SWZ: Frau Schwarzer, Sie halten am Freitag (heute, Anm. der Red.) in Gargazon einen Vortag zum Investieren in Aktien eigens für Frauen. Legen Frauen ihr Geld anders an als Männer?
Jessica Schwarzer: Es heißt sehr oft, dass Frauen vorsichtiger sind. Das trifft es aber nicht ganz: Frauen gehen das Thema einfach anders an. Sie haben nicht dieses höher-schneller-weiter-Denken, das Männer manchmal haben.
Was heißt das konkret?
Sie gehen ihre Finanzen langfristiger an, streuen das Risiko breiter und informieren sich intensiver als Männer. Wenn sie sich für eine Geldanlage entscheiden, bleiben sie dieser treu. Es gibt auch Umfragen, in denen sehr viel mehr Frauen als Männer antworten, dass sie sich mit dem Thema Geld nicht gut genug auskennen. Studien zeigen aber auch: Wenn Frauen einmal anfangen, dann sind sie ziemlich gute Anlegerinnen.
Frauen sind also zu Beginn, wenn sie Geld anlegen wollen, vorsichtiger als Männer. Warum?
Das hat damit zu tun, wie sie sozialisiert worden sind und immer noch werden. Es ist in vielen Beziehungen gang und gäbe, dass sich der Mann um die Finanzen kümmert. Das wurde den meisten auch so von den Eltern und Großeltern vorgelebt. Frauen glauben deshalb, dass Männer sich besser auskennen – aber das stimmt nicht, wir sind ja alle in die gleiche Schule gegangen. Diese haben deshalb anfangs oft Berührungsangst mit Aktien und lassen sich viel Zeit, bevor sie sich dem Vermögensaufbau oder der Vorsorge zuwenden. Langfristig ist das aber fatal.
„Frauen gehen strategischer ran, denken langfristiger. Männer gucken stärker auf die Rendite.“
Was spricht für Frauen für einen Vermögensaufbau bzw. eine Altersvorsorge mit Aktien?
Frauen verdienen weniger, bauen weniger Vermögen auf, sorgen weniger vor und haben ein höheres Risiko für die Altersarmut. Und das ist ein großes Problem. Sparen bringt schon lange nichts mehr, daran ändert auch die Zinswende nichts. Es ist schön, dass wir keine Negativzinsen mehr zahlen, aber wir bekommen auch keine fünf oder zehn Prozent auf das Ersparte, sondern nur einen sehr geringen Zins. Und wenn wir uns noch die Inflation anschauen, dann haben wir einen negativen Realzins. Wenn Frauen Vermögen aufbauen wollen – gerade in Hinblick auf die Altersvorsorge –, dann muss etwas passieren. Und da ist die Aktie die beste Anlageklasse überhaupt.
Warum die Aktie?
Weil die langfristig bei breiter Risikostreuung sechs bis acht Prozent Rendite bringt. Das hilft uns jetzt, in Zeiten von acht-, neun- oder zehnprozentiger Inflation, auch nur begrenzt weiter, aber wir hoffen ja alle, dass die Inflation wieder sinkt. Und die Notenbanken tun auch alles dafür. Dann werden wir wieder einen positiven Realzins haben. Das werden wir mit Sparen nicht schaffen.
Ich würde außerdem immer eine flexible Anlageform wählen – und das sind Aktien und Aktienfonds, weil man zwischendurch doch ans Geld kommt. Lebensziele und -entwürfe ändern sich. Ich habe mich vor vier Jahren selbstständig gemacht und habe damals entschieden, dass meine ETF- und Aktienfonds-Sparpläne der Großteil meiner Altersvorsorge werden, weil ich nicht mehr in die gesetzliche Altersversicherung eingezahlt habe. Seither bestimme ich die Raten selbst. Was ich aber auch einen schönen Gedanken fand: Wenn es einmal nicht gut läuft, dann kann ich die Raten jederzeit für ein paar Monate runtersetzen oder aussetzen.
Was sollten Frauen also berücksichtigen, wenn Sie sich für einen Vermögensaufbau oder eine Altersvorsorge mit Aktien entscheiden?
Breite Risikostreuung. Bei Einzelaktien wäre ich vorsichtig, weil das ein großer Aufwand ist. Denn wenn man an die Regel der Risikostreuung denkt, dann sollte man hunderte Aktien haben – aus verschiedenen Ländern, aus verschiedenen Regionen, aus verschiedenen Branchen. Bei Einzelaktien verliert man schnell den Überblick. Da ist es besser, wenn man in Fonds investiert und die Zusammensetzung den Profis überlässt. So hat man ein Investment – oder mehrere, wenn man mehrere Fonds kauft – hat aber hunderte oder tausende Aktien im Depot.
„Die Aktie bringt langfristig bei breiter Risikostreuung sechs bis acht Prozent Rendite. Das hilft uns jetzt, in Zeiten von acht-, neun- oder zehnprozentiger Inflation, auch nur begrenzt weiter, aber wir hoffen ja alle, dass die Inflation wieder sinkt.“
Die zweite Regel ist: ein langer Atem und langfristiges Denken. Sprich: Kein Geld an der Börse anlegen, das man früher als in zehn Jahren braucht. Wer in fünf Jahren ein Haus kaufen will, und jetzt noch meint, er könne das Geld an der Börse verdoppeln, dem sage ich: Kann funktionieren, kann aber auch komplett schiefgehen.
Würden Sie Frauen eine andere Anlagestrategie empfehlen als Männern?
Nein, die Regeln gelten für alle. Wir brauchen weder eine rosa Aktie noch eine hellblaue Strategie. Der Unterschied liegt in der Herangehensweise. Frauen gehen strategischer ran, denken langfristiger. Männer gucken stärker auf die Rendite.
Wenn Frauen anlegen, sind sie im Schnitt erfolgreicher dabei und erwirtschaften höhere Renditen als ihre männlichen Pendants, das haben Studien gezeigt. Wie lässt sich das erklären?
Diese höheren Renditen – 0,2 oder 0,3 Prozent pro Jahr – hören sich zunächst nach wenig an. Wenn man das aber auf 20 oder 30 Jahre hoch- und den Zinseszinseffekt miteinrechnet, dann wird das schon deutlich mehr. Ich glaube, diese Unterschiede bei der Rendite liegen daran, dass Frauen mit Strategie an die Sache rangehen und langfristiger denken. Es gibt auch die Börsenwahrheit „Hin und Her macht Taschen leer“. Ständig zu wechseln, kostet Gebühren und ist nicht sehr zielführend. Frauen bleiben hingegen ihrer Strategie treu. Und das macht sie scheinbar langfristig zu besseren Anlegerinnen.
Was können Männer vom Anlageverhalten der Frauen lernen?
Nicht immer die neueste, heißeste Wette suchen und eingehen, langfristig investieren, breit streuen – Männer haben viel öfter Einzelaktien im Depot als Frauen – und mit einer Strategie arbeiten. „Ich will die größte Rendite“ ist keine Strategie.
Und was können sich Frauen von Männern abschauen?
Einfach mal machen, einfach mal loslegen. Frauen brauchen deutlich länger, um den ersten Schritt zu machen. Man kann bereits mit kleinen Summen und einem kleinen Sparvertrag loslegen, bevor man jahrelang recherchiert und sich noch ein Beratungsgespräch gönnt und noch ein Buch liest. Also: mutig loslegen und versuchen.
Interview: Silvia Santandrea
Info
Jessica Schwarzer in Südtirol
Jessica Schwarzer ist leidenschaftliche Börsianerin. Die Historikerin und Politologin schreibt seit mehr als 25 Jahren über Geldanlage. Zehn Jahre lange arbeitete sie für das Handelsblatt, leitete das Ressort Finanzen bei Handelsblatt Online und war zuletzt Chefkorrespondentin. 2018 hat sie sich als Finanzjournalistin und Moderatorin selbstständig gemacht. Vor Kurzem ist ihr sechstes Buch „Wie wirklich jeder entspannt reich werden kann. 15 Ausreden, die nicht mehr zählen.“ im Finanzbuchverlag erschienen. Heute Abend (23. September) referiert sie bei der Veranstaltung „Die starke Frau investiert!“ des Raiffeisen InvestmentClub in Gargazon über den Vermögensaufbau mit Aktien und die Regeln der Geldanlage.