Eppan/Kaltern/Bozen – Ende April 2018. Ein Bus fährt von der Bozner Eiswelle los Richtung Stadtzentrum. Darin sitzen die Spieler des Hockey Club Bozen. Die Stimmung ist ausgelassen: Das Team hat in der eben zu Ende gegangenen Saison in der Erste Bank Eishockey Liga (EBEL, heute ICE) das Feld von hinten aufgerollt und als Underdog die Meisterschaft gewonnen. Am Waltherplatz warten schon die Fans, ein weiß-rotes Menschenmeer, das Fahnen und Schals schwingt, klatscht und singt. Einzeln werden die Spieler auf die Bühne gerufen und bejubelt. Einer von ihnen läuft mit seinem kleinen Sohn nach oben: Kapitän Anton Bernard.
„Ich habe bis heute Gänsehaut, wenn ich an diesen Moment denke“, sagt der Kalterer. Nach 13 Jahren beim HCB, davon vier als Kapitän, hat Bernard, Jahrgang 1989, vor Kurzem seine Karriere beendet. Sie hinterlässt neben schönen Erinnerungen gar einige Blessuren: einen kaputten Zahn, mehrere Rippenbrüche, einen entfernten Meniskus, Rückenprobleme. Für seinen Körper sei es ein guter Zeitpunkt gewesen, aufzuhören, stellt Bernard fest. „Ich habe gemerkt, dass ich die Belastung nicht mehr so leicht wegstecke.“ Bei den bis zu zehnstündigen Busfahrten sei er nur noch schlecht zur Ruhe gekommen.
Der ausschlaggebende Grund für seine Entscheidung, dem Sport den Rücken zu kehren, war allerdings ein anderer. Bernard wollte mehr Zeit mit seiner Familie verbringen – Frau Petra Colafati, Sohn Ian und Tochter Luna – und den Weg ins Berufsleben suchen. Während manche Sportler am Karriereende plötzlich vor der Frage stehen, was sie nun mit ihrem Leben anfangen sollen, machte sich Anton Bernard dazu bereits seit Jahren Gedanken. Ein Meilenstein war dabei die Inskription in den Bachelorstudiengang „Wirtschaft und Management“ an der Freien Universität Bozen im Jahr 2010, denn kurz davor war dem Kalterer klar geworden: „Mit Hockey werde ich nicht reich.“ Was war passiert?
Von Höhen und Tiefen
Bernards Karriere begann zunächst vielversprechend. Nachdem er die Nachwuchsabteilung in seinem Heimatort Kaltern durchlaufen hatte, wechselte er 2005 zu den Starbulls Rosenheim. Für den Verein spielte er zunächst für die Junioren- und später parallel dazu auch in der ersten Mannschaft in der Eishockey-Oberliga, der dritten deutschen Spielklasse. Der damals 16-jährige Anton entwickelte sich sportlich weiter, aber auch charakterlich. „Ich war Hotel Mama gewohnt und musste lernen, selbst zurechtzukommen, selbst zu putzen und zu kochen.“ Gar einige Male plagte ihn Heimweh, er vermisste Familie und Freunde. Doch er biss die Zähne zusammen und machte weiter.
Im Sport lernt man früh, mit Niederlagen umzugehen, aufzustehen und weiterzumachen. Das prägt mich bis heute.
Nach drei Saisonen und seinem Abi-Abschluss musste sich Bernard schließlich nach etwas Neuem umschauen. Sein Spielervermittler, der ihn als Toptalent betreute, verhalf ihm zu zwei Probetrainings in den USA, doch Bernard scheiterte an der großen Konkurrenz. „Im Sport“, sagt er, „lernt man früh, mit Niederlagen umzugehen, aufzustehen und weiterzumachen. Das prägt mich bis heute.“ Zorn oder Enttäuschung steht ihm deshalb kaum einmal im Gesicht geschrieben. „Meine Frau sagt oft zu mir: Zeig mal Emotionen“, lacht der 32-Jährige. „Aber dadurch, dass ich mich immer wieder selbst motiviere, kann ich diese negativen Gefühle gut umwandeln.“
So auch nach seinem Trip in die USA. Mit zahlreichen Erfahrungen im Gepäck kehrte er für die Saison 2008/2009 nach Bozen zurück, wo er seinen ersten richtigen Vertrag unterzeichnete. „Ich saß oft auf der Bank, habe aber viel von den älteren Spielern gelernt, vor allem die Bozner Siegermentalität“, blickt Bernard zurück.
Einer seiner Mitspieler, Mike Souza, vermittelte ihm zudem den Kontakt zum Trainer einer US-Mannschaft. Im Mai 2009 absolvierte er ein Probetraining für die Valley Jr. Warriors – und wurde prompt unter Vertrag genommen. Bernards Ziel war es fortan, ein Sportstipendium an einem College zu ergattern. Tatsächlich war die Erfüllung dieses Traums in greifbarer Nähe – scheiterte am Ende aber an einer Formalie. „Ich hatte in der Saison in Bozen ein festes Einkommen. Das schloss mich von allen Stipendien aus.“ Der Frust sei entsprechend groß gewesen, gesteht Bernard.
Für ihn hieß es nun, nach Europa zurückzukehren. Nachdem er bei einem Probetraining in Salzburg nicht das richtige Bauchgefühl hatte, klopfte Bernard kurzerhand beim HCB an. Es war der bereits angesprochene Moment, der Beginn einer mehrjährigen Karriere in Bozen, zugleich aber die Gewissheit: „Ich brauche einen Plan B.“
Wie viel verdient ein Südtiroler Hockeyspieler?
Fürs Wirtschaftsstudium entschied der Kalterer sich, „um eine breite Basis zu haben.“ Und weil ihn das Fachgebiet seit jeher interessierte, insbesondere Management. „Mein Wunsch war es eigentlich schon früh, selbst ein Team zu leiten und Verantwortung zu übernehmen. Vielleicht bin ich ja deswegen beim HCB Kapitän geworden“, lacht Bernard. Als solcher war er bei Spielern wie Fans beliebt. Lag das an seiner unaufgeregten und ruhigen Art? „Ich habe immer versucht, das Beste für alle Spieler rauszuholen.“ Doch selbst ein Toni Bernard kann mal laut werden – in den richtigen Momenten. „Wenn ich gemerkt habe, dass es das in der Kabine brauchte, habe ich das auch gemacht. Das war dann aber keine Kurzschlussreaktion, sondern eine rationale Entscheidung“, erklärt er.
Neben seinem Motivationstalent bewies Bernard während seiner Karriere vor allem Durchhaltevermögen, nicht nur auf dem Eis, sondern auch an der Uni. Nach dem Training fuhr er mit dem Stadtbus zum Campus, um Vorlesungen zu besuchen. Freie Tage verbrachte er allzu oft mit Lernen, ebenso Busfahrten zu den Spielen. 2016 durfte er endlich sein Diplom entgegennehmen.
Bereits etwas früher begann Bernard, sich mit dem Thema Altersvorsoge auseinanderzusetzen. Als Mannschaftssportler sind Eishockeyspieler nicht Mitglieder in einer der Sportgruppen der italienischen Militär- und Polizeiorganisationen. Die Vereine brauchen sich aufgrund der gesetzlichen Lage (Eishockey ist als Amateursport eingestuft) nicht um die Pensionseinzahlungen zu kümmern. Daran haben sie auch wenig Interesse, schließlich wären empfindliche Mehrkosten damit verbunden. Doch gerade für junge Spieler fehlt so eine Absicherung. Bernard wurde nicht müde, seine Mitspieler darauf hinzuweisen. „Ich habe mich mit Anfang, Mitte 20 damit beschäftigt und wäre selbst froh gewesen, wenn mir jemand schon mit 18 gesagt hätte, dass ich es machen sollte“, sagt er.
Mit einem Gehalt wie jenem der NHL-Spieler (mehrere Millionen US-Dollar pro Jahr) wäre die Frage nach der Rente schnell geklärt. In der ICE Hockey League verdienen Spieler im Schnitt hingegen 30.000 bis 40.000 Euro netto pro Saison, schätzt Bernard, je nachdem, bei welchem Verein sie spielen (an das Budget von Salzburg mit Sponsor Red Bull reicht niemand heran). In Italien können die Vereine 10.000 Euro pro Jahr steuerfrei ausbezahlen.
Als HCB-Crack konnte Bernard „ein ganz gutes Leben führen, für die Familie sorgen und ein wenig etwas zur Seite legen.“ Mehr aber auch nicht. Zudem war das Einkommen stark von der jeweiligen Prämie am Saisonende abhängig.
Was den 32-Jährigen stört, ist, dass es in der gesamten Liga eine Diskrepanz zwischen der Entlohnung von Legionären und einheimischen Spielern gebe, die häufig nicht gerechtfertigt sei. „Die Einheimischen sind Ansprechpartner für Medien und Fans, sie sind Identifikationsfiguren und tragen die Traditionen und Werte der Mannschaft weiter. Das sollte honoriert werden.“
Schon bald muss Bernard sich über derartige Ungereimtheiten keine Gedanken mehr machen. Er tauscht das Hockeytrikot gegen den Anzug ein – und wird Finanzberater.
Einfach wird es am Anfang sicher nicht, aber ich mag diese Welt und die Herausforderung.
Kopfsprung in ein neues Abenteuer
Seine neue Karriere beginnt er demnächst im Bozner Sitz des Mailänder Unternehmens Azimut (Investitionsvolumen: rund 60 Milliarden Euro). Das Multi-Family-Office bietet Lösungen im gesamten Finanzbereich an, von Pensionsfonds über Versicherungen bis hin zu Investitionsmöglichkeiten in Start-ups. Bernard wird dabei das neueste Mitglied eines erfahrenen Beraterteams und kann auf die Software, die künstlichen Intelligenzen und Analysten von Azimut zurückgreifen. „Das war mit ein Grund, wieso mich das Unternehmen überzeugt hat.“ „Und“, schmunzelt Bernard, „als Selbstständiger bin ich dann effektiv selbst für meine leistungsgerechte Entlohnung zuständig.“ Seine neue Rolle wird die des Vermögensberaters und -verwalters sein – Ansprechpartner für Private und Unternehmen gleichermaßen. „Einfach“, sagt er, „wird es am Anfang sicher nicht, aber ich mag diese Welt und die Herausforderung.“ Gerade paukt er für die Prüfung, um ins Berufsalbum der Finanzberater (geführt vom Organismo di vigilanza e tenuta dell’albo unico dei Consulenti Finanziari – OCF) aufgenommen zu werden.
Grund zum Feiern hat Bernard bald unabhängig vom Ausgang des Examens. Am 18. April feiert er seinen 33. Geburtstag. Vorsätze fürs neue Lebensjahr hat er sich keine gefasst. „Aber ich bin voller Energie und freue mich auf den Kopfsprung in ein neues Abenteuer.“
DIE SERIE In der Serie „Jung und hungrig“ stellt die SWZ junge Menschen in und aus Südtirol mit den verschiedensten Lebensläufen vor. Eines haben sie jedoch alle gemeinsam: Sie sind jung und hungrig nach Erfolg. Alle bisher erschienenen Artikel aus der Reihe können auf SWZonline oder über die SWZapp nachgelesen werden.