Kastelbell – Als die SWZ im Jahr 2016 Otto Gluderer porträtierte, sagte der Gründer und Geschäftsführer von Onlinestore: „Wir sind eine Firma, die extrem unter Strom steht. Wenn man sich im Web bewegt, muss das so sein. Internethandel ist ein knallhartes Geschäft. Wenn wir einen Tag nicht unter Strom stehen, sind wir weg vom Fenster.“
Sieben Jahre später ist die Firma tatsächlich so gut wie weg vom Fenster: Die Onlinestore GmbH steht vor einem gerichtlichen Ausgleichsverfahren. Betriebssitz, Lager, Software und Marke werden im Zuge dessen wohl verkauft.
Einer der größten Onlineshops Italiens
Otto Gluderer gehörte italienweit zu den Vorreitern im E-Commerce. Schon im fernen Jahr 1997 eröffnete der Vinschger seinen ersten Onlineshop, damals allerdings noch ohne Erfolg. Nach einem halben Jahr wurde der Shop aufgrund fehlender Nachfrage wieder geschlossen.
2001 dann ein neuer Versuch mit der Eröffnung der Website onlinestore.it. Diesmal war die Zeit reif. Schon bald wuchs das Unternehmen stark.
Verkauft wurden anfangs unter anderem importierte Digitalkameras, die in Italien sonst kaum zu bekommen waren. Zuerst brachte die Familie Gluderer die Pakete noch täglich zum Postamt in Naturns.
2011 übersiedelte Onlinestore von Naturns nach Kastelbell. Ab der zweiten Hälfte der 2010er-Jahre kletterte der Jahresumsatz auf über 50 Millionen Euro. Die Logistik wurde über immer mehr Lager in ganz Italien abgewickelt.
Otto Gluderer führte sein Unternehmen im Silicon-Valley-Stil: flache Hierarchien, freundschaftlicher Umgang, offene Kommunikation, gemeinsame Entscheidungen, Freizeiträume, zweimal wöchentlich ein geführtes Fitnesstraining – und viele gemeinsame Feiern. Für Mitarbeitende von auswärts stellte Onlinestore sogar unternehmenseigene Wohnungen zur Verfügung. Inzwischen ist Sohn David Gluderer alleiniger Verwalter des Unternehmens.
Zuletzt verkaufte Onlinestore die ganze Palette von Elektronik, darüber hinaus Haushalts- und Gartenartikel, aber auch Fahrzeugzubehör, Schönheits- und Freizeitprodukte. Das Unternehmen warb mit einem Onlinekatalog von über 70.000 Produkten.
Monatlich seien bei über einer Million Seitenaufrufen mehr als 30.000 Produkte verkauft worden, heißt es in einer Unternehmensbeschreibung.
Antrag auf ein Ausgleichsverfahren
Jetzt allerdings steht Onlinestore vor dem Aus. Derzeit läuft infolge einer Überschuldung ein Verfahren vor dem Bozner Landesgericht.
Die Fakten: Am 3. März 2023 stellten die Onlinestore GmbH und die WL Solution srl vor Gericht den Antrag auf ein sogenanntes Gruppenkonkordat. Die beiden Gesellschaften streben demnach ein gemeinsames Ausgleichsverfahren mit einem Sanierungsplan an.
Bei WL Solution handelt es sich um eine 100-prozentige Tochtergesellschaft von Onlinestore, die 2019 gegründet wurde. Die Gesellschaft mit Rechtssitz in Mailand hat als Zwischenstelle zwischen Onlinestore und dessen Logistikdienstleistern gedient.
Aus einem Dekret des Landesgerichtes geht hervor, dass den beiden Gesellschaften bis Anfang Juli Zeit gegeben wurde, einen Sanierungsplan vorzulegen. Der Plan wurde im Frühjahr hinterlegt. Diesem zufolge wird es Onlinestore in der bisherigen Form aber nicht mehr geben.
Das Kaufangebot
Der Gerichtskommissär im Fall Onlinestore ist der Wirtschaftsprüfer Michael Palla. Er teilt auf Anfrage mit, dass der hinterlegte Plan die Aufteilung in zwei separate Ausgleichsverfahren vorsieht. Die WL Solution srl bietet demnach eine Liquidierung an. Das Gesetz schreibt vor, dass die Gläubiger in diesem Fall 20 Prozent der Forderungen erhalten. Zudem sieht das Gesetz bei einem Ausgleichsverfahren mit Liquidierung vor, dass eine Kapitaleinlage von zehn Prozent der vorhandenen Aktiva zu tätigen ist, die vonseiten der Eigentümer zur Verfügung gestellt wird.
Die Onlinestore GmbH hingegen hat einen Ausgleich mit Unternehmensfortführung angeboten. Und zwar über einen Verkauf des operativen Betriebes.
Der noch unbekannten Insolvenzmasse stehen hohe Schulden gegenüber. Palla spricht von knapp sechs Millionen Euro.
Laut öffentlich zugänglichen Gerichtsunterlagen beantragte Onlinestore Ende Mai, einen Betriebszweig bestehend hauptsächlich aus immateriellen Gütern verkaufen zu können. Das Ansuchen für den Verkauf des Betriebszweiges erfolgte auf der Basis eines konkreten Kaufangebotes seitens der Progretio srl, einem italienischen Onlinehändler.
Gegenstand des Betriebszweiges sind unter anderem die gesamte Software, die Online-Plattformen (darunter eben onlinestore.it), die Marke Onlinestore und die verschiedenen laufenden Verträge. Außerdem ist im Kaufangebot die Übernahme der Arbeitsverträge von fünf Mitarbeitenden vorgesehen, darunter jener von Firmengründer Otto Gluderer.
Noch nicht in trockenen Tüchern
Am 9. Juni entschied das Landesgericht, dass weitere Interessensbekundungen für ein Kaufangebot eingeholt werden sollen. Nachdem ein weiteres Unternehmen sein Kaufinteresse für die immateriellen Teile von Onlinestore bekundete, leitete das Gericht zwei Wochen später ein Verkaufsverfahren in Form eines Wettbewerbs ein. Als Basispreis wurden 250.000 Euro festgelegt.
Am 12. Juli stand der Sieger des Verfahrens fest. Es handelt sich um die iCommerce srl aus Neapel, Eigentümerin des beliebten Onlinehändlers Prezzoforte, der etwas größer als Onlinestore ist. Verkaufspreis: 480.000 Euro.
iCommerce hat den Kauf per Pressemitteilung öffentlich gemacht. Darin heißt es, iCommerce werde durch den Kauf einer der wichtigsten rein italienischen Player im E-Commerce. Dank der über 20-jährigen Arbeit von Onlinestore könne man die Präsenz am italienischen Markt stärken und den Weg in die ausländischen Märkte, allen voran Frankreich und Deutschland, in Angriff nehmen.
Laut Gerichtskommissär Michael Palla muss das Landesgericht erst noch definitiv entscheiden, ob der vorgelegte Plan und damit das Ausgleichsverfahren von Onlinestore definitiv zugelassen wird oder nicht. „Es gibt einige rechtliche Aspekte in Zusammenhang mit dem Plan, die geklärt bzw. präzisiert werden müssen. Dem Schuldner wurde eine Frist bis zum 13. Oktober eingeräumt, um Stellung zu beziehen oder den Plan abzuändern“, erklärt der Wirtschaftsprüfer.
Wie es weitergeht
Wird das Ausgleichsverfahren definitiv zugelassen, hat der Gerichtskommissär die Aufgabe, allen Gläubigern von Onlinestore mitzuteilen, dass innerhalb einer bestimmten Frist die Abstimmung stattfindet. Vor der Abstimmung muss der Kommissär einen ausführlichen Bericht zum Fall hinterlegen.
Dieser Bericht soll klären, wie es zur Überschuldung gekommen ist und ob die Verwalter des Unternehmens eine strafrechtliche Verantwortung haben oder nicht. Auch ist ein Gutachten vorgesehen, ob der hinterlegte Plan tatsächlich die beste Lösung für die Gläubiger ist.
Nun sind die durch den Verkauf erzielten 480.000 Euro im Verhältnis zum Jahresumsatz von über 50 Millionen Euro nicht sonderlich viel. Laut Michael Palla sind allerdings noch die Immobilien hinzuzurechnen – vor allem der Betriebssitz in Kastelbell –, die separat versteigert werden sollen. Die Immobilien wurden gemäß einem Gutachten mit 2,3 Millionen Euro bewertet.
Diese Einkünfte würden zusammen mit vorhandenen liquiden Mitteln und noch offenen Forderungen in die Masse des Ausgleichsverfahrens fließen. Mit dieser Insolvenzmasse würden letztendlich die Gläubiger nach festzulegenden Aufteilungsplänen bedient.
Der noch unbekannten Insolvenzmasse stehen hohe Schulden gegenüber. Palla spricht von knapp sechs Millionen Euro.
Wie kamen die hohen Schulden zustande?
Nach Informationen der SWZ sind die finanziellen Probleme vor allem bei Onlinestore und weniger bei WL Solution aufgetreten. Kenner der Branche berichten von sehr geringen Margen im E-Commerce, wo die Konkurrenz in den vergangenen Jahren immer größer wurde.
Michael Palla will sich zu den Gründen nicht äußern. Man befinde sich immer noch in der Anfangsphase des Verfahrens, teilt er mit. Onlinestore-Gründer Otto Gluderer und der heutige Geschäftsführer David Gluderer waren für ein Gespräch nicht erreichbar.
Ein Blick auf die Unternehmensbilanzen zeigt jedenfalls: Im Geschäftsjahr 2021 erzielte Onlinestore zwar einen Umsatz von 50,2 Millionen Euro, schrieb gleichzeitig aber einen Verlust von etwas mehr als einer Million Euro. Die Bilanz für 2022 liegt noch nicht vor.
Im Geschäftsjahr 2020 hatte Onlinestore noch einen knappen Gewinn von 44.000 Euro geschrieben.
Im Bericht zum Geschäftsjahr 2021 nannte Alleinverwalter David Gluderer Abwertungen von Forderungen und Lagerbeständen als Gründe. Zudem habe das Unternehmen im Laufe von 2021 eine aggressive Preispolitik einiger Konkurrenten gespürt, was die Margen verringert habe.
Die letzte verfügbare Bilanz, die im Juni 2022 genehmigt wurde, ging auch auf die Entwicklungen in den ersten Monaten des Jahres 2022 ein. So heißt es, dass sich der italienische und weltweite Markt verändert hätten. Ausbruch des Ukrainekrieges, Inflation und Lieferkettenprobleme hätten Folgen für die Geschäftstätigkeit gehabt. Aufgrund der Unsicherheit hinsichtlich Kaufkraft der Verbraucher:innen sei die Nachfrage und damit das Auftragsvolumen rückläufig.
Alles in allem sind demnach sinkende Margen auf eine sinkende Nachfrage getroffen. Eine fatale Kombination.
Dieser Artikel ist in der gedruckten SWZ mit folgendem Titel erschienen: „Der Fall Onlinestore“