SWZ: Herr Schmid-Lossberg, wie lesen Sie Zeitungen: ausschließlich online oder auch auf Papier?
Alexander Schmid-Lossberg: Ich lese Zeitungen regelmäßig auf Papier. Schon als Kind habe ich frühmorgens nach meinem Vater die überregionale Tageszeitung gelesen. Das sind Lesegewohnheiten, die sich eingeprägt haben. Ich schaue aber auch mehrmals täglich in die Onlineausgaben verschiedener Zeitungen.
Der Axel-Springer-Medienkonzern gilt als Vorreiter in Sachen Digitalisierung, und Sie haben den Digitalisierungsprozess maßgeblich mitgestaltet. Wie viel Prozent des Konzernumsatzes werden heute aus digitalen Aktivitäten generiert?
Axel Springer erwirtschaftete im ersten Quartal 2016 67 Prozent des Konzernumsatzes mit digitalen Angeboten, wobei ich damit nicht nur die Onlineausgaben der journalistischen Produkte meine, sondern beispielsweise auch unsere digitalen Angebote in den Bereichen Immobilien, Autos und Jobs. 85 Prozent der Werbeumsätze sind mittlerweile digital – und die Digitalangebote tragen 72 Prozent zum EBITDA bei. 2008, als ich ins Unternehmen kam, lagen diese Zahlen teilweise im einstelligen Bereich. Da hat es eine enorme Umwälzung gegeben.
Betrachten die Mitarbeiter des traditionellen Printgeschäftes die digitalen Angebote als hausinterne Konkurrenz?
Zunächst gab es vor Jahren tatsächlich interne Diskussionen, weil der Ausbau der digitalen Angebote als Konkurrenz empfunden wurde. Diese Diskussion ist seit Langem zu Ende. Alle haben verstanden, dass es der richtige Schritt war, sich mit einer Onlineausgabe selbst Konkurrenz zu machen. Heute sitzen Print- und Onlinejournalisten bei den Themenkonferenzen an einem Tisch, damit jeder dem anderen zuarbeiten kann.
Sie werden im Herbst beim Fachkongress „Digitale Transformation“ in Bozen darüber berichten, wie sich die Digitalisierung auf die Unternehmenskultur auswirkt. Was macht die Digitalisierung mit der Unternehmenskultur?
Die Medienbranche – aber nicht nur sie – ist heute mit Herausforderungen konfrontiert, die es vor acht, neun Jahren noch gar nicht gab. Es gibt bei den mobilen Endgeräten radikale Produktveränderungen, neue Wettbewerber wie Google oder Facebook sind auf dem Markt, Mitarbeitertypen ändern sich – viele haben einen technologischen Hintergrund –, wir haben neue, agile Formen der Zusammenarbeit und müssen uns vernetzen. Was bedeutet das für die Unternehmenskultur? Erstens: Die Schnelligkeit ist in der digitalen Welt mehr denn je ein Thema – mitunter muss man mit einem Prototypen auf den Markt gehen, denn wenn man auf das perfekte Produkt wartet, ist die Konkurrenz vielleicht schneller. Zweitens: Führungskräfte sind aufgefordert, ihre Mitarbeiter zu motivieren, in Netzwerken zu denken und Wissen zu teilen – und sie müssen das auch selbst tun. Drittens: Es ist ein hohes Maß an Veränderungsbereitschaft erforderlich, und Mitarbeiter sollten Produkte und Prozesse ständig hinterfragen. Viertens: Digitale Kompetenz ist das Um und Auf.
Verändert sich die Unternehmenskultur quasi von alleine, weil junge Mitarbeiter nachrücken, welche in der digitalen Welt aufgewachsen sind? Oder muss ein Unternehmen wie Axel Springer diese Transformation aktiv begleiten?
Ein gemeinsames Verständnis für die Unternehmensziele, Neugier auf die Erfahrungen des jeweils anderen, vorbehaltlose Kooperation und eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen „digital natives“ und den Mitarbeitergruppen, die nicht „digital“ geprägt wurden, entstehen keineswegs von allein. Eine klare Beschreibung der angestrebten Kultur und eine systematische Begleitung aller Mitarbeiter sind nach unserer Überzeugung unbedingt erforderlich. Dabei können alle voneinander lernen! Ein Schlüsselerlebnis für die Führungskräfte von Axel Springer war 2013 eine Reise ins Silicon Valley. Der Besuch bei den Großen der Digitalbranche, wie Facebook, Google, Apple oder eBay, der Austausch mit Innovationsexperten, Gründern und Investoren öffnete den Blick und half, die Unternehmenskultur ein Stück weit zu verändern. Wissen zu teilen, bewusst Räume für Kreativität zu schaffen, Risiken einzugehen und dabei aus Fehlern schnell zu lernen sowie Schnelligkeit sind nur einige Kulturmerkmale. Dass dies funktioniert, hatten bereits zuvor drei Führungskräfte bewiesen, die für mehr als neun Monate eine Art Brückenkopf von Axel Springer im Silicon Valley bildeten und dort ein großes Netzwerk aufbauten sowie neue Ideen entwickelten. Zwei von ihnen arbeiteten in traditionellen Unternehmensbereichen, einer war Chefredakteur, ein anderer Vermarktungschef.
Wie können ältere Mitarbeiter auf die gewandelte, aber ungewohnte Unternehmenskultur eingeschworen werden?
Hier gilt es, Vorbehalte und Ängste abzubauen und Neugier auf digitale Themen zu wecken. Genau da setzt unsere „move“-Initiative an. Mit einer Reihe von Veranstaltungen, die leicht zugänglich sind – für die eine Anmeldung nicht notwendig ist, die am Morgen oder in der Mittagszeit stattfinden oder am Bildschirm verfolgt werden können –, konnten wir viele Mitarbeiter erreichen und motivieren, sich selbst mit der Digitalisierung intensiv auseinanderzusetzen. Darüber hinaus haben wir in Qualifizierung investiert, bieten digitales Mentoring an und haben Erklärfilme zu digitalen Begriffen produziert, die jeder Mitarbeiter individuell abrufen kann.
Die Schnelligkeit, die Veränderungsbereitschaft und das Netzwerkdenken, welche Sie erwähnen, haben ja nicht nur Auswirkungen auf die Unternehmenskultur, sondern ganz allgemein auf den Arbeitsmarkt. Die Fluktuation nimmt zu, Teams ändern sich so schnell wie noch nie. Betrachten Sie das als Chance, weil ständig frisches Blut ins Unternehmen kommt, oder auch als Schaden, weil Know-how abfließt?
Bei Axel Springer arbeiten immer jüngere Mitarbeiter aus immer mehr Ländern. Die Fluktuation hat dabei nicht nennenswert zugenommen. Wir freuen uns sehr über die zahlreichen neuen, qualifizierten Mitarbeiter, die ihr Wissen in nahezu 20 sogenannten „Best Practice Clubs“ regelmäßig mit anderen Kollegen teilen. Wir stellen außerdem immer wieder fest, dass Mitarbeiter zu Axel Springer zurückkommen, dann mit neuen Erfahrungen. Sie schätzen unsere Kultur, die unternehmerische Freiräume von Start-ups mit den Vorteilen eines großen, etablierten Unternehmens verbindet.
Im Grunde gilt das, was Sie am Beispiel der Medienbranche beschreiben, in einer Zeit der fortschreitenden Digitalisierung auch für Unternehmen jeder anderen Branche, oder
Die Medien stehen in diesem Veränderungsprozess angesichts der sich wandelnden Lesegewohnheiten ganz vorne. Aber früher oder später erfasst die Digitalisierung jede Branche. Wichtig dabei ist, dass die Chancen erkannt und genutzt werden, welche dieser Wandel eröffnet.
Nun ist Axel Springer eine Unternehmensgruppe, welche die personellen und finanziellen Kapazitäten hat, um die Digitalisierung zu bewältigen. Viele kleine Unternehmen haben diese nicht. Gibt es Ihres Erachtens etwas, was kleine Unternehmen – egal welcher Branche – diesbezüglich von Axel Springer lernen können?
Die Digitalisierung bietet in allen Märkten Chancen, auch in regionalen Märkten. Diese zu suchen, Ideen zu entwickeln und mutig auszuprobieren, auch wenn nicht jeder Schritt erfolgreich sein wird, führt in die Zukunft. Es kann dabei auch richtig sein, dem eigenen traditionellen Geschäft durch digitale Angebote ganz oder teilweise Konkurrenz zu machen.