SWZ: Überall heißt es, uns gehe wegen der Digitalisierung die Arbeit aus. In weiten Teilen Europas gehen uns derzeit aber vielmehr als die Arbeit die Arbeitskräfte aus. Werden da unnötig Ängste geschürt?
Markus Tomaschitz: Das sind teilweise tatsächlich unnötige Ängste, ausgehend von der berühmten – und mittlerweile widerlegten – Frey/Osborne Studie, wonach 40 bis 50 Prozent der Berufe verschwinden werden. Es fallen Tätigkeiten innerhalb von Berufen weg, ja. Aber ganze Berufe verschwinden nur im Ausnahmefall. Und wenn sie verschwinden, machen sie Zeit frei für andere Tätigkeiten und Berufe, die wir vermehrt brauchen. Ich bin diesbezüglich absolut nicht pessimistisch. Schauen Sie sich die aktuelle Situation an: Es mangelt an spezialisierten Arbeitskräften genauso wie an einfachen Arbeitern. Wir haben bei AVL allein in Graz derzeit 200 offene Stellen, von denen wir ein Drittel seit einem Jahr nicht zu besetzen imstande sind.
Nichtsdestotrotz haben Sie in einem Interview einmal gesagt: „Arbeit für alle war gestern.“
Die Arbeit für alle ist insofern unrealistisch, als wir mit einem gewissen Sockel an nicht qualifizier- und integrierbaren Menschen einfach rechnen müssen. Ich gehe davon aus, dass dieser Sockel wächst und je nach Land und Region zwischen fünf und zehn Prozent der Menschen umfassen wird.
Was tun mit diesen Menschen? Brauchen wir ein bedingungsloses Grundeinkommen?
Meines Erachtens sind in unserem gut ausgebauten Sozialstaat die Anreize, sich eine Arbeit zu suchen, für bestimmte Gruppen von Menschen schon heute nur mehr schwach ausgeprägt. Dies vorausgeschickt, betrachte ich ein bedingungsloses Grundeinkommen auf breiter Ebene für nicht finanzierbar. Interessant finde ich den Ansatz einer Technikdividende, das heißt dass ein Teil der Dividende, die die Unternehmen aus der Digitalisierung und den entsprechenden Einsparungen schöpfen, für jene Menschen aufwendet wird, die keine Arbeit finden. Das wäre dann eine Art Grundeinkommen für diese klar definierte Personengruppe.
Wie kann es gelingen, diese Gruppe von Menschen möglichst klein zu halten?
Wir Unternehmen müssen mit dem Bildungswesen viel stärker zusammenarbeiten und die jungen Leute ganz früh für Berufe interessieren, welche die Unternehmen brauchen. Vielfach kennen sie die Berufe gar nicht, und deshalb lernen alle das Gleiche. Die Folge ist eine auseinanderklaffende Schere zwischen dem, was die Jungen studieren, und dem, was die Unternehmen brauchen.
Sie setzen sich dafür ein, Jugendliche für technische Berufe zu begeistern. Wie begeistert man sie dafür?
Wir gehen an die Schulen und sogar schon an die Kindergärten, um über das Experimentieren und Erleben von Technik die Begeisterung zu wecken. Je früher man damit anfängt, desto besser ist es, denn erfahrungsgemäß wird es ab einem Alter von 14 Jahren schon schwierig. Ich beobachte übrigens mit Sorge, dass wir uns vor allem die Mädchen entgehen lassen, wenn es um technische Berufe geht.
Apropos technische Berufe: An der Uni Bozen wird nun eine eigene Fakultät für Ingenieurwissenschaften eingerichtet. Der richtige Weg für einen Wirtschaftsstandort?
Ja. Alles, was in diese Richtung geht, ist sinnvoll. Die Einrichtung einer Fakultät allein genügt allerdings nicht. Man muss dann auch Leuchttürme an die Fakultät holen, die Interesse generieren und Sichtbarkeit geben.
Wie versuchen Sie bei AVL, den Wettbewerb um die besten Mitarbeiter zu gewinnen?
Man muss im Personalmanagement anders denken als in der Vergangenheit. Es ist wichtiger denn je, auf die Mitarbeiter zuzugehen, um ein wechselseitiges Verständnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu schaffen. Drei Punkte sind in meinen Augen ganz wesentlich.
Erzählen Sie.
Erstens versuchen wir, generationenspezifische Rahmenbedingungen zu schaffen. Die Jungen haben eine andere Vorstellung von Arbeit als die Älteren. Man kann nicht verallgemeinern, aber die Jungen wünschen sich vielfach mehr Flexibilität und wollen unter Umständen etwas weniger arbeiten, die Älteren wünschen sich hingegen strukturiertere Arbeitszeiten. Wir versuchen, für alle Anforderungen Lösungen anzubieten.
Zweitens?
Wir bemühen uns konsequent darum, Eigenverantwortung und Selbstständigkeit zu unterstützen. In einer vertrauensbasierten Organisation passiert es zwar auch, dass man von einzelnen Mitarbeitern enttäuscht wird, aber unterm Strich rechnet sich das Vertrauen. Es macht wenig Sinn, Regeln aufzustellen, die für zwei Prozent der Mitarbeiter gut gehen und 98 Prozent der Mitarbeiter behindern oder gar demotivieren.
Und drittens?
Wir bemühen uns stark um Alternativen. Wenn ein junger Mitarbeiter den Papamonat haben will oder ein Sabbatical, dann soll er das bekommen. Es zeigt sich, dass diese Investition Früchte trägt. Wir haben eine Fluktuation von 2,3 Prozent.
Welches ist der größte Fehler, den ein Unternehmen in der Mitarbeiterführung machen kann?
Das Mikromanagement ist der entscheidende Fehler. Die Bevormundung von Mitarbeitern begräbt jegliche individuelle Freiheit – und wer Mitarbeiter wie kleine Kinder behandelt, der kriegt irgendwann kleine Kinder. Moderne Unternehmen brauchen eigenverantwortlich handelnde und mitdenkende Mitarbeiter. Es fällt ja auf, dass die erfolgreichsten Unternehmen in der Regel jene sind, deren Unternehmenskultur selbstständige und durchaus auch kritische Mitarbeiter zulässt.
Eine Südtiroler Führungskraft stellte unlängst fest: „Mein Job besteht zu 60 bis 70 Prozent aus Psychologie.“ Sind Psychologie und Empathie wichtiger als je zuvor?
Absolut. Dabei ist es beunruhigend, dass in der Führungskräfteausbildung auf diesen Umstand überhaupt nicht eingegangen wird. Wir lernen alle möglichen Führungsinstrumente, aber die Psychologie bleibt außen vor. Darin, wie ein Gespräch zu führen ist und wie Menschen richtig beurteilt werden können, sind Führungskräfte Autodidakten, manche mit mehr Erfolg, manche mit weniger.
Südtirol wirbt gerne mit Lebensqualität als Standortfaktor. Gleichzeitig sind hohe Wohn- und Lebenshaltungskosten eine Schwäche. Was wiegt in Ihren Augen schwerer?
Wenn ich mit unseren jungen Mitarbeitern spreche, dann habe ich den Eindruck, dass die Lebensqualität vor den Kosten kommt. Südtirol nehme ich durchaus als beliebten Ort zum Arbeiten und Leben wahr.