SWZ: Herr Liensberger, wann ist es so weit, dass ich meine Artikel nicht mehr selbst tippe, sondern dass Cortana mein Diktat entgegennimmt und mich auch gleich korrigiert, wenn ich Details aus früheren Artikeln falsch in Erinnerung habe?
Christian Liensberger: Diese Frage ist schwer zu beantworten. Aber beide genannten Anforderungen – also die Erkennung von Sprache einerseits, und die Extrahierung von Information andererseits – sind bei Cortana teilweise bereits Realität. Cortana kann Sprache – und zwar 13 verschiedene Sprachen – schon gleich gut erfassen wie der Mensch und dabei Hintergrundgeräusche herausfiltern wie das menschliche Ohr. Und es kann beispielsweise Fragen oder Versprechungen in einem gesprochenen Text automatisch identifizieren und sie in eine Aufgabenliste einfließen lassen.
Das müssen Sie erklären.
Ohne die Zusammenhänge des Gehörten zu verstehen, erkennt das System Fragen oder Versprechungen, „notiert“ diese in einer Aufgabenliste und erinnert später den Nutzer daran. Zum Beispiel, dass bis Ende der Woche ein Brief zu schreiben ist, so wie das beim Telefongespräch erwähnt wurde. Intern testen wir diese Funktion ausgiebig.
Big Brother hört mit.
Es stimmt, dass diese Angst weit verbreitet ist. Und deshalb sind virtuelle digitale Assistenten wie Cortana, Siri usw. eine sensible Sache. Der Nutzer kann aber jederzeit entscheiden, was der Assistent für ihn erledigt. Er hat jederzeit die volle Kontrolle und kann auch alles, an das sich der Assistent erinnert, löschen. Das System lernt auf dieser Basis mit, was es tun soll und was nicht. Wir sind uns bewusst, dass der Assistent tief in die Gewohnheiten des Menschen eingreift und deshalb auch als Bedrohung wahrgenommen werden kann. Vielmehr soll der Assistent aber das Leben erleichtern, dem Nutzer sozusagen Superkräfte verleihen, weil der Assistent etwa das Erinnerungsvermögen erhöht, egal, ob es sich um Termine oder Geburtstage handelt. Oder weil er eine Warnungsmeldung abgibt, da ein verabredeter Termin nicht zur üblichen Arbeitszeit passt. Oder weil er gewünschte Textpassagen aus früheren E-Mails sucht und in ein neues E-Mail überträgt. Das Entwicklungspotenzial ist enorm. Wir stehen erst am Anfang.
Klingt aufregend. An welchen Funktionen wird sonst noch gearbeitet?
Microsoft hat ja ein tastaturloses Gerät angekündigt, das am Küchentisch steht und mit dessen Hilfe der Assistent gebeten werden kann, etwas nachzuschlagen, wenn Sie beim Kuchenbacken beide Hände besetzt haben. Sie können dem Assistenten auch sagen, dass er Sie beim nächsten Einkauf daran erinnert, die Nutella nicht zu vergessen. Oder Sie sagen dem Assistenten, dass er Sie beim nächsten Telefonat daran erinnern soll, mit Ihrem Kollegen über ein bestimmtes Projekt zu sprechen.
Wie viele Menschen nutzen Cortana bereits?
Über 100 Millionen Menschen verwenden Cortana mindestens einmal im Monat – bisher vor allem in den USA und in größeren europäischen Ländern. Cortana ist mit seinen Basisfunktionen ja bereits in Windows 10 integriert. Es kann vorgenommene Flug- und Hotelbuchungen erfassen, es kann sich aktiv bei ungünstigen Wettervorhersagen für bestimmte Gegenden melden, es kann aktiv gewünschte Informationen liefern, zum Beispiel für ausgewählte Fußballmannschaften. Wir testen schrittweise neue Funktionen und liefern sie aus.
Sie sind überzeugt, dass die Menschen künftig Cortana – und andere virtuelle Assistenten – so selbstverständlich nutzen wie heute das Internet, sowohl privat als auch beruflich?
Die virtuellen Assistenten sind eine ähnliche Revolution wie das Internet. Die Technologien verändern unser Leben, und sie vereinfachen es. Sie werden uns das Leben so weit erleichtern, dass Zeit für Familie, Freizeit und andere wichtige Dinge frei wird.
Vielen Menschen macht solcherlei künstliche Intelligenz Angst. Arbeiten Sie gewissermaßen an der Abschaffung des Menschen?
Die Technologie ist noch meilenweit davon entfernt, Menschen ersetzen zu können. Die Assistenten sind kein Menschenersatz, sondern ein Menschenhelfer – ein Assistent eben. Damit haben nicht mehr nur Chefs ihre Assistenten, sondern jeder Mensch kann einen haben. Im Übrigen wurden mit der Automatisierung längst viele niederqualifizierte Arbeiten wegrationalisiert.
Wie dürfen wir uns den typischen Arbeitstag bei Microsoft vorstellen? Stimmt das Bild vom Unternehmen, das die Mitarbeiter mit Haut und Haar vereinnahmt, das die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen lässt, das mit konzerneigenen Fitnessräumen und Ähnlichem dafür sorgt, dass die Mitarbeiter irgendwie ständig miteinander Zeit verbringen und Pläne schmieden?
Den typischen Arbeitstag gibt es nicht. Die Arbeitszeiten sind flexibel, theoretisch könnte ich auch von zu Hause aus arbeiten. Bei Microsoft zählt nicht die physische Präsenz, sondern die Leistung. Tatsächlich bietet Microsoft sehr viele Leistungen – vom Essen bis zu Freizeitbeschäftigungen –, aber weil mittlerweile viele langjährige Microsoft-Mitarbeiter Familie gegründet haben, wird viel Wert auf die Work-Life-Balance gelegt.
Microsoft macht sich im Curriculum als berufliche Station gut. Ist es folglich ein Magnet für junge, ehrgeizige Leute aus aller Welt?
Ja, das ist bei Microsoft der Fall – auch aufgrund seiner offenen Unternehmenskultur. Menschen aus aller Welt sind nicht nur willkommen, sondern regelrecht erwünscht, weil sie mit ihren unterschiedlichen kulturellen Hintergründen, Erfahrungen und Einblicken dazu beitragen, dass die Microsoft-Produkte überall auf der Welt funktionieren können.
Gibt es etwas, was Südtiroler Unternehmen von Microsoft lernen können?
Vor allem ist es diese Willkommenskultur. Unterschiedliche Meinungen und Sichtweisen werden als Stärke betrachtet, die genutzt werden muss. Die Herkunft spielt keine Rolle, und das hat es mir ermöglicht, Freundschaften in aller Herren Länder zu knüpfen. Südtirol ist diesbezüglich noch sehr verschlossen. Aber auch in Südtirol wächst die Zahl an Zugewanderten.
Es heißt immer, Südtiroler haben tiefe Wurzeln. Sehnen Sie sich nie nach Südtirol mit seiner Lebensqualität?
Südtirol hat wirklich eine Wahnsinns-Lebensqualität, und jedes Jahr komme ich sehr gerne ein- bis zweimal zurück. Es kommt nicht von ungefähr, dass meine Frau – eine Japanerin – und ich im vergangenen Jahr in Brixen geheiratet haben. Mit Südtirol verbinden mich viele Erinnerungen, ich verfolge das Südtiroler Geschehen, und ich gestehe, dass ich einen Teil der Südtiroler Traditionen vermisse.
Ist eine Rückkehr nach Südtirol für Sie vorstellbar?
Ich bin jetzt seit acht Jahren in Seattle, zuvor lebte ich sechs Jahre in Wien. Wie gesagt, ich komme immer gerne nach Südtirol zurück, meine Frau möchte irgendwann nach Europa ziehen. Aber es ist schwer, in Südtirol eine Arbeit mit ähnlichen Möglichkeiten wie bei Microsoft zu finden.
Hat sich Ihr Blick auf Südtirol in den acht Jahren bei Microsoft verändert?
Zweifelsohne prägt das Leben fern von Südtirol – und in einem multikulturellen Unternehmen wie Microsoft. Die Südtiroler haben bestimmte unverrückbare Prinzipien, im Positiven wie im Negativen. Ich möchte jetzt nicht besserwisserisch klingen, aber man kann vieles von anderen Kulturen und Menschen lernen.
Sind wir Südtiroler verwöhnt?
Es geht den Südtirolern sehr gut. Das Land und die Leute haben viel zu bieten, und wenn gejammert wird, dann auf hohem Niveau.