SWZ: Sie haben bereits vor einem Jahr in Ihrem Buch „Die Inflation kommt!“ vor der Geldentwertung gewarnt. Hatten Sie damit gerechnet, dass Sie so schnell Recht haben sollten?
Stefan Riße: Dass es jetzt tatsächlich so schnell so stark nach oben gegangen ist, ist auch für mich überraschend. Im Buch habe ich aber einige Inflationstreiber genannt, wie „aufgestaute Nachfrage trifft auf verringertes Angebot“ und das hat voll zugetroffen. Wir müssen heute klar sagen, dass diese Hilfspakete der Regierungen, im Besonderen jenes der Amerikaner, völlig überdimensioniert waren. Der frühere amerikanische Notenbankchef Ben Bernanke hat einmal gesagt, man könne zur Not in einer Krise Geld mit dem Helikopter abwerfen. Das ist tatsächlich passiert, den Leuten wurden Schecks nach Hause geschickt, manche Familien haben 40.000 Dollar bekommen.
Die Einkommen der Amerikaner sind deutlich stärker gewachsen, als sie es ohne Krise wären. Das Ganze traf auf ein völlig verringertes Angebot: Restaurants waren zu, Reisen konnten nicht gemacht werden und auch die Produktion war stark verringert. Das hat einen Schub gegeben und wir sind jetzt schon an einem Punkt angekommen, an dem die Löhne steigen, weil Personal knapp ist und die Leute nach Ausgleich für die Inflation schreien.
Sind wir schon am Höhepunkt der Inflation angekommen?
Kurzfristig ist das gut vorstellbar, dass wir jetzt einen leichten Rückgang erleben, aber ich glaube nicht, dass wir auf die zwei Prozent zurückkommen. Jedes Unternehmen sagt „Wir müssen die Preise erhöhen“, und das kommt erst alles noch. Insofern glaube ich, werden wegen der längerfristigen Inflationstrends die Löhne steigen. Das wird über Jahre gehen und dafür sorgen, dass die Inflationsraten hoch bleiben.
Wir erleben jetzt also in gewisser Hinsicht einen Wandel.
Genau, wir haben jetzt 40 Jahre ohne Inflation gelebt, und das lag daran, dass die Globalisierung bei allem, was wir in Massenproduktion herstellen, massiv preisdrückend gewirkt hat.
Sollten Anlegerinnen und Anleger in Zeiten so hoher Inflation ihre Strategien überdenken?
Das hängt davon ab, wie sie bisher positioniert sind. In Zeiten hoher Inflation ist es wichtig, Sachwerte und keine Geldwerte mehr zu haben. Bei den Sachwerten gibt es verschiedene. Wir haben solche, die illiquide sind, wie Immobilien. Die Immobilie kann ich nur als Ganzes erwerben, ich brauche eine Menge Kapital und kann sie nicht nur teilweise verkaufen, wenn ich mal Geld brauche. Rentierlich ist sie, wenn ich einen Mietzins bekomme, es hängt aber auch von vielen anderen Faktoren ab.
„Jeder weiß, dass Staaten über eine Inflation eine Entschuldung betreiben können. Die Inflation ist die Hölle der Gläubiger und das Paradies der Schuldner.“
Wie schaut es mit anderen Sachwerten wie Gold oder Aktien aus?
Gold ist in Inflationszeiten sicher nicht das schlechteste, wenngleich es in den letzten Wochen enttäuscht. Gold ist aber unrentierlich, das darf man nicht vergessen. Die Kraft einer Kapitalanlage ist die Wiederanlage der Erträge, der Zinseszins. Und das hat Gold nicht, weil man da in totes Metall investiert. Deswegen sollte man nicht sein ganzes Geld in diesen Sachwert anlegen. Dieser Preis ist rein ideell, von Angebot und Nachfrage getrieben. Es gibt keine Garantie, dass der Preis steigt.
Dann bleiben eigentlich als Sachwerte und rentierliche Anlage nur noch Aktien und ich finde, in jedes Anleger-Depot gehört ein hoher Aktienanteil. Bei der Anlage in Geldwerte sage ich immer drei Nettolöhne, das klassische „Waschmaschinen-Geld“. Da kann man die Inflation noch einigermaßen verschmerzen, mehr aber bitte nicht, ansonsten spare ich mich arm und die Inflation frisst große Teile meines Vermögens auf.
Also sind Aktien nach wie vor attraktiv.
Ja, natürlich das Umfeld ist schwieriger geworden als 2021. Das muss man klar sagen. Wir haben jetzt eine Situation, in der die Notenbanken doch stärker bremsen oder bremsen wollen, aber sie werden es nicht so stark tun, wie es in den 70er-Jahren passiert ist, dass sie also wirklich die Zinsen so hoch wie das Inflationsniveau setzen oder sogar noch darüber. Dafür ist die Welt viel zu hoch verschuldet. Deshalb sollte der negative Einfluss des Handelns der Notenbanken bei homöopathischen Dosen bleiben.
Kommen wir noch einmal zurück zu den Immobilien: Wie attraktiv sind Immobilien als Investments?
Das hängt ganz stark von der Lage ab. Wir sehen in Deutschland zum Beispiel in den Ballungszentren keine attraktiven Immobilien mehr, weil die Preise so in die Höhe geschossen sind, dass die Leute gar nicht mehr so hohe Mieten bezahlen können, damit Besitzer dann noch vier oder fünf Prozent Rendite erhalten könnten. Die Renditen sind schmal geworden. Attraktiv sind eher Zonen, wo die Kaufpreise noch nicht so hoch sind, aber die Mieten schon. Wenn die Mietrendite nicht mindestens fünf Prozent ist, würde ich es nicht machen. Viele vergessen bei Immobilien, dass man Renovierungskosten hat. Die muss man von den Mietzinsen noch einmal abziehen.
Sie haben vorhin auch das Gold angesprochen. Wie groß sollte der Gold-Anteil in einem Depot sein?
Ich finde eine Gold-Beimischung von zehn bis zwanzig Prozent nicht schlecht, als gewisse Versicherung und weil die Inflation das Gold früher oder später sicher nach oben treibt.
Welche Faktoren sollten Anleger und Anlegerinnen derzeit in Bezug auf Aktien beachten?
Unbedingt breit streuen. Das ist wahnsinnig wichtig. Ich empfehle immer, in Fonds anzulegen. Das können natürlich ETFs sein, wobei man sich dabei oft schon Klumpenrisiken einkauft, weil da die großen Werte einen großen Raum einnehmen. Oder auch in aktiv gemanagte Fonds oder Mischfonds. Wer sich auf Einzelaktien konzentriert, der sollte jene von Branchen oder Unternehmen kaufen, die eine hohe Preissetzungsmacht haben. Die also die Inflation und die höheren Preise, die sie haben, gut an ihre Abnehmer abgeben können.
Was wäre ein Beispiel für ein solches Unternehmen?
Microsoft. Das Unternehmen hat die Hoheit in unseren Büros, auch Apple ist da keine Alternative. Sie sind als Unternehmen teilweise unersetzbar. Solche Unternehmen lieben wir als Fondsmanager, auch, weil sie jegliche Preiserhöhung weitergeben können, der sie ausgesetzt sind.
Der Ukrainekrieg wirkt sich stark auf die Finanzmärkte aus. Inwieweit wird durch diesen geopolitischen Konflikt eine Anpassung in der Länder- und Branchenallokation notwendig?
Wer Russland oder Ukraine in seinem Depot hat, sollte schauen, diese irgendwie loszuwerden, weil ich nicht glaube, dass man da noch irgendwie handeln kann. Im vergangenen Jahr hätte ich noch gesagt, 2022 wird das Jahr Europas. Vor allem aufgrund des Wiederaufbaufonds, der erst ausgeschüttet wird. Jedem ist nun mit dem Krieg wieder klargeworden, dass Europa viel gefährdeter ist als die USA, die weit weg sind. Insofern würde ich heute sagen: Vergesst Amerika nicht.
Wie schaut es mit den Branchen aus?
Wir haben nun eine massive Renaissance der Energie- und Ölwerte, die vorher keiner mehr haben wollte. Es geht momentan raus aus der Technologie, das hat zwei Gründe. Bei Technologiewerten ist in der Regel nicht viel an Substanz da. Das sind sogenannte capital light-Firmen. Insofern bezahlt man die abgezinsten zukünftigen freien Cashflows des Unternehmens auf Lebenszeit. In dem Moment, wo die Zinsen steigen, steigt auch dieser Abzinsfaktor und es verringert sich der innere Wert des Unternehmens. Zum anderen sind diese Aktien wahnsinnig stark gestiegen, da ist auch viel spekulatives Kapital reingeflossen.
Die Fed hat kürzlich den Leitzins um 0,5 Prozentpunkte angehoben, es wird erwartet, dass andere Zentralbanken, darunter die EZB, ebenfalls in nächster Zeit nachziehen. Wie reagiert die Börse auf steigende Zinsen?
Steigende Zinsen sind grundsätzlich schlecht für die Börse, denn damit entsteht Konkurrenz für die Aktie und die Zinsen steuern Liquidität – das Lebenselixier der Aktie an der Börse. Mein Gesamtbild betrachtet aber auch die Realzinsen und die sind so tief, wie sie seit Jahren nicht waren. Das spricht dann wieder ein Stück weit für die Aktie.
Käme eine scharfe Inflationsbekämpfung, sprich Zinserhöhungen von sieben oder acht Prozent, dann müsste man sich warm anziehen, was die Aktienmärkte betrifft. Aber so ist es raue See, die Anleger:innen müssen bessere Nerven haben. Mein großer Rat ist: bloß nicht jeden Tag schauen, wo der Kurs eines ETFs oder Fonds steht. Einfach langfristig anlegen, das hat sich seit jeher bewährt.
Die Inflation wirkt sich auch auf die Staatshaushalte aus, indem sie für eine Erosion des Schuldenwertes sorgt. Das kommt vielen Staaten zugute. Könnte die derzeitige Inflation gewollter sein, als es der Allgemeinheit verkauft wird?
Ja. Ich glaube zwar nicht an Verschwörungstheorien, aber das ist ganz einfacher Common Sense. Jeder weiß, dass Staaten über eine Inflation eine Entschuldung betreiben können. Die Inflation ist die Hölle der Gläubiger und das Paradies der Schuldner, das Geld entwertet sich bzw. das Bruttoninlandsprodukt steigt während der Inflation nominal betrachtet sehr schnell. Damit wird der alte Schuldenberg in Relation zum BIP geringer.
Also liegt es im Interesse der Staaten, eine hohe Inflation beizubehalten.
Nicht zwingend. Man muss bedenken, dass es ein viel härterer Schaden für eine Volkswirtschaft wäre, wenn das Vertrauen aus dem Papiergeld komplett verschwindet, Anleger nur noch in Sachwerte flüchten und niemand mehr Staatsanleihen kaufen will. In dem Fall käme nur noch eine Währungsreform infrage. Da muss man eindeutig sagen, dass es auch ein Inflationsniveau geben kann, wo man Inflationsbekämpfung als wichtiger ansieht als die Wirtschaft zu unterstützen, aber solange es im aktuellen Bereich bleibt und vielleicht sogar ein bisschen abkühlt, werden die Notenbanken es mehr oder weniger laufen lassen.
Wie lauten Ihre Prognosen in Bezug auf den Leitzins? Wie weit wird ihn die EZB anheben?
Kaum mehr als zwei Prozent.
Interview: Silvia Santandrea
Info
Riße beim Raiffeisen InvestmentClub
Stefan Riße ist Kapitalmarktstratege der Vermögensverwaltungsgesellschaft ACATIS Investment. Seit seinem 16. Lebensjahr beschäftigt er sich intensiv mit den internationalen Finanzmärkten. Bekannt wurde er aber vor allem wegen seiner Berichte für „N-TV“, die von 2001 bis 2005 live vom Frankfurter Börsenparkett gesendet wurden. Auch heute ist Riße dort regelmäßiger Interviewpartner wie auch für andere TV- und Radiosender. Von 2006 bis 2011 war er Chief Market Strategist der Deutschlandniederlassung von CMC Markets. 2011 wechselte er zur HPM Hanseatische Portfoliomanagement GmbH in Hamburg. Seit 2016 ist er unabhängiger Experte, Berater und Vortragsredner. Seine Beiträge auf Onvista und Wallstreet Online geben regelmäßig Einblick in das Börsengeschehen. Am 15. Juni 2021 ist sein viertes Buch mit dem Titel „Die Inflation kommt!“ erschienen.
Vortrag demnächst online abrufbar
Riße hat am 11. Mai bei einer Veranstaltung des Raiffeisen InvestmentClubs zum Thema „Energiekrise, Lockdowns und Zinsanstieg – Aktien bleiben dennoch alternativlos!“ gesprochen. Der Vortrag ist demnächst auf www.investmentclub.it verfügbar. Neben Riße hat der Journalist Claus Kleber referiert.