Lana – Urig – dieses Wort kommt einem ziemlich unmittelbar in den Sinn, wenn man den Buschenschank Pfefferlechner in Lana betritt. Wie andere seiner Art in Südtirol begann er ganz klein: Vor mehr als 40 Jahren beschloss Martin Laimer bei seiner 700 Jahre alten Hofstelle Wein auszuschenken, dazu kredenzte er Speck und Käse – und stellte einen ersten Tisch auf. Von da an kam jährlich mindestens einer dazu. Bis heute erkennt man das kontinuierliche Wachstum an den zahlreichen verwinkelten Stuben, die allmählich den Gästen zur Verfügung gestellt wurden. Eine befindet sich unter dem ehemaligen Stadel, von ihr aus sieht man in einen Stall, in dem Hasen neben Ziegen hoppeln.
Draußen befindet sich ein großzügiger Gastgarten, in dem hohe Bäume Schatten spenden. Maria-Elisabeth Laimer, Martins Tochter, stellt je drei Verkostungsgläser auf zwei Holzbrettchen bereit. Daneben stehen wiederum drei Bierflaschen, auf deren Kronkorken eine typische italienische Handgeste prangt: „Ma che vuoi?“ – „Was willst du?“ Die Antwort lautet im Idealfall für die 29-Jährige: den Inhalt der Flasche, handwerklich gebrautes alkoholfreies Bier names Freedl. Dieses zu entwickeln, sei im Grunde eine logische Konsequenz gewesen, erklärt Laimer. Seit jeher sei der Fokus von Pfefferlechner auf lokalen Produkten gelegen, „am besten hausgemachte“.
Eine besondere Hefe als Star
Laimer öffnet die erste Flasche. „Classic“ steht auf dem blauen Etikett. „Unser Pale Ale“, beginnt Laimer die Verkostung, „leichte Süße, eher auf der malzigen Seite mit stärkerem Hopfen und floraler Note.“ Wieso kein Helles ohne Alkohol? „Wir wollten nichts Alkoholisches imitieren, das macht die Industrie, sondern mit unserer Handwerkskunst neue Kategorien schaffen und kreativ sein.“
Als die Idee zu Freedl entstand, studierte Laimer an der Zeppelin Universität am Bodensee und kam gelegentlich in den Familienbetrieb, um auszuhelfen. Craftbier gab es beim Pfefferlechner damals schon, seit 2005 ausschließlich für den hauseigenen Ausschank gebraut, doch wer ein Alkoholfreies bestellte, dem mussten die Laimers deutsche Industrieware servieren. „Das war total gegen unser Prinzip“, blickt Maria-Elisabeth Laimer zurück. Zugleich war die Nachfrage da. Kurzum entschied der Familienrat, selbst ein Produkt zu entwickeln, das Biergenuss ohne Alkohol ermöglichen sollte. Das war im Jahr 2015. Die größte Herausforderung: als sehr kleine Struktur das Vorhaben in die Tat umzusetzen.
„Wir wollten nichts Alkoholisches imitieren, das macht die Industrie, sondern mit unserer Handwerkskunst neue Kategorien schaffen und kreativ sein.“
Besonders aufwendig gestaltete sich die Suche nach einem passenden Herstellungsverfahren. Die Laimers stießen dabei auf spezielle Hefeorganismen, die bis dahin nur von einer Handvoll Brauereien in Europa verwendet worden waren. Dazu holte sich die Familie gar Unterstützung von der Technischen Universität Berlin. Es folgten Investitionen in die Anlagen und Abfüllmaschinen und es galt, das bestehende Team davon zu überzeugen, nun plötzlich etwas Alkoholfreies bzw. -armes zu brauen. Ein Restalkohol von 0,4 Prozent ist in den Freedl-Produkten enthalten, so wie in – was viele gar nicht wissen –Kefir, einer reifen Banane, Apfel- oder Traubensaft. Braumeister Götz Spieth – über den Laimer sagt: „Er ist unglaublich wichtig für uns. Das beste Marketing nützt nichts, ohne ein top Produkt mit top Qualität.“ – samt Team ließ sich auf das Experiment ein.
„Das wird nie was“
Herausgekommen ist unter anderem „Citrino“, der dritte Freedl-Biertyp, der entwickelt wurde, den Maria-Elisabeth Laimer aber als zweiten an diesem Nachmittag öffnet. „So passt das besser für den Gaumen.“ Das „Citrino“ ist mit Zitronenzeste und Kaffir-Limettenblättern gebraut und präsentiert sich dunkler und in einem goldigeren Ton als sein klassischer Kollege. „Es hat einen Hauch von einem Radler, ohne süß zu sein“, findet Laimer. Und ergänzt: „Eindeutig ein Getränk auch für die, die Bier nicht unbedingt mögen.“
Diese Überzeugung, eine breite Zielgruppe bedienen zu können, teilten zu Beginn bei Weitem nicht alle. Im Gegenteil: Das junge Gründerduo musste viel Kritik einstecken. Die Nachfrage sei zu gering nach alkoholfreiem Bier, geschweige denn nach Craftbier dieser Art. Als Erste, die etwas Derartiges auf dem italienischen Markt anboten, mussten sie somit Vorarbeit in beiden Kategorien leisten. „Das ist höchstens was für Schwangere“, bekamen die Laimer-Geschwister nicht selten zu hören. Um dem entgegenzuwirken, suchten sie bewusst nach einem männlichen Namen für ihr Produkt. Außerdem wollte man sich abgrenzen vom Bestehenden, eine eigene Marke schaffen samt eigener Ausrichtung, um die Ernsthaftigkeit des Unterfangens zu unterstreichen.
So kam – ohne dass der Name eine tiefere Bedeutung für sie hätte – Fred, die Abkürzung für Alfred, ins Spiel, die mit dem zweiten „E“ zugleich das englische „free“ für „frei“ enthält. „Eigentlich sagen wir trotzdem ‚Fredl‘, aber mittlerweile hat sich auch die englische Aussprache eingebürgert. Wichtig ist, dass es bestellt wird“, lacht Laimer.
Man merkt, dass ihr das Kommunizieren liegt. Sie selbst sieht das als eine ihrer Stärken, ebenso wie ihren Umsetzungswillen und ihre Lernfähigkeit. Das Lernen ist zugleich einer jener drei Aspekte, die sie am Unternehmertum so schätzt. Außerdem, dass sie etwas aufbauen und kreieren kann und zugleich Verantwortung und Risiko tragen muss bzw. darf.
Die Genusskultur ins Alkoholfreie bringen
Laimer öffnet die letzte Flasche. Auf dem grünen Etikett steht „Calma“. Die Spezialzutat soll entspannend wirken: Basilikum, angebaut von den „Südtiroler Kräuter Rebellen“ im Vinschgau. Auch bei den anderen Freedl-Rohstoffen setzen die Laimers auf Lokalität. Gemeinsam mit den anderen Craftbier-Brauereien in Südtirol, insgesamt ein gutes Dutzend, erhalten sie Getreide von Südtiroler Bäuerinnen und Bauern und dürfen entsprechend das Südtiroler Qualitätssiegel verwenden.
„Nehmen wir doch die gesamte Erfahrung, die wir in Südtirol bereits haben, und schließen das Alkoholfreie ein. Wir könnten Vorreiter werden, auch außerhalb unseres Landes.“
Das „Calma“ ist – wie die anderen Freedl-Typen – auf einen bestimmten Moment maßgeschneidert, in dem Fall auf den Feierabend. „Ich trinke gerne einen Aperitif mit Freunden, aber möchte und kann nicht immer etwas Alkoholisches bestellen“, sagt Laimer. „Wir wollten ein alternatives Genussprodukt schaffen, mit dem man genauso gut anstoßen kann. In Südtirol haben wir eine große Palette an Alkoholischem, eine Vielfalt an Geschichten. Dasselbe wünschen wir uns fürs Analkoholische. Deshalb orientieren wir uns stets an der Frage: Wie können wir die Genusskultur ins Alkoholfreie bringen?“, erklärt Laimer. Einen Appell schiebt sie nach: „Nehmen wir doch die gesamte Erfahrung, die wir in Südtirol bereits haben, und schließen das Alkoholfreie ein. Wir könnten Vorreiter werden, auch außerhalb unseres Landes.“
Gerade mit dem „Calma“ scheint das bereits gut zu gelingen, glaubt man den Auszeichnungen, die es Maria-Elisabeth und Max Laimer eingebracht hat. Unter anderem kürte die Süddeutsche Zeitung das „Calma“ mit den Worten „Das Aroma ist bombastisch“ im vergangenen Jahr zum besten alkoholfreien Bier.
Am Puls der Zeit
Mit ihren alkoholfreien Kreationen bewegen sich die Geschwister am Puls der Zeit. Laut Statistik trinkt fast die Hälfte der Menschen zwischen 18 und 24 Jahren keinen Alkohol mehr. Die neue Lust auf Enthaltsamkeit oder zumindest der teilweise Verzicht findet sich aber vermehrt auch in anderen Altersgruppen. Das Bewusstsein für körperliche und mentale Gesundheit steigt, zugleich gibt es einen größeren Drang zur Selbstoptimierung und immer mehr soziale Kontakte, die entweder im Virtuellen stattfinden oder im Privaten statt in öffentlichen Lokalen.
„Für uns“, unterstreicht Laimer noch einmal, „steht allerdings der Genuss im Mittelpunkt. Wir schauen uns Momente an und kreieren das passende Produkt dazu, so wie das ‚Citrino‘ für einen schönen Sommertag.“
Die 29-Jährige steht auf, um dorthin zu führen, wo alle Freedl-Typen, aber auch das Pfefferlechner-Bier entstehen, an den Eingang des Gastgartens. Dort wurde 2005 eine Garage ausgeräumt und zur Brauerei umfunktioniert. Wie im Buschenschank kam auch hier jedes Jahr etwas dazu. „Steter Tropfen höhlt den Stein“, sagt Laimer. „Das haben uns unsere Eltern vorgelebt. Wir haben von Kindesbeinen an gesehen, was es bedeutet, kontinuierlich zu arbeiten und zu wachsen.“
Im Winter Bierbraukapazität verdreifacht
Im vergangenen Winter wurde die Bierbraukapazität verdreifacht, dennoch bewegt sich die Produktion weiterhin auf einem mengenmäßig niedrigen Niveau. „Es ist ein Bruchteil dessen, was Industriebrauereien herstellen“, sagt Laimer, mehr möchte sie nicht verraten, nur so viel: „Wir sind zufrieden.“ Diese Zufriedenheit macht sie an ihrer Definition von Erfolg fest, die die drei Säulen der Nachhaltigkeit umfasst. In der Mitte steht das große Ziel, gemeinsam ein gesundes Unternehmen aufzubauen. Erstens soll dieses ökonomisch nachhaltig, sprich profitabel sein; zweitens ökologisch nachhaltig, indem versucht wird, die Wertschöpfungskette so regional wie möglich zu gestalten; drittens auch sozial nachhaltig, indem die Arbeit alle im Team erfüllt und zugleich die Produkte anderen „Genussmomente schenken“.
Die ersten fünf Jahre haben Maria-Elisabeth und Max Laimer mit ihrem Unternehmen gemeistert. Ende des Vormonats stieg die große Party dazu im Pfefferlechner. Getrunken wurde auch – als gäbe es ein Morgen.
DIE SERIE In der Serie „Jung & hungrig“ stellt die SWZ junge Menschen in und aus Südtirol mit den verschiedensten Lebensläufen vor. Eines haben sie jedoch alle gemeinsam: Sie sind jung und hungrig nach Erfolg. Alle bisher erschienenen Artikel aus der Reihe finden Sie auf hier und in der SWZapp.
Dieser Artikel ist in der gedruckten SWZ mit folgendem Titel erschienen: „Kein Alkohol ist auch eine Lösung“.
Info
Maria-Elisabeth Laimer
Die 29-Jährige besuchte die Oberschule in Meran, wovon sie ein Semester an einer italienischen Schule und eines in Neuseeland verbrachte. Anschließend studierte sie an der Zeppelin Universität am Bodensee, die den Anspruch hat, einen unternehmerischen Ansatz mit interdisziplinärer Denkweise zu verbinden, Kultur, Wirtschaft und Kommunikation. Ein Semester absolvierte sie in Mailand. Neben ihrer Ausbildung sammelte sie Erfahrungen als Praktikantin bzw. Werkstudentin. Ihre erste feste Arbeitsstelle trat sie bei einem Technologie-Start-up in München an. Einen Monat, bevor sie ihren MBA in Paris beginnen sollte, zog sie ihre Teilnahme zurück, um sich voll und ganz ihrem Unternehmen Freedl zu widmen, dass sie 2019 gemeinsam mit ihrem Bruder Max gegründet hatte.