Atz. Zudem sind sie zahlenmäßig stark und gehen auch deutlich häufiger wählen. Die Folge: Die Themen der Randgruppen, genauso wie jene der Jungen, werden an den Rand gedrängt. „Das beste Beispiel sind die Demonstrationen gegen die Erhöhung des Renteneintrittsalters in Frankreich: Wer sich traut, die Themen der Älteren anzugreifen, wird bestraft“, sagt Atz.
„Was wäre, wenn wir beispielsweise bei bestimmten Abstimmungen nur noch unter 50-Jährige abstimmen lassen, wenn sie vor allem die jungen Generationen betreffen?“ Hermann Atz, Politologe
„Junge Leute sollten für junge Leute Politik machen“
Fragt man die Landespolitiker:innen, ob sich die Jüngeren am besten selbst vertreten sollten, bekommt man immer wieder dieselbe Antwort zu hören: „Grundsätzlich können auch ältere Generationen die Jungen vertreten, aber …“ Im Austausch mit den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen – ob jung oder alt – bekomme man einen guten Einblick in deren Sorgen und könne sie dementsprechend gut vertreten. Andernfalls sei es ja undenkbar, dass etwa eine 40-Jährige die Interessen der Seniorinnen und Senioren vertritt.
Gleichzeitig hätten die, die in einem gewissen Umfeld leben, den besten Einblick, welche die wirklichen Sorgen seien. Knoll sagt etwa: „Junge Leute sollten für junge Leute Politik machen. Ältere können die Jungen an die Hand nehmen und Türen öffnen, aber die Politik sollten diese selbst machen.“ Die grüne Landtagsabgeordnete Brigitte Foppa ist ähnlicher Meinung: „So wie wir den Blick von Frauen brauchen, brauchen wir den Blick von Jungen. Wenn wir nur ältere Generationen im Landtag haben, vergessen wir viele Themen.“
Die Jungen als schmückendes Beiwerk
Einige Vertreter:innen der Jungen würden dem Landtag also guttun. Den ersten Schritt in diese Richtung haben die meisten Parteien schon gemacht: Unter ihren Kandidatinnen und Kandidaten finden sich einige Junge. Das war nicht immer so, sagt SVP-Obmann Achammer. „Es gab Zeiten, in denen es uns viel schwerer gefallen ist. Die jungen Gewählten der vergangenen Legislaturperioden haben gezeigt, dass es auch Junge in den Landtag schaffen können. Das motiviert.“
Auch seiner Partei sei es leichtgefallen, einige Junge zu einer Kandidatur zu bewegen, so Sven Knoll: „Wenn man als Partei die Jugend ernst nimmt, ist sie auch bereit, sich zu engagieren.“
Kaum Überzeugungsarbeit habe es bei den Grünen gebraucht, berichtet Foppa. Ihre Partei wirbt damit, sechs unter 30-Jährige auf der Liste stehen zu haben. „Die Jungen dürfen aber nicht nur als schmückendes Beiwerk verwendet werden, damit eine Liste weniger alt aussieht, denn das macht etwas mit einer Generation.“ Deshalb stehe der Spitzenkandidat der „young greens“ – Zeno Oberkofler – auf Listenplatz vier. „Die Jungen haben dafür gekämpft, dass er einen der vorderen Listenplätze bekommt – und das ist auch gut so. Eine Partei muss das aushalten.“
Die fehlende Erfahrung wettmachen
Ob es am Ende jemand der Jungen in den Landtag schafft, wird sich zeigen. Leicht wird es sicherlich nicht. „Die Jungen müssen sich oft doppelt beweisen“, sagt Achammer. Sie brauchen Stimmen, wie jede:r andere Kandidat:in auch, dazu müssen sie die fehlende Erfahrung irgendwie wettmachen. Aber nicht nur das: „Ein Wahlkampf verlangt den Kandidaten viele Ressourcen ab, sowohl zeitliche als auch finanzielle“, so der SVP-Obmann. In seiner Partei etwa kostet ein Platz auf der Liste 5.000 Euro. Zwar müssen die zwei Kandidatinnen und Kandidaten der Jungen Generation diese Summe nur zahlen, wenn sie gewählt werden, trotzdem sind 5.000 Euro für einen 20-Jährigen kein Klacks.
Südtirols Wahlsystem, bei dem Kandidierende Vorzugsstimmen brauchen, um in den Landtag einzuziehen, ist ebenso nicht sonderlich hilfreich für die jungen Generationen. „In unserem System bestimmen die Vorzugsstimmen allein, wer gewählt wird. Das heißt, es zählen nur die Bekanntheit und die Beliebtheit“, sagt Hermann Atz. Zwar gebe es einige Senkrechtstarter wie Knoll oder Achammer, die sich schon früh einen Namen machen, in der Regel seien die Jungen aber weniger bekannt.
Ist die Übermacht der Älteren Teil der Demokratie in einer älter werdenden Gesellschaft?
Noch etwas macht es jungen Kandidatinnen und Kandidaten schwerer, an Vorzugsstimmen zu gelangen: der demografische Wandel. Die Gesellschaft wird älter und die Gleichaltrigen, die Junge wählen könnten, werden weniger. Schon lange können die jüngeren Generationen keine Wahl – und damit keine Inhalte – mehr entscheiden.
Ein Paradebeispiel dafür ist der Brexit. Hätten nur die jüngeren Generationen abgestimmt, wäre das Referendum heute nur ein Kapitel in den Geschichtsbüchern. Weil aber in einer Demokratie die Mehrheit entscheidet und die (älteren) Brexit-Befürworter:innen in der Überzahl waren, müssen nun die Jungen mit dieser folgenreichen Entscheidung leben.
Ist die Übermacht der Älteren also möglicherweise einfach Teil der Demokratie in einer älter werdenden Gesellschaft? Die Antwort von Atz kommt wie aus der Pistole geschossen: „Nein, das gehört nicht schicksalhaft zu einer Demokratie.“ Eine Demokratie müsse sich ständig weiterentwickeln und nach zeitgemäßen Wegen suchen, um alle gleichermaßen einzubeziehen. Dafür sollten neue Wege angedacht werden, findet Atz, über die wenigstens diskutiert werden sollte. „Was wäre, wenn wir beispielsweise an bestimmten Abstimmungen nur noch unter 50-Jährige teilnehmen lassen, wenn die Themen vor allem die jungen Generationen betreffen?“, fragt der Politologe. „Oder warum geben wir den Jugendparlamenten oder Jugendräten nicht ein sehr gewichtiges Wort in bestimmten Bereichen?“ Es könne Teil einer politischen Kultur werden, jüngere Generationen bei Entscheidungen, die vorwiegend ihre Zukunft betreffen, stärker einzubeziehen. „Die Landwirtinnen und Landwirte beispielsweise, die über die Zukunft von Wolf und Bär entscheiden möchten, reklamieren dieses Recht ja auch für sich und argumentieren, dass diese Frage die städtische Bevölkerung wenig angehe, weil sie nicht direkt betroffen sei. Warum also nicht auch den Jungen Exklusivrechte einräumen?“, fragt Atz. Solche Fragen seien ungemütlich, das stehe fest. Vielleicht ist es aber auch an der Zeit, sie zu stellen.
Dieser Artikel ist in der gedruckten SWZ mit folgendem Titel erschienen: Nix für Junge