SWZ: Herr Tschöll, was dürfen die Wirtschaftstreibenden vom neuen SVP-Wirtschaftschef erwarten? Wird er ein braver Parteisoldat sein oder eine unbequeme Stimme?
Josef Tschöll: Grundsätzlich bin ich jemand, der sachlich ist. Sachlichkeit schließt aber nicht klare Meinungsäußerungen aus, selbst wenn die Meinung unbequem ist.
Wie sehen Sie das Nahverhältnis von SVP-Wirtschaftssauschuss und Südtiroler Wirtschaftsring bzw. Wirtschaftsverbänden? Ist es gesund, wenn die Gremien weitgehend deckungsgleich sind?
Wenn ich mir die Parteienlandschaft ansehe, dann verfügt die SVP als einzige Partei über einen starken Wirtschaftsflügel. Deswegen liegt eine enge Zusammenarbeit mit dem Wirtschaftsring nahe. Oder sollten sich die Wirtschaftsvertreter Ihrer Meinung nach eher an den Grünen mit ihrer Blockadepolitik oder an den Freiheitlichen mit dem omnipräsenten Ausländerthema orientieren?
Die Wirtschaft hat in der öffentlichen Meinung einen schweren Stand, wie zuletzt auch der Ausgang der drei Volksabstimmungen in Mals, Brixen und Mühlbach gezeigt hat: Dreimal haben die Menschen gegen das gestimmt, was die Wirtschaft propagiert hat. Geht es den Südtirolern zu gut oder geht die Wirtschaft zu weit?
Südtirol ist derzeit von einer äußerst wirtschafts- und unternehmerfeindlichen Stimmung geprägt. Wir haben eine Neidgesellschaft, die mich nachdenklich stimmt. Und weil Sie die Referenden ansprechen: Sie haben ein Referendum vergessen, und zwar jenes für den Bau eines E-Werkes in der Achenrainschlucht in Ratschings. 97 Prozent der Gemeindebevölkerung haben sich für das E-Werk ausgesprochen, weil es der Gemeinde Einnahmen sichern würde. Was aber tun die Gegner? Sie akzeptieren das Ergebnis nicht und rekurrieren. Welche direkte Demokratie ist das, wenn sie von den Anti-Wirtschafts-Kräften nur akzeptiert wird, wenn sie gewinnen?
Noch einmal: Ist die Wirtschaftsfeindlichkeit darauf zurückzuführen, dass der allgemeine Wohlstand den Eindruck erweckt, Arbeitsplätze würden vom Himmel fallen?
Ohne Investitionen in die Zukunft wird der Wirtschaftsraum schrittweise geschwächt. Es muss uns gelingen, das der Bevölkerung zu vermitteln. Was wäre Südtirol ohne MeBo, Trauttmansdorff und andere einst umstrittene Investitionen? Über die direkte Demokratie muss dringend noch einmal diskutiert werden, denn in der aktuellen Form gibt sie zu viel Raum für Emotionen. Und das ist gefährlich.
Ist der Wirtschaftsvertreter Josef Tschöll zufrieden mit der Arbeit der neuen Landesregierung in ihren ersten acht Monaten?
Aus meiner Sicht hat die Landesregierung gut gearbeitet. Sie hat Steuersenkungen beschlossen, und sie hat große Reformprojekte in Angriff genommen, zum Beispiel im Gesundheitswesen und in der Raumordnung. Ich habe den Eindruck, dass der Landeshauptmann fest entschlossen ist, die Reformen durchzuziehen. Deswegen verfolge ich derzeit mit Verwunderung, dass Arno Kompatscher Entscheidungsschwäche vorgeworfen wird.
Sie sind ja im Arbeitsrecht zu Hause: Was halten Sie davon, dass die Landesregierung die Entstehung von Arbeitsplätzen für Hochqualifizierte fördert, indem sie einen Teil der Lohnkosten übernimmt?
Im Prinzip bin ich gegen jede Förderung, die nur einen Mitnahmeeffekt generiert – in der Wirtschaftsförderung, aber auch in anderen Bereichen. Solche Förderungen gehören gelöscht. Südtirol muss die knapper werdenden Mittel gezielt auf Schwerpunkte konzentrieren und dabei gut überlegen, welches die Schwerpunkte sein sollen, denn Förderungen bergen auch Gefahren. Es ist wie bei den Engländern, die einst in Indien der Rattenplage Herr werden wollten, indem sie für das Töten von Ratten Beihilfen verteilten. Die Ratten verschwanden trotzdem nicht – weil sie von jemandem gezüchtet wurden, um dann Beihilfen kassieren zu können.
Und was ist nun mit der Hochqualifizierten-Förderung?
Von Ausnahmen abgesehen, schafft sie weitgehend nur einen Mitnahmeeffekt. Meines Erachtens wäre es sinnvoller gewesen, eine Sensibilisierungsoffensive für die sogenannte Höhere Lehre zu starten, die kaum genutzt wird. Dabei schließt der interessierte Betrieb direkt mit einer Universität ein Abkommen, in der Regel für ein Forschungsdoktorat, und nutzt die Sozialabgabenreduzierung sowie Irap-Befreiung des Staates. Der bürokratische Umweg über die Beitragsverteilung würde vermieden, ein finanzieller Anreiz wäre trotzdem gegeben, und der Mitarbeiter befände sich in einem stabilen Arbeitsverhältnis.
Der Unternehmerverband hat einen Vorschlag mit konkreten Zahlen vorgelegt, wo das Land sparen könnte – auch bei den Förderungen – und wie im Gegenzug Landessteuern gesenkt werden könnten. Weniger Landesausgaben und im Gegenzug weniger Steuern: Wird der UVS für diesen Wunsch einen Verbündeten in der SVP-Wirtschaft finden?
Sicher. Unser Beitragssystem inklusive Bürokratie führt uns in die Sackgasse.
Thema Breitbandinternet: Viele Wirtschaftstreibende, vor allem in der Peripherie, ärgern sich über die ständigen Beteuerungen der Politik, wonach der Ausbau von schnellen Internetverbindungen massiv vorangetrieben wird. Sie spüren nämlich nichts davon. Tut die Landesregierung zu wenig?
Wir dürfen nicht vergessen, dass der Breitbandausbau in einem Bergland wie Südtirol schwierig und kostspielig ist. Nichtsdestotrotz hat das Land viel getan. Vielmehr liegt jetzt der Ball bei den Gemeinden, die die Verwirklichung der letzten Meile in Angriff nehmen müssen. Dazu steht über die Südtirol Finance ein Rotationsfonds zur Verfügung, und den gilt es massiv zu nutzen. Das ist lebensnotwendig für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen.
Sind Sie als Wipptaler SVP-Vertreter eigentlich glücklich damit, wie die Landesregierung die Reform des Gesundheitswesens angeht? Gesprochen wird vor allem von den peripheren Krankenhäusern, während Bozen mit Samthandschuhen behandelt wird.
Bei diesem Thema kochen derzeit die Emotionen hoch, und leider gibt es auch ein Kommunikationsproblem, weil die Informationen nur scheibchenweise ans Licht kommen. Grundsätzlich ist die Sanitätsreform zu machen, und bei einem Budget von knapp 1,2 Milliarden Euro kann mir niemand weismachen, dass es kein Sparpotenzial gibt, vor allem im Verwaltungsbereich. Und wenn es stimmt, dass in Bozen die Kosten für gewisse Abläufe bedeutend höher sind als in anderen Spitälern, dann ist auch dort anzusetzen. Die Frage ist auch, ob man die öffentliche Sanität nicht entlasten könnte, indem der Privatinitiative mehr Platz eingeräumt wird.
Wie meinen Sie das?
Über die sogenannten Sanitätsfonds fließen viele Millionen nach Rom ab, die wir in Südtirol gut brauchen könnten. In zahlreichen Kollektivverträgen sind Einzahlungen in die Sanitätsfonds vorgesehen, welche den Arbeitnehmern dann im Bedarfsfall Leistungen ausbezahlen sollten, die über die öffentlichen Sanitätsleistungen hinausgehen. Das Problem ist, dass die Leistungen der gesamtstaatlichen Fonds hierzulande bereits vom gut funktionierenden öffentlichen Gesundheitswesen abgedeckt werden. Ein eigener Südtiroler Sanitätsfonds könnte also gezielt weiterführende Leistungspakete schnüren, und tatsächlich waren die Gespräche von Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften über einen eigenen Südtiroler Fonds bereits weit gediehen. Dann ist die Sache versandet. Derweil fließen die Millionen nach Rom ab, ohne dass sie den Südtirolern nützen.
Was halten Sie eigentlich von Matteo Renzi?
Viel. In einem erstarrten Land ist ein junger, dynamischer Politiker wie er die einzige Chance. Natürlich lassen jetzt alle möglichen Blockierer den Jungspund auflaufen.
Gerade in Ihrem Metier, dem Arbeitsrecht, will Renzi jetzt das schaffen, woran seine Vorgänger kläglich gescheitert sind, nämlich die Aufweichung des Kündigungsschutzes. Sie dürften ihm die Daumen drücken, oder?
Die Reform, wie sie jetzt im Raum steht, ist eh bereits nur eine halbe Reform, weil sie nur für Neuanstellungen gilt. Wenn diese halbe Reform noch einmal verwässert wird, dann können wir es gleich bleiben lassen. Und wenn die Mahnungen von neutralen Strukturen wie EU, EZB und Banca d’Italia nicht ernst genommen werden, dann ist den Italienern nicht mehr zu helfen. Meines Erachtens ist die Aufweichung des Kündigungsschutzes jene Nagelprobe, welche entscheidend sein wird für die künftige Reformkraft Renzis. Ein Scheitern beim Kündigungsschutz würde ihn enorm schwächen.
Schließen Sie es aus, dass Sie demnächst auch in die bezahlte Politik einsteigen?
Das schließe ich aus. Ich trage Verantwortung für meine Mitarbeiter, weswegen ich mich nicht in die Politik als Vollzeitjob stürzen kann und will. Ich kann mich politisch gut auch über das Ehrenamt einbringen. Ich habe als Freiberufler sehr von diesem funktionierenden Südtirol profitiert, und über das politische Ehrenamt versuche ich etwas zurückzugeben. Sagen Sie ruhig, das sei eine Floskel. Ich empfinde es aber so.