SWZ: Ist regional denn immer besser?
Jakob Zeller: Ganz pauschal kann man das nicht sagen. Man muss die Sachen mit Hausverstand angehen. Wenn jemand im Winter ein Gewächshaus mit wahnsinnig viel Strom beheizt, um bei uns hier Tomaten zu züchten, ist das aus Sicht der Nachhaltigkeit auch nicht gut. Ansonsten sind kurze Wege, kleine Kreisläufe sicher erstrebenswert. Neben dem Aspekt der Nachhaltigkeit geht es für uns in der Gastronomie natürlich um den Aspekt der Qualität. Ich finde, wenn man regional einkauft und den persönlichen Bezug zu einem Produzenten hat, kann man ein Produkt weiterentwickeln und die Qualität durch direktes Feedback steigern. Das ist beim Großhändler anders.
Sie haben beide in Küchen in den verschiedensten Ländern gekocht. Wann haben Sie jeweils den Aspekt der Regionalität für sich entdeckt?
Ethel Hoon: Ich habe in Singapur gelebt, bis ich 18 war, und bin dann in eine sehr kleine Stadt in den USA, um zu studieren. Um die Uni herum gab es weite Landwirtschaftsflächen und ich konnte einkaufen, was lokal produziert worden war. In Singapur hingegen wird fast die gesamte Nahrung importiert. Wenn man dort von Regionalität spricht, meint man den südostasiatischen Raum. Es ist also ein ganz anderes Konzept. Der Hauptunterschied liegt in meinen Augen in der Frische der Produkte – und man setzt sich sehr viel eher mit Saisonalität auseinander. Durch die Nähe Singapurs zum Äquator gibt es dort praktisch keine Jahreszeiten und alle Produkte sind ständig verfügbar.
In Singapur wird fast die gesamte Nahrung importiert. Wenn man dort von Regionalität spricht, meint man den südostasiatischen Raum.
Wie war es bei Ihnen, Herr Zeller?
Zeller: Ich bin durch die Slow-Food-Bewegung zum Kochen gekommen und habe von Anfang an versucht, den Nachhaltigkeitsaspekt auszuleben. Regionalität stand dadurch bald an oberster Stelle. Sie noch stärker umzusetzen, war auch einer der Gründe, wieso ich ins „Fäviken“ gegangen bin. Mich hat interessiert, wie an einem Ort mit so kurzen Vegetationszeiten übers Jahr gekocht wird. Bei uns war es früher ja ähnlich, wenn auch weniger extrem. Mittlerweile hat sich aber viel getan, gerade durch junge Menschen, die Gemüse und Obst anbauen. Vor zehn, 15 Jahren war es im Februar irgendwann nur mehr fad, weil du keine Rote Bete und keinen Kohl mehr sehen konntest.
Auch in Ihrem eigenen Restaurant „Klösterle“, das Sie in Vorarlberg führten, lag ein Fokus auf Regionalität. Was bedeutet dieses Konzept für Sie?
Hoon: Für uns ist Regionalität der Kern unseres Kochens. Egal, wo wir arbeiten, verwenden wir lokale Produkte, die für die Gegend und die jeweilige Jahreszeit typisch sind. Bei der Zubereitung werden wir dann kreativ und bedienen uns an Techniken aus aller Welt. Ich bin in einem singapurisch-chinesischen Haushalt aufgewachsen, entsprechend wurde gekocht. Außerdem bringe ich Erfahrungen aus Frankreich und Japan mit, Jakob aus dem Mittelmeerraum. Alles, was wir bisher kennengelernt haben, nutzen wir nun für die Arbeit mit den lokalen, saisonalen Produkten.
Egal, wo wir arbeiten, verwenden wir lokale Produkte, die für die Gegend und die jeweilige Jahreszeit typisch sind. Bei der Zubereitung werden wir dann kreativ und bedienen uns an Techniken aus aller Welt.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Zeller: Unser Saibling auf chinesische Art: Er wird vom Rücken ausgenommen und im Ganzen gebacken. Dazu machen wir Sojasauce, aber aus Lupinen, und ein Latschenkiefernöl. Ich denke, es ist das, was vielen an unserer Küche gefällt: die Spannung aus asiatischen, internationalen Einflüssen und lokalen, alpinen Produkten.
Wie radikal sollte der Regionalitätsgedanke für Sie umgesetzt werden?
Zeller: Wir sehen das nicht so dogmatisch. Ich finde, wenn man den Großteil der Produkte aus der Region bezieht, kann man auch ruhigen Gewissens Olivenöl und Zitrusfrüchte aus Süditalien dazunehmen. Wir kaufen alle frischen Produkte, wie Gemüse, Fleisch, Milchprodukte aus der unmittelbaren Umgebung. So um die 90 bis 95 Prozent des gesamten Einkaufs. Wir reisen aber auch sehr gerne und bringen tolle Produkte mit nach Hause. Da fühlen wir uns relativ frei. Auch, weil uns zwar der Bezug zum jeweiligen Ort wichtig ist, wir aber zugleich möchten, dass man merkt, wer in der Küche steht.
Was halten Sie von Konzepten wie „No waste“, möglichst wenig Abfallprodukte generieren, und „Nose to tail“, möglichst viele Teile vom Tier verwerten?
Zeller: Es ist sehr wichtig für uns, so viel wie möglich von jedem Produkt zu verwenden, einerseits aus Respekt, andererseits aus wirtschaftlicher Sicht. Wenn wir in unserem Restaurant in Lech Fleisch gekauft haben von einem Demeter-zertifizierten Betrieb, hat das einfach was gekostet. Allein von der Kalkulation her muss man dann schauen, jedes Teil zu verwenden.
In klein strukturierten Restaurants, so wie sie es in Südtirol häufig sind, sind diese Konzepte aber seit jeher zu finden.
Es ist sehr wichtig für uns, so viel wie möglich von jedem Produkt zu verwenden, einerseits aus Respekt, andererseits aus wirtschaftlicher Sicht.
Haben Sie so etwas wie ein Vorbild im Bereich der regionalen Küche?
Zeller: Verschiedene „Farm restaurants“, die selbst anbauen. In diese Richtung wollen wir auch selbst gehen. Wir planen ja etwas …
… worüber wir gleich noch sprechen werden. Zunächst würde mich interessieren, an welche Grenzen Gastronominnen und Gastronomen stoßen, die den Regionalgedanken umsetzen möchten?
Zeller: Regionalität umzusetzen bringt zwei große Herausforderungen mit sich, die im Grunde einen Widerspruch bilden. Zum einen ist es die Logistik: Wie kommt das Produkt vom kleinen Produzenten zum Restaurant? Beide können entlegen sein. Manchmal gibt es nur einmal pro Woche eine Lieferung. Das bedeutet mehr Organisation und mehr Planung. Zugleich muss man aber sehr flexibel sein und sich nach der Verfügbarkeit der Produkte richten. Die Natur gibt den Takt vor. Nicht denken: Ich will diese Woche ein Gericht mit Tomaten und der Produzent bringt mir die. Sondern: Ich bekomme etwas und darf daraus etwas machen.
Die Natur gibt den Takt vor.
Um wie viel günstiger ist der Einkauf im Großhandel?
Zeller: Genau kann ich das nicht sagen, weil wir immer schon regional eingekauft haben. Für uns ist die Rechnung immer aufgegangen. Wenn man tolle Produkte hat, muss man vielleicht weniger Aufwand betreiben, um etwas Tolles daraus zu machen. Wir glauben an das Credo: Das Essen kann nur so gut sein wie die Produkte, die man verwendet. Entsprechend ist es ein großer Teil unserer Arbeit, die besten Zutaten zu finden. Zugleich können wir lokale Produzenten unterstützen und der Region etwas zurückgeben. Schließlich profitieren der Tourismus und somit die Gastronomie von der Kulturlandschaft wie Almen und Bergbauernhöfen.
Den Mehrwert dieser Produkte muss man an den Gast weitergeben. Das ist eine Frage der Kommunikation.
Welche Erwartungen bringen die Gäste mit – und wie schwierig ist es, allen Diätformen gerecht zu werden?
Hoon: Unsere Gäste sind prinzipiell sehr neugierig und offen. Sie mögen, dass wir nicht das klassische Fine-Dining-Konzept verfolgen, sondern dass alles etwas lockerer ist. Bei uns werden zum Beispiel gerne Gerichte geteilt.
In Hinblick auf verschiedene Diätformen versuchen wir immer, so flexibel wie möglich zu sein. Im Sommer ist es einfach, weil viel Gemüse zur Verfügung steht. Dank der Konservierungsmethoden, die wir verwenden, können wir aber eigentlich das ganze Jahr über vegetarische und vegane Gerichte anbieten. Das machen wir allerdings nicht nur für die, die kein Fleisch oder keine tierischen Produkte essen. Wir lieben es, so mit Gemüse zu arbeiten, dass wir unsere Gäste überraschen können und es zum Hauptakteur auf dem Teller wird.
Ist Regionalität auch in der Basisgastronomie umsetzbar?
Zeller: Es ist klar, dass nicht jedes Restaurant in Südtirol diesen Ansatz verfolgen kann. Wir könnten alle mit Äpfeln versorgen, aber nicht mit anderen Produkten. Wenn jemand den Wunsch hat, regional einzukaufen, gibt es aber auf jeden Fall einen Weg.
Hoon: Es muss ja auch nicht immer ein Extrem sein – zu 100 Prozent regional oder gar nicht.
Kommen wir zum Abschluss zurück zu Ihren Plänen in Südtirol. Es heißt, Sie würden etwas im Überetsch eröffnen?
Zeller: Das stimmt tatsächlich. Die Verbindung aus Gastronomie und Landwirtschaft war schon lange unser Traum und jetzt haben wir den geeigneten Ort dafür gefunden. Wir werden einen Hof in wunderschöner Lage etwas oberhalb von Eppan pachten. Es gibt dort die Möglichkeit Gemüse anzubauen und Tiere zu halten, somit können wir einen Großteil unserer Produkte direkt aus den umliegenden Äckern, Wiesen und Wäldern beziehen. Die Eröffnung ist für Mitte 2025 geplant.
Dieser Artikel ist in der gedruckten SWZ mit folgendem Titel erschienen: „Im Takt der Natur“.
Info
Ethel Hoon und Jakob Zeller
Ethel Hoon stammt aus Singapur, studierte in den USA und besuchte in Paris die berühmte Kochschule „Le Cordon Bleu“. Weitere Erfahrungen sammelte sie in Restaurants in Singapur und Tokio.
Jakob Zeller stammt aus der Politikerfamilie Zeller-Unterberger. Nach der Matura besuchte er die Gastronomie-Schule „Escuela Hosteleria Hofmann“ in Barcelona. Für je rund ein Jahr kochte er in einem Restaurant in Frankreich und bei Anna Matscher im „Zum Löwen“ in Tisens.
Hoon und Zeller lernten sich kennen, als sie beide in Magnus Nielssons legendärem „Fäviken Magasinet“ in Järpen, Nordschweden, arbeiteten. Gemeinsam übernahmen sie 2019 die Leitung des Restaurants „Klösterle“ in Lech, Vorarlberg. 2021 zeichnete Gault&Millau Österreich sie als „Newcomer des Jahres“ aus.
Im nächsten Jahr eröffnet das Köchepaar sein eigenes Restaurant in Südtirol (siehe Interview).