Bozen – Wenn Maicol Verzotto Vorträge hält, dann vergisst er eines nie zu erwähnen: „Eine gute Idee ist noch lange kein Business. Business ist alles, was nach der Idee kommt.“ Anders gesagt: Man setzt sich ein Ziel, beschäftigt sich für die Umsetzung desselben mit Details und arbeitet dann jeden Tag auf das Ziel hin. „Das ist beim Studium so, im Sport und auch im Unternehmerleben“, sagt Verzotto, der aus Erfahrung spricht: Er hat einen Bachelorabschluss in Wirtschaft von der Uni Bozen, er ist Profisportler und Start-upper.
Als Wasserspringer und Mitglied des italienischen Nationalteams ist der 30 Jahre alte gebürtige Brixner weltweit unterwegs – und das ziemlich erfolgreich: Er hat an Olympischen Spielen teilgenommen, eine WM-Medaille geholt und sich zum Europameister gekürt. „Ich trainiere täglich sechs Stunden – da gibt es mindestens fünf weitere, die ich Functional Gums widmen kann“, erzählt Verzotto.
Das Start-up Functional Gums wurde vor etwa fünf Jahren gegründet und brachte Ende 2013/Anfang 2014 Drive Gum auf den Markt, einen gluten- und zuckerfreien „Energiekaugummi“, der Fahrer dabei unterstützen soll, am Lenkrad konzentriert und wach zu bleiben – und zwar mithilfe von Koffein: Ein Kaugummi enthält die Dosis eines halben „Espresso“.
Die Idee zu dem Produkt kam Verzotto während eines Wettkampfaufenthaltes in China, wo ihm die vielen Kaugummi-kauenden Taxifahrer auffielen. Eine Onlinerecherche habe dann ergeben, dass Kaugummikauen die Aufmerksamkeit steigert, sagt Verzotto. „Darüber habe ich mit einem Bekannten gesprochen, dem bei einer Reise nach Hongkong dasselbe aufgefallen war. Wir haben uns dann gefragt: Könnte man einen Kaugummi herstellen, der genau für diejenigen gemacht wird, die beruflich viel fahren?“, erinnert sich Verzotto.
Besagter Bekannter ist Nazareno Mario Ciccarello aus Rom, ehemaliger Wasserspringer, mit beruflichen Erfahrungen bei internationalen Pharmaunternehmen und inzwischen Dozent an der IE Business School in Spaniens Hauptstadt Madrid. Ciccarello ist Geschäftsführer und Mitgründer von Functional-Gums. Gegründet wurde das Start-up von vier Initiatoren, darunter die Biologin und Ernährungswissenschaftlerin Ornella Bianchi, nachdem das Team zuvor Drive Gum bereits in privater Vorarbeit fast zur Marktreife gebracht hatte.
Doch die Geschäftsidee von Functional Gums geht über Drive Gum hinaus: Man möchte Kaugummis entwickeln, durch die Wirkstoffe an den Körper verabreicht werden. „Wirkstoffe werden über Getränke, Tabletten, Arzneien eingenommen, wir wollen den Kaugummi in diesem Bereich etablieren – ein Produkt, das besonders user-friendly ist“, sagt Verzotto. „Die Innovation dabei ist: Durch das Kauen gelangt der Wirkstoff über die Mundschleimheut deutlich schneller in den Blutkreislauf als bei anderen Aufnahmemöglichkeiten.“
Kürzlich hat das Bozner Start-up sein zweites Produkt lanciert: Natur Gum. Auch die Idee dazu hatte Verzotto auf Reisen: In Mexiko wurde er auf eine aus dem Harz des Sapotillbaums bestehende Alternative zum Kaugummi aufmerksam. „Dieses Harz ist dem Kaugummi, der ja ein chemisches Produkt ist und dessen Kaumasse zu einem großen Teil aus Kunststoff besteht, sehr ähnlich“, sagt Verzotto. „Auf Basis dieses Harzes entsteht Natur Gum aus ausschließlich natürlichen Zutaten, zuckerfrei sowie biologisch abbaubar.“
Mit Natur Gum sollen die Verkaufszahlen nun deutlich steigen, da die Zielgruppe eine sehr viel breitere ist als beim Nischenprodukt Drive Gum. Derzeit gibt es Natur Gum in drei Geschmacksrichtungen und als Vitamin-D-Nahrungsergänzungsmittel, weitere Varianten sollen in Kürze folgen. „Etwa auch ein Natur Gum Diet, der das Hungergefühl reduzieren und dadurch die Gewichtsabnahme unterstützen soll“, so Verzotto. „Außerdem arbeiten wir an einer Art medizinischem Kaugummi, mehr dazu möchte ich noch nicht verraten.“
Und wie läuft das Geschäft? „Unser Start-up wächst, seit dem ersten Jahr haben wir den break-even point erreicht und den Umsatz immer verdoppelt“, sagt Verzotto. „Anfang dieses Jahres haben wir eine beträchtliche Kapitalerhöhung gemacht, bei der zwei Investoren ins Unternehmen eingetreten sind.“
Die Gründung war indes ohne Investoren und auch ohne Bankkredit erfolgt – die vier Gesellschafter haben eigenes Kapital investiert (zwei der Gründer haben ihre Anteile mittlerweile an andere Gesellschafter abgegeben). Bis zur Rekapitalisierungsrunde fuhr Functional Gums eine „Selbstfinanzierungspolitik“, hat aber Leistungen der öffentlichen Hand in Anspruch genommen, war beispielsweise anfangs im Gründerzentrum des TIS und ist inzwischen im NOI Techpark angesiedelt.
Zurück zu den Investoren: 200.000 Euro haben sie ins Start-up eingebracht, vom Land Südtirol wurde die Summe im Rahmen eines Wettbewerbs verdoppelt. „Mit diesen 400.000 Euro können wir einiges voranbringen: Neben der Entwicklung neuer Produkte haben wir Mitarbeiter angestellt – derzeit beschäftigen wir zwischen fixen und freien rund sechs Personen –, intensivieren das Business Development und das Marketing“, führt Verzotto aus und fügt auch an: „Wir haben bei dieser Rekapitalisierungsrunde nicht nach reinen Geldgebern, sondern nach strategischen Partnern gesucht. Deshalb sind die Investoren keine Südtiroler, sondern ein Spanier, Eigentümer eines weltweit tätigen Pharmaunternehmens, sowie ein Finanzexperte, der ursprünglich aus der Lombardei stammt und ein enormes Network mitbringt.“
Wie wichtig Netzwerke für Start-ups sind, zeigt auch, dass die Investoren dank des Netzwerks der Functional-Gums-Macher gefunden wurden, das durch die Teilnahme an Conventions und Wettbewerben entstanden ist. „Den einen oder anderen Wettbewerb haben wir auch gewonnen“, sagt Verzotto. „Zum Beispiel vor einem halben Jahr die österreichische tobaccoland Startup-Factory. Tobaccoland ist Österreichs größter Tabakwaren-Großhandel – und dank des Sieges kommt Drive Gum nun nach ganz Österreich.“
Österreich zählt wie Italien und Spanien zu den wichtigsten Märkten des Bozner Start-ups, aber Drive Gum ist auch in anderen Ländern erhältlich – von China über Saudi-Arabien bis nach Guatemala. Derzeit werden die Kaugummis von Partnerunternehmen im oberitalienischen Raum hergestellt, in Bozen soll in nicht allzu ferner Zukunft ein kleiner Produktionsstandort entstehen. Doch je nachdem, auf welchem Markt die Kaugummis in den Verkauf kommen, könnten auch Hersteller im Ausland mit der Produktion beauftragt werden.
Bisher hat Functional Gums eine Wachstumsstrategie mit begrenztem Risiko verfolgt. „Wir haben versucht, konstant zu wachsen“, sagt Verzotto. „Doch wir möchten dieses Wachstum jetzt beschleunigen.“
Das ist wohl auch nötig, damit Verzotto nach dem Ende seiner sportlichen Karriere vom Unternehmerdasein leben kann. Denn noch ist er zwar Mehrheitseigentümer und Gesicht von Functional Gums, doch seinen Lebensunterhalt verdient er als Wasserspringer. „Bisher habe ich noch keine ‚Lira‘ aus dem Unternehmen erhalten“, sagt Verzotto.