Rom – Wenn von Italien die Rede ist, wird in der Regel immer an dieselben Statistiken gedacht: eine besorgniserregende Staatsverschuldung, eine erdrückende Steuerlast, eine gigantische Steuerhinterziehung, eine überdurchschnittlich schwerfällige Verwaltung, massive Korruption und und und. Italien zählt derzeit zu den ganz großen Sorgenkindern Europas, und Reformen sind überfällig. Diesbezüglich hat sich Matteo Renzi mit dem Sturz seines Parteikollegen Enrico Letta eine Mammutaufgabe aufgehalst und mit dem Verzicht auf Neuwahlen ein extremes politisches Risiko genommen. Wenn ihm die Reformen, die er in den vergangenen Monaten vollmundig versprochen hat, nicht gelingen, dann ist der „rottamatore“ bei den nächsten Parlamentswahlen bereits entzaubert und wird von den Bürgern möglicherweise selbst „verschrottet“, bevor er sich im Chigi-Palast richtig eingelebt hat.
Aber das ist eine andere Geschichte. Das Statistikinstitut Istat wirft mit der sechsten Auflage von „Noi Italia“ (http://noi-italia.istat.it) einen umfangreichen statistischen Blick auf Italien, der über die allgegenwärtigen (Negativ-)Zahlen hinausgeht. Das Istat selbst spricht von einem Beitrag, „um das Land zu verstehen, in dem wir leben“. Zu den unterschiedlichsten Themenbereichen werden aufschlussreiche Datenvergleiche mit anderen EU-Staaten geboten. Darüber hinaus gibt es zu den allermeisten EU-Vergleichen eine ergänzende Detailübersicht über die Werte der einzelnen italienischen Regionen sowie der autonomen Provinzen Trentino und Südtirol – hinter dem gesamtitalienischen Mittelwert verbergen sich nämlich teilweise völlig unterschiedliche regionale Realitäten. Kurzum, es handelt sich um eine statistische Fundgrube, in der es sich hervorragend stöbern lässt und die die erfreuliche Erkenntnis zulässt, dass in Italien bei Weitem nicht alles schlecht ist. Und obwohl sich die meisten Zahlenreihen auf die Bezugsjahre 2010 bis 2012 beziehen, handelt es sich um aktuelle Zahlen, weil sich seither keine großartigen Verschiebungen ergeben haben dürften.
Interessant ist beispielsweise, dass der Unternehmergeist in Italien so ausgeprägt wie nirgendwo sonst in Europa, zumindest laut Statistik. Fast jeder dritte Erwerbstätige ist selbstständig (30,3 Prozent), für Südtirol führt das Istat den ebenfalls hohen Wert 29 an – das ist fast das Dreifache des EU-Mittelwertes. Mit Respektabstand folgt die Slowakei (24,7 Prozent), Deutschland liegt in dieser Rangliste mit 8,4 Prozent nur unter ferner liefen. Nun könnte bösartig geschlussfolgert werden, dass in Italien – vor allem im Süden – die Schwarzarbeit weit verbreitet ist und deshalb viele Unselbstständige von den Statistikern gar nicht erfasst werden, was wiederum zu einer höheren Selbstständigenquote führt. Allerdings ist die Selbstständigenquote auch eine Frage der Unternehmensgröße. In Italien liegt die durchschnittliche Unternehmensgröße bei 3,9 Beschäftigten, in Deutschland hingegen bei 12,2, im EU-Schnitt bei 6,6. In Südtirol sind es laut Istat 4,4 Beschäftigte, also mehr als im italienischen Schnitt und weniger als im EU-Schnitt. In Süditalien sind es 2,8 Beschäftigte.
Beeindruckend fällt aus Südtiroler Sicht ein anderer Vergleich aus, und zwar ein touristischer. In Italien existieren offiziell pro 1.000 Einwohner 80 Gästebetten, vom Hotel über den Privatvermieter bis hin zum Urlaub auf dem Bauernhof. Mit diesem Wert findet sich Italien im europäischen Spitzenfeld (auf Rang sieben) wieder. EU-Spitzenreiter sind Luxemburg (128 Betten) und Österreich (115 Betten). Südtirol aber kommt auf sagenhafte 435 Betten pro 1.000 Einwohner und ist damit auf dem Papier Italiens tourismusintensivstes Gebiet, gefolgt von Aosta mit 415 und dem Trentino mit 318 Betten. Diese Statistik unterstreicht Südtirols touristische Magnetwirkung. Venetien erreicht gerade einmal 147 Betten, wobei allerdings interessant wäre, im Detail den Wert der Provinz Venedig mit ihren Adriahochburgen Jesolo, Caorle und Bibione zu erfahren. Sizilien hat – auf dem Papier – 39 Gästebetten pro 1.000 Einwohner.
Am längsten bleiben die Gäste im Durchschnitt auf den Inseln Malta und Zypern (je 5,8 Tage), was zweifelsohne mit der vergleichsweise schwierigen Erreichbarkeit zusammenhängt. In Italien bleiben die Gäste durchschnittlich 3,7 Tage, was der siebtbeste Wert im EU27-Vergleich ist – am längsten in Kalabrien mit 5,5 Tagen, in Sardinien mit 5,1 Tagen, in den Marken mit 4,9 Tagen und in Südtirol mit 4,9 Tagen. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer im Trentino liegt darunter, und zwar bei 4,5 Tagen.
Um beim Tourismus zu bleiben: Die reiselustigsten Europäer wohnen laut Istat auf Zypern, denn 84 von 100 Bürgern haben 2011 eine mindestens viertägige Reise unternommen. Die Deutschen folgen in dieser Rangliste erst auf Rang sechs. Warum aber gelten dann die Deutschen als Reiseweltmeister? Das liegt daran, dass es einen Unterschied macht, ob 67 Prozent der 80 Millionen Deutschen auf Reisen gehen oder 84 Prozent der 1,1 Millionen Zyprioten. Deutlich unter dem EU-Durchschnitt bewegt sich die Reisefreudigkeit der Italiener: Nur 44 Prozent der Italiener sind 2011 mindestens vier Tage verreist.
Überraschende Erkenntnisse bringt der Blick in die Kriminalitätsstatistiken. Wer Italien bei den Morden im europäischen Spitzenfeld erwartet, liegt falsch. In Italien geschah 2010 ein Mord auf 100.000 Einwohner, in Deutschland waren es mit 0,8 Morden nur unwesentlich weniger, während es in Litauen 6,6 Morde waren. Die baltischen Staaten Litauen, Estland und Lettland sind die EU-Spitzenreiter in dieser traurigen Statistik, genauso wie in der Inhaftierten-Rangliste. Jeweils über 250 Häftlinge pro 100.000 Einwohner saßen in den Baltenstaaten 2010 ein, in Italien waren es hingegen nur 114. Und trotzdem sind in Italien die Gefängnisse hoffnungslos überfüllt.
Während die Italiener von der Krise geschüttelt werden, leisten sie sich 625 Autos pro 1.000 Einwohner. Nur Luxemburg hat eine noch höhere Autodichte (658). Innerhalb von Italien sind die Unterschiede aber riesig: Die Aostaner halten sage und schreibe 1.206 Autos pro 1.000 Einwohner, die Liguren hingegen nur 537. Südtirol liegt mit 628 Autos im italienischen Mittelfeld.