SWZ: Herr Knoll, Sie haben sich zuletzt als Landeshauptmann der Herzen und des Volkes präsentiert. Wie meinen Sie das, zumal Arno Kompatscher mehr als doppelt so viele Stimmen erhalten hat?
Sven Knoll: Das Wahlergebnis wurde in meinen Augen nicht respektiert. In der Politik hat derjenige mit den meisten Stimmen, in diesem Fall die SVP, den Regierungsauftrag. Allerdings hat sie nicht versucht, eine Regierung zu bilden mit jenen, die an Vertrauen, Stimmen und Mandaten zugelegt haben. Dadurch fühlen sich viele Wähler betrogen. So kam es zu dieser Aussage, nach der Sie gefragt haben. Wer die Süd-Tiroler Freiheit gewählt hat, wusste, dass es uns nicht um Mandate und Macht geht, sondern um Inhalte, um ein Herzensanliegen. Und im Gegensatz zu mir hat der Landeshauptmann, seit er in die Landespolitik gegangen ist, permanent an Stimmen verloren.
Wieso haben Sie nicht versucht, selbst eine Mehrheit zu bilden? Sie sind ja offiziell als Landeshauptmannkandidat angetreten.
Das Wahlergebnis ist zu respektieren und das haben wir getan. Wir sind allerdings offen in das Sondierungsgespräch mit der SVP gegangen und haben konkrete Punkte mitgebracht, wie wir uns eine Zusammenarbeit hätten vorstellen können und was uns wichtig erscheint, in und für Südtirol umzusetzen. Das wurde einfach ignoriert. Wir wurden nicht einmal zu einem zweiten Gespräch eingeladen.
Ein Thema, das immer wieder aufgegriffen wird, ist Ihr Wohnsitz …
…, der seit meiner Geburt in Südtirol ist. Ich arbeite hier und habe immer hier meine Steuern bezahlt. Es ist eine Mär, dass dem nicht so sei. Was ich immer offen kommuniziere, ist der Fakt, dass ein Teil meiner Familie aus Nordtirol stammt. Ich habe deshalb nach meinem Studium meine Wohnung in Innsbruck behalten und verbringe so – abseits meiner politischen Arbeit – Zeit mit meiner Familie. Dass ich häufig in Innsbruck bin, sehe ich als Zeichen der Stärke und Glaubwürdigkeit für meine politische Tätigkeit. Wir als Süd-Tiroler Freiheit fördern das Zusammenwachsen der Tiroler Landesteile und dazu muss man wissen, was dort vor sich geht, und zwar aus erster Hand. Wenn man so will, lebe ich auch privat die Landeseinheit.
Das Bild, das Sie und Ihre Partei von Südtirol zeichnen, tendiert ins Negative; hohe Kriminalität, zu teures Wohnen, insgesamt politisches Versagen. Sind wir tatsächlich so schlecht dran?
Genau aus diesem Grund tut es gut, auch mal einen Blick von außen auf Südtirol zu werfen. Wir haben ein wunderschönes Land, doch es krankt an vielen Dingen wie der Bürokratie oder der Sicherheit.
Fokussieren Sie sich am Ende dennoch zu sehr auf das Schlechte im Guten?
Nein, es nützt ja nichts in Lethargie zu verfallen, den ganzen Tag zu jammern und das Gute nicht mehr zu sehen. Wir haben ein unglaublich starkes Ehrenamt, starken Zusammenhalt in der Bevölkerung, enorme Hilfsbereitschaft. Aber wir müssen dennoch aufpassen, dass wir uns nicht unter Wert verkaufen und unsere Seele aufgeben, nur um unbequemen Diskussionen aus dem Weg zu gehen. Ein gutes Beispiel ist die Frage nach dem richtigen Maß an Tourismus: Wann ist ein Zuviel erreicht? Wann fängt er an, sich selbst zu schaden? Das sind Diskussionen, die zu führen sind, damit Südtirol zukunftsfit wird und für die eigene Bevölkerung lebenswert bleibt.
Es geht uns also nicht ums Schlechtreden, sondern darum, Probleme aufzuzeigen, und zwar mit dem Anspruch, besser zu werden.
Kritische Stimmen sagen, es bleibe bei Ihnen und Ihrer Partei zu oft dabei, eben diese Probleme aufzuzeigen, ohne Lösungen vorzuschlagen. Inwiefern schätzen Sie Ihre politische Arbeit bzw. jene Ihrer Partei denn als konstruktiv ein?
Sehr. Mein persönlicher Anspruch ist es nämlich, zu jedem Problem, das wir aufzeigen, eine Lösung anzubieten. Wenn man nicht in der Regierung sitzt, kann man allerdings kaum etwas umsetzen. Wir schlagen zwar vieles vor, doch es wird fast alles von der Mehrheit abgelehnt.
Zum Beispiel?
Nehmen wir die Mobilität. Wir verfolgen seit Jahren das Thema Reschenbahn, haben sogar Studien dazu vorgelegt und uns die alten Tunnelanlagen angeschaut. Ein weiteres Thema ist die Sicherheit. Ich bin eigens nach Linz gefahren, um mir den städtischen Ordnungsdienst anzuschauen, und habe mich auch andernorts informiert, wie konkrete Lösungen ausschauen. Zusammengefasst: Wir bringen sehr wohl unsere Vorschläge ein. Die werden nicht umgesetzt und am Ende bleibt die Kritik.
Zu Ulli Mair haben Sie kürzlich gesagt, sie werde als Sicherheitslandesrätin nicht viel ausrichten können, weil die Kompetenz in Rom liegt …
… nein, weil die Kompetenz der öffentlichen Sicherheit weiterhin beim Landeshauptmann liegt. Ich bin der Überzeugung, dass ein solches Ressort, das durchaus Sinn ergibt, nicht aufgeteilt gehört. Das war der Gegenstand der Kritik.
Natürlich ist es auch ein Problem, dass viele Zuständigkeiten beim Staat liegen. Philipp Achammer hat vor den Wahlen von einer Landespolizei gesprochen. Diesen Vorschlag bringen wir seit 20 Jahren. Nun hört man wieder nichts mehr davon. Dabei wäre sie eine wichtige Errungenschaft.
Wäre die Einrichtung einer solchen Landespolizei folglich Ihre wichtigste Maßnahme gewesen, hätten Sie das Ressort Sicherheit erhalten?
Genau. Unabhängig davon haben wir kürzlich vorgeschlagen, dass sich Landtag, Regierungskommissariat und Quästur zusammensetzen, um das Thema Sicherheit zu besprechen. Bis heute warten wir auf eine Antwort.
Ein weiteres Thema, das Sie stark bespielen, ist die Einwanderung. Sie stellen dabei die Frage in den Mittelpunkt, welche Einwanderung Südtirol will. Wie sieht Ihre Antwort aus?
Daran hängen weitere Fragen: Wie gehen wir mit Einwanderung um? Was machen wir mit kriminellen Einwanderern? Diese Fragen müssen wir beantworten, auch wenn die Zuständigkeit in Rom liegt, denn ansonsten bleibt die Bevölkerung mit ihren Problemen allein zurück.
Auf einem Ihrer Wahlkampfplakate war zum Slogan „Kriminelle Ausländer abschieben“ ein Mann mit Messer in der Hand zu sehen, dahinter eine zusammengekauerte Frau. Wieso haben Sie sich für diese Abbildung entschieden, wo doch 98 Prozent aller Gewalttaten an Frauen in Südtirol von Partnern, Expartnern, Verwandten oder Bekannten begangen werden, unabhängig von ihrer Herkunft?
Wir haben das bewusst so gemacht. Vorausschicken möchte ich, dass Gewalt gegen Frauen in jeder Form zu verurteilen ist. Sie kennt keine Herkunft und keine Hautfarbe. Allerdings wollten wir darauf aufmerksam machen, dass die Aggressoren oft mit zweierlei Maß behandelt werden. Wir waren im Wahlkampf in vielen Schulen unterwegs, unter anderem in Brixen. Dort hat mir ein junges Mädchen erzählt, dass sie vor einer Diskothek von vier Dunkelhäutigen auf den Boden gedrückt worden war. Die Antwort der Ordnungskräfte war – und das ist sie in vielen Fällen: „Da können wir nicht viel machen.“ Dabei müssten diese Täter die Konsequenzen ebenso tragen, als wenn sie Einheimische wären.
Laut Satzung fußt Ihre Partei unter anderem auf Antirassismus. Wie leben Sie diesen Wert?
Indem ich differenziere zwischen Einwanderern, die hier arbeiten, die sich integrieren und die wir für unsere Wirtschaft brauchen, und jenen Einwanderern, die straffällig werden. Erstere kommen teils zu uns, um uns zu bitten, etwas zu unternehmen, weil sie Angst haben, in einen Topf mit den anderen geworfen zu werden.
Für eine gelungene Integration braucht es Rahmenbedingungen – und die fehlen bei uns, weil das Thema von der Politik nicht angegangen wird. Wir wollen zum Beispiel, dass Sozialleistungen daran gebunden werden, dass jemand die deutsche Sprache erlernt. Bei uns leben mittlerweile mehr als 50.000 ausländische Personen. In welche Sprachgruppe integrieren sie sich? Das wirkt sich langfristig auf die Zusammensetzung der Volksgruppen aus, auf unsere Autonomie und auf den Minderheitenschutz.
Ebenfalls in der Satzung steht, dass Frauen gleichbehandelt und gefördert werden sollen. Können Sie hierfür Beispiele nennen?
In unserer Partei stellt niemand die Frage, ob ein Mann oder eine Frau für ein politisches Mandat infrage kommt. Wir haben mit Eva Klotz bereits in einer Zeit eine weibliche Identifikationsfigur gehabt, als die Politik noch fast ausschließlich von Männern dominiert war.
Politisch ist es für uns wichtig, dass Frauen die Wahlfreiheit haben, wie sie Familie und Beruf vereinen wollen. Jede soll selbst entscheiden, ob und wie viel sie arbeiten möchte. Wer zu Hause Kinder betreut oder Verwandte pflegt, soll entlohnt werden und auf jeden Fall die Zeit für die Rente anerkannt bekommen.
Haben Sie eine Idee, wie das finanziert werden könnte?
Wir haben uns einmal ausrechnen lassen, wie viel die Südtiroler ins staatliche Rentensystem einzahlen und wie viel davon hier ausbezahlt wird. Das Ergebnis: Mehr als 200 Millionen Euro fließen nicht mehr zurück. Wir haben deshalb einen Beschlussantrag eingereicht, um zu überprüfen, ob Südtirol nicht ein eigenes Renteninstitut aufbauen könnte, um solche Dinge umzusetzen. Dieser Antrag wurde zwar angenommen, aber nie umgesetzt.
Vor zehn Jahren stand Ihre Partei vor allem für das Thema Selbstbestimmung, dieser Wahlkampf hingegen wurde vom Thema Sicherheit dominiert. Ist die Selbstbestimmung nicht mehr sexy genug?
Im Gegenteil, aber es gibt Wellen, mit denen es an Präsenz gewinnt, auch in der Wahrnehmung der Bevölkerung. Das heißt nicht, dass wir das Thema ad acta legen. Die Frage bleibt: Wollen wir ein Europa, in dem Nationalstaaten stark sind, oder eines, in dem es die Völker und Regionen sind? Meine politische Bewegung will Zweiteres, denn eine Selbstbestimmung ist nicht gegen Europa gerichtet. Wo ist das Problem, wenn in einem gemeinsamen Haus Europa ein Volk das Zimmer wechselt oder zwei Zimmer verbunden werden?
Wieso haben Sie das Thema dann im Wahlkampf nicht stärker gespielt?
Weil jeder weiß, wofür die Süd-Tiroler Freiheit steht. Wir haben unsere Vision im Namen. Als wir uns im Wahlkampf 2013 stark auf die Selbstbestimmung konzentriert haben, wurde uns vorgeworfen, monothematisch zu sein. Jetzt bedienen wir auch andere Themen, was wieder als ein Argument gegen uns genommen wird. Unser Erfolg zeigt jedoch, dass wir genau richtig unterwegs sind.
Bei den ersten Sitzungen im Landtag äußerten sich manche Mitglieder persönlich beleidigend und unter der Gürtellinie. Wie stehen Sie dazu? Sollten Politiker eine Vorbildfunktion erfüllen?
Das muss man als Politiker, denke ich, nicht, sondern man muss einfach ein normales Maß an Bildung an den Tag legen. Jeder sollte sich so benehmen, dass man sich trotz inhaltlich harter Kritik nach einer Sitzung noch in die Augen schauen und zusammen einen Kaffee trinken gehen kann. Ein inhaltlicher Angriff gegen einen Politiker darf nicht zu einer persönlichen Geringschätzung des Menschen werden.
Blicken wir noch gemeinsam in die Zukunft: Nun sind Sie und die STF wieder in der Opposition. Welche Ziele verfolgen Sie in den kommenden fünf Jahren?
Dieselben wie bisher. Dabei ist mir wichtig, geradlinig zu sein, mich nicht zu verstellen oder Trends nachzurennen. Ich möchte für die Bevölkerung da sein, Missstände aufdecken, Lösungsvorschläge anbieten. Wenn ich am Abend heimgehe und einem Bürger bei einem Problem weiterhelfen konnte, habe ich meine Daseinsberechtigung erfüllt. Das funktioniert nicht jeden Tag, aber insgesamt möchte ich für die Bevölkerung einen Mehrwert bringen.
Denken Sie, dass die aktuelle Koalition nach dem Austritt Andreas Leiter Rebers überhaupt die vollen fünf Jahre bestehen bleiben wird?
Das aktuelle Chaos in der Regierung bestätigt uns in unserer Haltung, dass diese Koalition der Verlierer nicht regierungsfähig ist. Die Regierung wird nun endgültig erpressbar. Die Streitereien rund um die Wahl des Landtagspräsidenten und des Präsidiums des Regionalrates haben zudem gezeigt, dass auch innerhalb der SVP der Hut brennt. Die Arbeiten im Landtag und in der Regierung haben noch nicht einmal begonnen und schon jetzt bricht alles zusammen. Ich glaube daher nicht, dass diese Regierung fünf Jahre durchhalten wird. Es wäre höchst an der Zeit, dass Kompatscher endlich einmal Verantwortung für unser Land übernimmt und den Weg für einen Neustart freimacht. Die Bürger haben für so ein Chaos nämlich zurecht kein Verständnis.
Interview: Sabina Drescher