Bozen – Die Landesregierung hat den Ball an die Sozialpartner weitergespielt: Die Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften sollen Kriterien ausarbeiten, die darüber entscheiden, welche Unternehmen ab dem nächsten Jahr einen geringeren Irap-Hebesatz genießen.
Vor wenigen Wochen beschloss der Landtag, den Hebesatz der Wertschöpfungssteuer Irap nach 2023 auch für 2024 von 3,9 auf 3,3 Prozent zu reduzieren (bis 2021 lag der Irap-Hebesatz in Südtirol übrigens noch bei 2,68 Prozent, ehe ihn die Landesregierung auf 3,9 Prozent erhöhte, um Mehreinnahmen für den Landeshaushalt zu erzielen). Die SVP machte dabei deutlich, dass 2025 wieder der ordentliche Steuersatz von 3,9 Prozent gelten werde – mit Ausnahme von jenen Betrieben, die besonders mitarbeiterfreundlich sind.
Es ist dies die Umsetzung eines Punktes aus dem Regierungsprogramm, wonach jene Arbeitgeber von einer Irap-Reduzierung profitieren sollen, die „mittels entsprechender Abkommen zwischen Sozialpartnern (territoriale Ebene oder Betriebsabkommen) höhere Lohnniveaus garantieren oder Welfare-Maßnahmen für die Vereinbarkeit von Familie, Leben und Beruf der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter umsetzen.“
Die Landesregierung hat den Sozialpartnern ein Jahr Zeit gegeben, selbst Kriterien für das Anrecht auf die günstigere Irap zu definieren. Bereits vor über fünf Jahren wollte Landeshauptmann Arno Kompatscher eine solche Koppelung an die Irap einführen. Es scheiterte damals zuerst am Willen der Sozialpartner – und dann kam Corona dazwischen. Jetzt erfolgt also ein neuer Anlauf. Inzwischen ist der Druck auf die Sozialpartner angesichts des deutlich angehobenen Steuersatzes höher.
Mindestens 150 Euro mehr

Die Gewerkschaften haben bereits eine klare Vorstellung, wie die Kriterien aussehen sollten. „Ein Unternehmen soll seinen Mitarbeitern mindestens 150 Euro im Monat mehr bezahlen als vom jeweiligen nationalen Kollektivvertrag vorgesehen. Dies kann über einen Landeszusatzvertrag oder ein Betriebsabkommen nachgewiesen werden“, erklärt der ASGB-Vorsitzende Tony Tschenett den einhelligen Vorschlag der Gewerkschaften.
Die genannten Abkommen könnten laut Tschenett beim Arbeitsinspektorat hinterlegt werden. Und das Land solle mit Stichprobenkontrollen überprüfen, ob tatsächlich mehr gezahlt wird. „Das wäre eine unbürokratische Lösung“, findet der ASGB-Chef, der aber auch eingesteht, dass die Sache bei individuellen Vereinbarungen mit Mitarbeitenden deutlich schwieriger sei.
Manche Sektoren, sagt Tschenett jedenfalls, erreichen das Plus von 150 Euro bereits, andere seien nahe dran. „Wo es noch hapert, ist der Handel.“ Dort wurde vor Kurzem für einen Teil des Handels der neue nationale Kollektivvertrag abgeschlossen. Derzeit laufen darauf aufbauend die Verhandlungen für den Landeszusatzvertrag.
Was sich Handel und Tourismus vorstellen

Noch zurückhaltend sind die Wirtschaftsverbände. Philipp Moser, Präsident des Handels- und Dienstleistungsverbandes (hds), will sich auf keine Summe wie die von den Gewerkschaften eingeforderten 150 Euro versteifen: „Unser Ziel ist es, den Landeszusatzvertrag so schnell wie möglich abzuschließen. Aber für die Irap braucht es eine wirklich simple Lösung: Wer einen territorialen Zusatzvertrag abgeschlossen hat und diesen vollinhaltlich einhält, soll von der Reduzierung profitieren. Es kann jedoch nicht sein, dass die Ersparnis bei der Irap zur Gänze weitergegeben wird.“ Grundsätzlich ist Moser zuversichtlich, mit den Gewerkschaften einen gemeinsamen Vorschlag für die Irap-Regelung zu finden.
Dasselbe ist von Manfred Pinzger, Präsident des Hoteliers- und Gastwirteverbandes (HGV), zu hören: „Wir nehmen die Aufforderung vonseiten der Landesregierung gerne an und werden mitarbeiten.“
Pinzger geht davon aus, dass der neue nationale Kollektivvertrag in seinem Sektor bald unterschrieben wird. Danach werde man umgehend mit den Verhandlungen für einen neuen Landeszusatzvertrag beginnen. „In diesem möchten wir wieder einiges für unsere Mitarbeiter unterbringen. Und wenn die Gewerkschaften der Meinung sind, dass wir ein gutes Paket ausgearbeitet haben, sollte das auch für die Politik passen und der entsprechende Vertrag somit für die Anwendung des reduzierten Irap-Satzes gelten“, erklärt der Verbandschef seine Vorstellungen.
Auch Zertifizierungen ein Thema

Der Sektor, in dem die Irap die größte Rolle spielt, ist die Industrie mit ihren großen Unternehmen. Der Präsident des sektorenvertretenden Unternehmerverbandes Südtirol, Heiner Oberrauch, sagt: Sofern eine einfache und unbürokratische Lösung gefunden wird, unterstütze man das Vorhaben der Landespolitik. In Sachen Kriterien verweist Oberrauch auf die vielen Betriebsabkommen in den Industrieunternehmen, die ihre Mitarbeiter:innen deutlich besser bezahlen würden als laut nationalen Kollektivverträgen vorgesehen.
ASGB-Chef Tony Tschenett stimmt dem zu. In der Industrie würden häufig Produktivitätsprämien gezahlt. „Ist ein entsprechendes Betriebsabkommen unterzeichnet und hinterlegt worden, sollte die Irap-Reduzierung gelten“, sagte Tschenett am Mittwoch nach einem ersten Austausch der Gewerkschaften mit dem Unternehmerverband.
Heiner Oberrauch bringt indes auch Zertifizierungen als mögliche alternative Kriterien ins Spiel – etwa jene für familienfreundliche Unternehmen.
Koppelung auch an Beiträge und Ausschreibungen?
Geht es nach den Gewerkschaften, sollten die zu vereinbarenden Irap-Kriterien auch für den Zugang zu Landesbeiträgen und öffentlichen Ausschreibungen gelten. „Denn ein kleiner Betrieb zahlt ohnehin fast keine Irap. Durch die Koppelung an Förderungen und Ausschreibungen entsteht auch für sie ein Anreiz, höhere Löhne zu zahlen“, meint ASGB-Chef Tony Tschenett.
Er hält dies für rechtlich haltbar. So habe das Trentino im Vorjahr beschlossen, Wirtschaftsförderungen an die Anwendung repräsentativer Kollektivverträge zu knüpfen, wenngleich damit nationale Verträge gemeint sind. Zudem gehe es um Landesbeiträge, wofür ohnehin das Land die Regeln festlegen kann.
Was öffentliche Ausschreibungen anbelangt, verweist Tschenett auf den konkreten Fall der Kleinkindbetreuung: „Auch auswärtige Anbieter müssen neben dem nationalen Vertrag auch den Landeszusatzvertrag anwenden, den wir im Bereich der Sozialgenossenschaften abgeschlossen haben. Diese Regelung dürfte somit auch für andere Bereiche Gültigkeit haben.“
Absage vonseiten der Verbände

hds-Präsident Philipp Moser hält es für den „absolut falschen Weg“, solche Kriterien generell bei Förderungen und Ausschreibungen einzubauen, denn dies bringe viel Bürokratie mit sich. „Zudem würden wir die Wettbewerbsfähigkeit unserer Betriebe mit solchen Maßnahmen wesentlich verschlechtern“, betont Moser.
Sein Kollege Manfred Pinzger vom HGV sagt, Beiträge und Ausschreibungen würden für das Gastgewerbe zwar keine große Rolle spielen, „aber generell müssen wir schon langsam aufpassen, nicht überbürokratisch zu werden, wenn doch dauernd von Bürokratieabbau die Rede ist.“
Übrigens ist die Forderung der Gewerkschaften – etwas vage formuliert – im neuen Regierungsprogramm enthalten. Demnach wird geprüft, „Vorzugskriterien bei Leistungen und Maßnahmen im Zuständigkeitsbereich des Landes“ für jene Arbeitgeber einzuführen, die eben – wie bei der Irap geplant – höhere Lohnniveaus garantieren oder Welfare-Maßnahmen umsetzen.