Bozen – Die Statistik über die Arbeitsunfälle kehrt in den Medien regelmäßig zurück und ist tatsächlich beeindruckend. Pro Jahr werden dem Unfallversicherungsinstitut Inail allein in Südtirol zwischen 15.000 und 16.000 Arbeitsunfälle gemeldet. Im vergangenen Jahr waren es genau 16.084, das sind 44 pro Tag, Wochenenden miteingerechnet. Im ersten Halbjahr 2019 passierten laut einem Inail-Bericht von Ende Juli 9.287 Arbeitsunfälle. Vor allem aber: 2018 hatte Südtirol neun Arbeitsunfälle mit Todesfolge zu beklagen, im ersten Halbjahr 2019 waren es ebenso viele. „Morti bianche“ nennen die Italiener jene tragischen Fälle, bei denen Menschen von der Arbeit nicht mehr nach Hause kommen.
Jeder dieser Fälle ist einer zu viel. Freilich stehen in solchen Fällen regelmäßig die Arbeitgeber unter Anklage, die zu wenig für die Sicherheit tun. Dabei wird für die Arbeitssicherheit ungemein viel getan, schon allein weil dies der Gesetzgeber so fordert. Für die Arbeitssicherheit wird sogar so viel getan, dass das an und für sich bedeutende Thema sowohl von Arbeitgebern als auch von Arbeitnehmern zuweilen als Belastung wahrgenommen wird und die reine Pflichterfüllung vor das eigentliche Sicherheitsdenken rückt (siehe dazu eigenen Bericht auf dieser Seite). Aber während der Tod in der Freizeit als Kollateralschaden des Spaßes und der Tod im Verkehr als Laune des Schicksals schon eher akzeptiert werden, gilt der Tod am Arbeitsplatz in der öffentlichen Wahrnehmung als ungleich inakzeptabler.
Deswegen lohnt es sich, einige Zahlen in Relation zu setzen, was – das sei vorausgeschickt – gar nicht mal so einfach ist. Denn während Arbeits- und Verkehrsunfälle statistisch exakt erfasst werden, existieren zu Freizeit- und auch Haushaltsunfällen keine offiziellen Statistiken.
Ein paar Vergleiche lassen sich trotzdem anstellen.
- Laut einer Umfrage des Statistikamtes Istat passieren in Italien pro Jahr 3,3 Millionen Haushaltsunfälle, gegenüber knapp 650.000 Arbeitsunfällen.
- Umgerechnet auf Südtirol wären dies knapp 30.000 Haushaltsunfälle gegenüber den erwähnten 16.000 Arbeitsunfällen.
- Laut einer Erhebung des Landesstatistikinstitutes Astat waren im Winter 2017/18 auf Südtirols Skipisten 8.733 Personen in Unfälle verwickelt, wobei das Astat feststellt, dass „von einer höheren Anzahl ausgegangen werden kann“, da nicht alle Skipistenbetreiber Daten geliefert haben.
Auch ein Vergleich der Unfälle mit Todesfolge lassen den Arbeitsplatz ein bisschen weniger gefährlich aussehen als er zuweilen wahrgenommen wird. Den neun Todesfällen am Arbeitsplatz stehen 2018 fast viermal so viele Verkehrstote gegenüber, laut Astat waren es 33. Die Vereinigung Aineva hat in den Wintermonaten 2018/19 in Südtirol vier Lawinentote gezählt, wobei es in den vier Wintern zuvor sechs bis neun waren. In den drei Monaten zwischen Juni und August hatte Südtirol außerdem sieben Bergtote zu beklagen – in nur drei Monaten, wohlgemerkt.
Die Zahlen rechtfertigen keinen Arbeitsunfall, vor allem dann nicht, wenn die Sicherheit von wem auch immer vernachlässigt wurde. Aber sie können helfen, ein bisschen Verhältnismäßigkeit in die Sicherheitsdiskussion zu bringen.