Bozen – Jede:r sechste Arbeitnehmende hierzulande könnte sich vorstellen, in den nächsten zwei Jahren Südtirol zu verlassen. Dies hat eine Erhebung des Arbeitsförderungsinstituts Afi ergeben, die im aktuellen Sonderteil der Frühjahrsausgabe des Afi-Barometers ausgewertet wurde. Darin enthalten sind Fragen wie: Wer von Südtirols Arbeitnehmenden könnte sich, mit Blick auf die nächsten zwei Jahre, vorstellen, ins Ausland zu ziehen, wer in eine andere italienische Provinz? Was sind die Hauptbeweggründe für die Abwanderung bzw. warum bleibt man, umgekehrt, Südtirol treu? Und vor allem: Wie viele Arbeitnehmende sitzen sprichwörtlich auf gepackten Koffern?
Dazu Afi-Direktor Stefan Perini: „Dass Südtirol vor allem hochqualifizierte Arbeitskräfte ans Ausland verliert und geringqualifizierte importiert, ist bereits aus anderen Studien bekannt. Auf mittlere Sicht ist es entscheidend, diese Tendenz umzukehren. Vor allem aber muss bei den Arbeitgebern das Bewusstsein geschärft werden, dass in Zukunft der Faktor Mensch das knappe Gut sein wird und nicht Technologie oder Kapital.“
Hohe Abwanderungsrate
Im Jahr 2021 (letzter verfügbarer Wert) lag die Abwanderungsrate von Südtirolerinnen und Südtirolern ins Ausland laut Istat bei 3,6 pro 1.000 Einwohner:innen. Damit liegt Südtirol einmal mehr italienweit im Spitzenfeld, sicherlich zum Teil auch deshalb, weil Südtirol eine Grenzregion ist, die ein wirtschaftsstarkes und gleichsprachiges „Hinterland“ hat.
Laut Afi-Barometer ziehen 15 Prozent der Arbeitnehmenden in Südtirol die Möglichkeit in Betracht, in den nächsten zwei Jahren ins Ausland abzuwandern, während 17 Prozent die Möglichkeit nicht ausschließen, in eine andere Region Italiens zu ziehen (Achtung: Doppelnennungen waren möglich).
Was Arbeitnehmende ins Ausland zieht
Zu den Gründen, warum Arbeitnehmer erwägen, binnen 48 Monate ins Ausland oder in andere italienische Region zu ziehen, findet sich an erster Stelle der Wunsch nach einem „Wechsel des kulturellen Umfelds“ (von 29 Prozent der Befragten genannt). 25 Prozent geben an, dass sie „neue Erfahrungen sammeln“ möchten. Die Hauptbeweggründen betreffen also in erster Linie zwei Faktoren, die von der Wirtschaftspolitik nicht direkt steuerbar sind. Nicht so bei Faktor drei, nämlich der „Suche nach günstigeren sozioökonomischen Bedingungen, um die Kinder großzuziehen“ (von 20 Prozent der Abwanderungsbereiten genannt), gefolgt von „günstigeren Arbeitsbedingungen, die in Südtirol nur schwer verhandelbar sind“ (15 Prozent) bzw. der Aussicht nach einer „größeren und komfortableren Wohnung“ (neun Prozent). Nicht ohne Grund wird das begrenzte Wohnungsangebot und das teure Wohnen im Allgemeinen oft als Hindernis für die Attraktivität Südtirols als Arbeitsstandort und Lebensraum genannt.
Warum man in Südtirol bleibt
Die Umfrage zeigt aber auch Erfreuliches. Zunächst den Umstand, dass für knapp fünf von sechs Arbeitnehmenden die Abwanderung aus Südtirol keine Option ist. Die Beweggründe dieser Gruppe betreffen vor allem familiäre Bindungen (38 Prozent). 34 Prozent geben als Grund an, dass sie mit ihrer derzeitigen Lebensqualität ausreichend zufrieden seien. 22 Prozent geben als Grund schlichtweg „Heimatverbundenheit“ an.
Das Afi-Barometer
Das Afi-Barometer erscheint viermal im Jahr (Winter, Frühjahr, Sommer, Herbst) und gibt das Stimmungsbild der Südtiroler Arbeitnehmerschaft wieder. Die telefonisch geführte Umfrage betrifft 500 Arbeitnehmer:innen und ist für Südtirol repräsentativ. Die Interviews für die Frühjahrsausgabe des AFI-Barometers wurden im Zeitraum vom 1. bis zum 20. März 2024 geführt.