Bozen/Rom – Ist Giorgia Meloni eine Wölfin im Schafspelz, die Südtirol, seiner Autonomie und Sprachminderheiten schaden will? Oder verschafft sie uns mehr Zuständigkeiten und hilft dem Land, echte Problemwölfe zu jagen? Die neue italienische Regierung ist mittlerweile sechs Wochen im Amt, ganz schlau ist man aus ihr aber noch nicht geworden.
Bei der SVP jedenfalls hat die Regierung viele Pluspunkte gesammelt. So etwa durch die Nennung Südtirols in Melonis Regierungserklärung, in der die Ministerpräsidentin die Wiederherstellung verlorener autonomiepolitischer Kompetenzen in Aussicht stellte. Oder durch die Zusicherung, beim Wolfsthema auf die Tube zu drücken.
Auch was die nationale Sachpolitik betrifft, hält sich Kritik sehr in Grenzen. Angesichts der schwierigen Lage wäre die Angriffsfläche groß: Italien muss – wie andere europäische Länder auch – nicht nur die Coronafolgen verdauen, sondern auch eine Energiekrise, eine ausufernde Inflation und möglicherweise eine Rezession bewältigen.
Die ersten Entscheidungen
Der SVP-Kammerabgeordnete Dieter Steger etwa findet nur positive Worte nach den ersten Wochen der Meloni-Regierung: „Das decreto aiuti quater ist in bester Tradition mit den vorherigen Hilfsdekreten von Mario Draghi. Dass die Linie von Draghi weitergefahren wird, hat mich sehr beruhigt. Denn das heißt, dass die Regierung in der Krisenbewältigung zumindest bis jetzt dem Populismus widersteht und realitätsnahe Politik macht.“
Dasselbe gelte für den Haushaltsentwurf. Er sehe darin die Handschrift von Wirtschaftsminister Giancarlo Giorgetti, der wirtschaftspolitisch ähnlich wie Draghi gepolt sei, sagt Dieter Steger. „Der Entwurf enthält vernünftige Dinge. Dass zwei Drittel der Geldmittel für die Entlastung von den hohen Energiekosten verwendet werden, ist die völlig richtige Entscheidung“, meint der Parlamentarier, der betont: „Ich hoffe, dass die Regierung so weitermacht. Dann können die Südtiroler beruhigt sein.“
Die SVP-Senatorin Julia Unterberger bewertet das bisherige Tun der Regierung wesentlich kritischer: „Meloni macht genau das, was die rechten Wähler von ihr erwarten. Angefangen beim überzogenen Rave-Straftatbestand, über die Show rund um die Migranten und die NGOs bis hin zur Wirtschaftspolitik. Dort wird die Bargeldgrenze erhöht und der Erlass von Steuerschulden angekündigt. Das geht in die Richtung, potenzielle Steuerhinterzieher zu befriedigen. Zudem wird die Flat Tax ausgeweitet, die sehr unsozial ist.“
Die neue Regierung tue durchaus auch etwas für Arbeitnehmer:innen, aber der Fokus liege hauptsächlich auf den Wirtschaftstreibenden, bemängelt Unterberger. Und das, obwohl Giorgia Meloni auch von vielen Italiener:innen aus den unteren Einkommensschichten gewählt worden sei.
Noch härter geht Luigi Spagnolli mit der Meloni-Regierung ins Gericht. Der frühere Bürgermeister von Bozen, der für die Mittelinks-Koalition um den PD in den Senat gewählt wurde, sagt: „Ein Politiker sollte für das Wohlergehen des Volkes sorgen – aber nicht nur des heutigen Volkes, sondern auch jenes von morgen und übermorgen. Die heutige Bevölkerung kann zufrieden damit sein, wie die Regierung die Probleme löst, aber es wird nichts in die Zukunft investiert, sodass die Probleme auf die nächsten Generationen verschoben werden.“
Mit den Ressourcen im neuen Haushalt werden laut Spagnolli nur bestehende Löcher gestopft. Für Löcher, die sich in Zukunft auftun werden, werde hingegen keine Vorsorge getroffen. „Leider hat die Jugend in Italien kein großes Interesse, in die Politik zu gehen. Im Parlament sind wir alle ziemlich alt, sodass es kaum Möglichkeiten gibt, mit Vertretern der jungen Generation direkt zu diskutieren“, erklärt der Senator.
Es geht nur mit Europa
Als wichtige Investitionen in die Zukunft sieht Spagnolli etwa jene in die Berggebiete. Anders als in Südtirol sei die Bevölkerung im restlichen Italien in den vergangenen 50 Jahren aus den Bergen abgewandert, weil es niemandem wichtig gewesen sei, die Berggebiete zu stärken. Südtirols Politik habe es hingegen geschafft, den ländlichen Raum attraktiv zu machen, Traditionen und Gemeinschaften zu erhalten und Wohlstand zu erzeugen.
Ebenso wie Spagnolli bleibt auch Julia Unterberger skeptisch, was die neue Regierung betrifft. „Die einzige Beruhigung ist, dass Meloni es sich nicht mit Europa verscherzen darf. Sie ist verantwortungsbewusst und schlau genug, eine vorsichtige Gangart einzuschlagen. Denn Europa wird ganz genau auf Italien schauen“, unterstreicht die SVP-Politikerin.
„Bei der ersten Gelegenheit, wo es darum geht, ob man offen für die deutsch- und ladinischsprachige Minderheit ist oder ob man den zentralistischen Staat in den Mittelpunkt stellt, wird sich das wahre Gesicht zeigen.“
Das Bewusstsein, dass man nur mit und nicht gegen Europa arbeiten kann, um die Probleme unserer Zeit zu lösen, hebt auch Dieter Steger hervor. Er steht aber grundsätzlich positiv zur Meloni-Regierung: „Schon als ich die Ministerliste sah, dachte ich, diese Regierung könnte uns in Sachen Pragmatismus und Kompetenz überraschen. Und zumindest bis jetzt ist das der Fall. Die Voraussetzungen, dass diese Regierung gute Arbeit leisten kann, sind gegeben.“
Wirtschaftspolitisch gesehen sei es wichtig, die Unternehmen arbeiten zu lassen und Prozeduren zu vereinfachen, um die aktuellen Krisen zu meistern und Wirtschaftswachstum zu generieren. Andernfalls werde man den Wohlstand und die sozialen Standards nicht halten können, meint Steger.
Er hebt etwa Finanzminister Giorgetti, Europaminister Fitto, Außenminister Tajani, Energieminister Fratin, Unternehmensminister Urso und Verteidigungsminister Crosetto als erfahrene, fachlich kompetente und vernünftige Politiker dar. Mit Giorgetti, Fitto und Tajani habe zudem Südtirol gute Erfahrungen gemacht. „Und Regionenminister Roberto Calderoli, den wir seit 30 Jahren kennen und der unserer Autonomie immer wohlgesonnen war, ist ein Garant für uns“, betont Dieter Steger.
Südtirol-Politik mit großem Fragezeichen
Was kann Südtirol mit dieser Regierung effektiv erreichen? Steger erwartet sich nach Melonis Regierungserklärung ein offenes Ohr und einen neuen Schub für die Entwicklung der Südtirol-Autonomie. Er nennt die Bereiche Umwelt, Wettbewerb, Volontariat und Verwaltung, in denen mehr Zuständigkeiten wünschenswert seien.
„In den letzten Jahren hatten wir eigentlich keine besonders guten Erfolge. Am wenigsten – nämlich überhaupt nichts – haben wir mit dem vielgepriesenen Regionenminister Boccia durchgebracht, obwohl viele von einer befreundeten Regierung sprachen“, blickt Steger auf die Conte-Regierung aus Fünfsternebewegung und PD zurück, die innerhalb der SVP für gespaltene Meinungen sorgte.
Julia Unterberger meint, der Grund für die freundlichen Töne von Fratelli d’Italia gegenüber Südtirol sei die Landtagswahl im kommenden Jahr, bei der sich die Meloni-Partei als möglicher Partner der SVP positionieren wolle. Die Meraner Senatorin ist sich aber sicher: „Bei der ersten Gelegenheit, wo es darum geht, ob man offen für die deutsch- und ladinischsprachige Minderheit ist oder ob man den zentralistischen Staat in den Mittelpunkt stellt, wird sich das wahre Gesicht zeigen. Das ist unvermeidlich.“
Auch Luigi Spagnolli warnt: „In der Regierung sitzt eine Partei, die immer der größte Gegner der Autonomie gewesen ist. Die Rechten sind für einen zentralistischen Staat. Das haben sie in ihrem Blut – da können sie sagen, was sie wollen. Deshalb müssen wir wachsam bleiben. Die Rechten werden mit jeder Maßnahme versuchen, ihre Einstellung zu verwirklichen. Das ist die größte Gefahr für Südtirol.“