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Nachdenken über morgen

INTERVIEW – Südtirol ist auf einem guten Weg – trotzdem muss es sich Gedanken machen, wohin es will. Das sagt Hannes Mussak, der seit einem Jahr Präsident des Südtiroler Wirtschaftsrings swrea ist. Ein Gespräch über sinnlose Verkehrspolitik, undefinierte Nachhaltigkeit und mangelhafte Rechtssicherheit.

Christian Pfeifer von Christian Pfeifer
20. September 2019
in Interview, Südtirol
Lesezeit: 5 mins read
Nachdenken über morgen

SWZ: Herr Mussak, es gibt Beobachter, die sich mit Blick auf unsere wichtigsten Wirtschaftspartner – Deutschland und Italien – einen konjunkturellen Dämpfer für Südtirol erwarten. Tun Sie das auch?
Hannes Mussak: Es gibt den Spruch „Wenn Deutschland hustet, hat Italien Fieber.“ Südtirol ist keine Insel, die sich vom Rest der Welt abkapseln kann. Und international deutet vieles auf eine wirtschaftliche Abkühlung hin, nicht nur in Deutschland. Südtirol muss meines Erachtens keine Angst vor einer Wirtschaftskrise haben. Aber mit einem kleinen Dämpfer müssen wir wohl rechnen.

Ein Schwerpunkt Ihrer Antrittsrede vor einem Jahr war die Nachhaltigkeit. Sie sprachen von der Verantwortung gegenüber den nachfolgenden Generationen und von der Vereinbarkeit von Ökonomie und Ökologie. Sehen Sie Südtirol auf einem guten oder auf einem schlechten Weg?
Südtirol ist auf einem guten Weg, ökonomisch und auch ökologisch. Das würden wir Südtiroler feststellen, wenn wir manchmal etwas mehr über die Landesgrenzen hinausschauen würden. Trotzdem finde ich, dass wir uns Gedanken darüber machen sollten, wohin wir wollen. Und wir sollten uns Gedanken darüber machen, was Nachhaltigkeit überhaupt bedeutet. Die Nachhaltigkeit ist in aller Munde, aber eine klare Definition für Südtirol, die alle gleichermaßen teilen, gibt es nicht.

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Was bedeutet für Sie Nachhaltigkeit?
Ich verbinde Nachhaltigkeit nicht allein mit Umweltthemen. Auch Bürokratieabbau ist nachhaltig, sogar sehr, denn Bürokratie verbraucht enorme Ressourcen, zeitlich und materiell. Leistbares Wohnen ist ebenfalls ein Aspekt von Nachhaltigkeit.

Sie sagen, Südtirol müsse sich Gedanken darüber machen, wohin es will. Braucht Südtirol eine Vision, so wie sie IDM-Generaldirektor Erwin Hinteregger in einem SWZ-Interview angeregt hat (SWZ 29/19 vom 19. Juli, nachzulesen auf SWZonline und über die SWZapp)?
Ja, ich finde schon. Und ich teile Hintereggers Meinung, dass die Nachhaltigkeit dabei Südtirols Differenzierungsmerkmal sein könnte. Auch die Landesregierung hat ja angekündigt, einen Nachhaltigkeitspakt mit der Bevölkerung schließen zu wollen. Freilich darf eine solche Vision nicht ein Diktat von oben sein. Alle müssen einbezogen werden, damit sich danach auch alle damit wohlfühlen können. Stark einbinden müssen wir die Jungen. Auch im Wirtschaftsring wollen wir übrigens den Kontakt zur Jungen Wirtschaft (die Vereinigung der Jugend­organisationen in den Wirtschaftsverbänden, Anm. d. Red.) intensivieren.

Die Sozialpartner haben dem Vorschlag von Landeshauptmann Arno Kompatscher, Irap-Erhöhungen als Druckmittel für höhere Löhne einzusetzen, eine Absage erteilt. Waren Sie überrascht, dass die Gewerkschaften auf Kompatschers Angebot freiwillig verzichten?
Die Diskussion über das Lohnniveau ist Sache der Sozialpartner, und tatsächlich haben wir in konstruktiven Gesprächen alle Argumente auf den Tisch gelegt und – obwohl wir uns notgedrungen nicht in allen Punkten einig sind – gemeinsam einen Vorschlag ausgearbeitet, der im Einklang mit der Zielsetzung der Landesregierung steht.

Im Grunde hat der Landeshauptmann mit seinem Vorschlag erreicht, dass die Sozialpartner endlich ernsthaft diskutieren, anstatt auf ihren immer gleichen Standpunkten zu beharren.
Einen Anstoß hat der Landeshauptmann da zweifelsohne gegeben. Fakt bleibt, dass auf einem leergefegten Arbeitsmarkt wie Südtirol die guten Leute auch gut entlohnt werden, weil sie sonst weg sind. Wir müssen deshalb das Lohnniveau weiter stärken, indem wir die Lohnnebenkosten senken und Lohndumping verhindern – Stichwort Piratenverträge.

Lassen Sie uns über den Verkehr sprechen, den Sie bei Ihrem Amtsantritt vor einem Jahr ebenfalls als Schwerpunkt ihrer Amtsperiode definiert haben. Was ist aus dem Runden Tisch in Mobilitätsfragen geworden, den Sie angeregt haben?
Wir haben zwei Mal bei Landesrat Daniel Alfreider vorgesprochen, bisher erfolglos. Ein solcher Tisch würde alle relevanten Player in Verkehrsfragen zusammenbringen, damit Informationen gebündelt, Baustellen besser koordiniert und geplant, Verkehrsspitzen frühzeitig erkannt und kommuniziert werden könnten. Es geht nicht um physische Treffen, sondern um das Zusammenführen von Wissen, das heute unkoordiniert herumschwirrt. Ich bin der Meinung, dass sich damit so manchem Verkehrsproblem vorbeugen ließe.
Betrachten Sie die Verkehrsbehinderungspolitik unserer Tiroler Nachbarn als richtigen Weg – oder als egoistische Vorgehensweise zum Schaden Südtirols?
Verbote führen nur zu Wettbewerbsverzerrung. Ich vermisse in dieser Angelegenheit das Euregio-Denken. Und ich vermisse die Rückendeckung unserer Landesregierung für die heimische Wirtschaft im Protest gegen die Verkehrspolitik der Tiroler Nachbarn, die einseitig verkehrsbeschränkende Maßnahmen treffen und sich selbst davon ausnehmen. Zielführender wäre es, alle Energie in nachhaltigere und smartere Mobilität zu stecken.

Zum Beispiel?
Zum Beispiel könnte man emissionsarme Lkw von den Verboten ausnehmen oder lärmarme Lkw auch nachts – eventuell mit gedrosselter Geschwindigkeit – fahren lassen. Abgesehen von allem anderen wäre das ein Anreiz für die Unternehmen, in die Modernisierung ihres Fuhrparks zu investieren. Dass Verbote der falsche Weg sind, gilt übrigens auch für Bozen.

Inwiefern?
Ab Jänner sollen Euro-3-Firmenwagen in Bozen nicht mehr frei verkehren dürfen. Soll sich der Sarner Handwerker, der in Bozen eine Baustelle hat, dann eigens einen neuen Lieferwagen kaufen? Oder muss er künftig Aufträge in Bozen ablehnen, während die alten Busse weiterfahren dürfen? So eine Politik leuchtet mir nicht ein.

Leuchtet Ihnen die Unsicherheit im Zusammenhang mit dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Landesraumordnungsgesetzes ein?
Es wäre höchst an der Zeit, dass die Politik für Planungs- und Rechtssicherheit sorgt. Aber es fehlen noch Durchführungsbestimmungen. Niemand weiß, ob ein Aufschub kommt oder nicht. Das Gesetz sollte baldmöglichst in Kraft treten.

Sie haben das leistbare Wohnen als Teil einer Nachhaltigkeitsstrategie angesprochen. Haben Sie Hoffnung, dass es der Landesregierung gelingt, spürbare Akzente zu setzen?
Es ist eine Mammutaufgabe, über die schon lange geredet wird, an der die Landespolitik aber schon öfter gescheitert ist. Ich finde es lobenswert, wenn das Thema ganz oben auf der Agenda der Landesregierung steht.

Was braucht es in Ihren Augen, damit Wohnen leistbarer wird?
Es braucht einen Mix an Maßnahmen, die ineinandergreifen. Die Erhöhung der Gemeindeimmobiliensteuer GIS allein, wie vom Landeshauptmann vorgeschlagen, wird nicht den gewünschten Effekt erzielen. Ich bin der Meinung, dass – genauso wie bei der angesprochenen Diskussion über das Lohnniveau – wertvolle Anregungen von den Sozialpartnern kommen könnten, weil dort alle Interessen vertreten sind.

Niemand verbietet es den Sozialpartnern, einen Vorschlag zu unterbreiten. Landesrätin Waltraud Deeg arbeitet derzeit an einem neuen Wohnbaugesetz.
Das ist richtig, es geht aber alles zu schnell. Daher werden wir der Landesrätin den Vorschlag unterbreiten, etwas mehr Zeit für die Arbeit am Gesetzesentwurf einzuplanen, damit wir uns wie gewünscht einbringen können.

Italien hat seit Neuestem eine Linksregierung. Trauen Sie ihr zu, es besser zu machen, als die Vorgängerregierungen der vergangenen zehn Jahre?
Ich hoffe, dass M5S und PD die Chance nutzen. Sie passen besser zusammen als M5S und Lega.

Noch zu Ihnen persönlich: Sie sind bei Halbzeit Ihrer zweijährigen swr-Präsidentschaft angelangt. Welche Zwischenbilanz ziehen Sie? Glauben Sie, Akzente gesetzt zu haben – oder mahlen die politischen Mühlen zu langsam, als dass sich in einem Jahr etwas erreichen ließe?
Bilanzieren und bewerten lasse ich andere. Zwei Jahre sind sehr wenig Zeit. Nicht nur weil die Mühlen der Politik langsam mahlen, sondern auch weil ich angesichts der Verbands- und Themenvielfalt im Wirtschaftsring eine gewisse Einarbeitungszeit gebraucht habe. Ich bekleide dieses Ehrenamt jedenfalls mit viel Freude, durchschnittlich vier Stunden pro Tag sind es. Das geht nur, weil mir meine Frau in der Firma den Rücken freihält und weil der Wirtschaftsring einen sehr guten Geschäftsführer hat. Ein tolles Team um sich zu haben, ist ein unschätzbarer Wert für mich.

In einem Jahr läuft ihr Mandat aus. Hätten Sie Lust auf Politik?
Der Hannes und die Politik werden sich nach Ablauf der swrea-Präsidentschaft sicher wiedersehen – falls gewünscht.

Schlagwörter: 136-19

Ausgabe 36-19, Seite 2

Christian Pfeifer

Christian Pfeifer

Erste journalistische Gehversuche bei der Tageszeitung "Alto Adige", seit 1995 bei der SWZ, seit 2015 deren Chefredakteur. Moderiert nebenberuflich das Wirtschaftsmagazin Trend im Fernsehen von Rai Südtirol. Findet Ausgleich bei seiner Familie und beim Sport, vorwiegend bei Tennis, Ski und Langlauf.

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