Bozen/Hamburg – Thomas Middelhoff ist ein Medienstar – im Guten wie im Schlechten. Zuerst arbeitete er sich zum umjubelten Topmanager empor und war Vorstandsvorsitzender des Medienkonzerns Bertelsmann sowie von Arcandor (früher KarstadtQuelle). Als Arcandor 2009 die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beantragte, begann für Middelhoff das Ungemach: Ihm wurde vorgeworfen, den angeschlagenen Konzern endgültig in die Pleite geführt zu haben. Einer der Vorwürfe lautete, KarstadtQuelle habe unter seinem hochbezahlten Vorstandschef Middelhoff fünf Immobilien an einen Immobilienfonds verkauft, um Liquidität zu erhalten, und dann zu überhöhten Mieten zurückgemietet – am Fonds war Middelhoff privat beteiligt. Middelhoff wurde in zahlreiche juristische Auseinandersetzungen verwickelt und 2014 wegen 27-facher Untreue zulasten des Konzerns und dreifacher Steuerhinterziehung zu drei Jahren Haft verurteilt. Aus einem Leben mit viel Arbeit und purem Luxus wurde ein einsames Dasein in einer zehn Quadratmeter kleinen Einzelzelle. Middelhoff meldete Privatinsolvenz an, und er erkrankte an einer Autoimmunkrankheit – weil er in Untersuchungshaft alle 15 Minuten geweckt wurde, da man einen Selbstmord befürchtete, wie er selbst sagt.
Es ist eine Geschichte von Aufstieg und Fall. Der Unternehmersohn Thomas Middelhoff begann seine berufliche Laufbahn 1979 nach dem Studium im väterlichen Textilunternehmen Middelhoff GmbH. 1986 stieß er zum Medienkonzern Bertelsmann, wo er 1994 in den Vorstand berufen wurde und von 1998 bis 2002 als Vorstandsvorsitzender fungierte. Die Trennung erfolgte aufgrund von Differenzen mit Firmenpatriarch Reinhard Mohn. 2004 stieß Middelhoff zum existenziell bedrohten KarstadtQuelle-Konzern und wurde als Retter gefeiert – aber auch als gieriger Manager kritisiert, der Millionen kassiert und seinen Reichtum ungeniert zur Schau stellt, während es dem Konzern miserabel geht.
Die Rettung des Konzerns misslang letztendlich, und Thomas Middelhoff fiel tief. Seit November 2017 ist der mittlerweile 65-Jährige wieder ein freier Mann, aber aus dem einst schillernden Manager ist ein selbstkritischer Vortragsreisender und Buchautor geworden. In seinem Buch „A 115 – Der Sturz“, das er in Haft geschrieben hat, erzählt Middelhoff über seinen tiefen Fall und über die prägende Zeit im Gefängnis, wobei er scharfe Kritik am deutschen Strafvollzug übt.
SWZ: Herr Middelhoff, den alten Thomas Middelhoff gibt es nicht mehr, in seinem Körper lebt ein neuer Thomas Middelhoff. Lässt sich das so beschreiben?
Thomas Middelhoff: Absolut. Durch den tiefen Sturz und vor allem durch die Erfahrungen während meiner Tätigkeit mit Menschen mit Behinderung (Middelhoff arbeitete während seiner Haft in einer Behinderteneinrichtung, Anm. d. Red.) habe ich meine Sichtweisen verändert.
Betrachtet der neue Thomas Middelhoff den alten Thomas Middelhoff als Opfer oder als Täter?
Eigentlich schon als Täter. Aber auch als Opfer meiner selbst: Ich war während meiner Managerkarriere zunehmend eitel und abgehoben geworden. Ich war narzisstisch veranlagt und empfand irgendwann Freude am Bild, das in der Öffentlichkeit von mir entstanden war. Dabei hätte ich mir besser eingestehen sollen, dass das alles nichts mit meiner Person zu tun hatte, sondern lediglich mit meiner Aufgabe. Die Tatsache, dass ich dort geendet bin, wo ich geendet bin, hat mit Eigenverschulden zu tun. Ich bin aber nie ein krimineller Mensch gewesen und wollte es auch nicht sein. Mehr sage ich nicht zum Urteil.
Mitleid dürfen Sie sich keines erwarten.
Nein, ich will auch keines.
Sie sprechen von Eitelkeit, Abgehobenheit, Narzissmus. In Ihren Vorträgen erzählen Sie auch, sie hätten sich als allwissend betrachtet und seien süchtig nach Macht gewesen. Beschreiben Sie damit Charaktereigenschaften – oder verliert man in der Vorstandsetage eines großen Konzerns den Bezug zur Realität?
Diese Gefahr ist tatsächlich groß. Ein Manager, der seinen Charakter und seine Demut dauerhaft behält, kann mit dieser Gefahr besser umgehen. Hingegen ist es grundverkehrt, es zu lieben, ein Managerstar zu sein. Ich versuche das dem Führungskräftenachwuchs näherzubringen, denn die Jungen sollen meine Fehler nicht wiederholen. Kürzlich erhielt ich bei einer „Summer Academy“ in Berlin Standing Ovations von den jungen Leuten, weil ich in meinem Vortrag offen und ehrlich gewesen war. Es ist ja leider so, dass die meisten Führungskräfte niemals zugeben würden, jemals einen Fehler gemacht zu haben.
Sie seien ein Manager-Roboter gewesen, der 90 Stunden in der Woche gearbeitet hat, erzählen Sie heute. Heißt das, man verliert als gefeierter Konzernmanager auch ein bisschen den Bezug zu sich selbst?
Das ist genau so. Die innere Leere, die sich entwickelt, versucht man mit immer neuen Aufgaben zu betäuben. Man redet sich ein, dringend gebraucht zu werden zur Lösung der Schicksalsfragen dieser Welt (lacht), und das ist natürlich Unsinn. Ich konnte es nicht ertragen, auch mal zur Ruhe zu kommen. Ich war gewissermaßen auf der Flucht vor mir selber, und die ständig neuen Herausforderungen waren dazu da, sich selbst nicht kritisch hinterfragen zu müssen. Ich spürte sehr wohl, dass irgendetwas bei mir nicht mehr im Gleichgewicht war, ich konnte dieses Etwas aber nicht lokalisieren. Und wenn man dann erlebt, wie viel Dankbarkeit und menschliche Wärme man erntet, wenn man einer Person mit Behinderung hilft, dann wird einem klar, wie wenig dies die ständig neuen Aufgaben zu geben imstande waren.
Übersteigen unüberblickbare Konzerne, wie Sie sie geleitet haben, das Leistungsvermögen von Managern? Oder anders: Ist das Entstehen von Megakonzernen eine Schattenseite der Globalisierung?
Es stellt sich die Frage, ob allein die Globalisierung schuld ist oder vielmehr auch die intrinsische Motivation der Führungskräfte. Manager sind mit einem starken Ego ausgestattet, und aus dem Streben nach Größe leiten viele von ihnen die eigene Bedeutung und Wertschätzung ab. Irgendwann ist dann eine Größe erreicht, bei der man sich um die einzelnen Firmendetails nicht mehr so sorgfältig kümmern kann wie sie es sich eigentlich verdienen würden. Bei besagter Summer Academy ist mir aufgefallen, dass sich die Mentoren und Redner in erster Linie mit ihrer Rolle und der Unternehmensgröße vorstellten. Das ist Unsinn, denn die jungen Führungskräfte interessiert, was der Mentor drauf hat, und nicht, wie groß sein Unternehmen ist. Aber viele Führungskräfte brauchen das halt für ihr Selbstwertgefühl. Das sind Machtrituale, die nach meinem Dafürhalten der Anfang vom Ende sind.
Was macht für Sie einen guten Manager aus?
Zum einen seine Leistungsbereitschaft, seine Aufopferungsbereitschaft für das Unternehmen mit allen seinen Talenten. Zum anderen sein Charakter und die Treue zu diesem Charakter. Ich habe leider ethische Prinzipien, die ich ursprünglich hatte, mehr und mehr zur Seite geschoben, je höher ich stieg.
Ihr Vater war Textilunternehmer, Sie waren Konzernmanager. Was unterscheidet einen mittelständischen Unternehmer von einem Konzernmanager?
Allemal die charakterliche Eigenschaft. Dann die mit dem Haftungsrisiko einhergehende Haltung, denn der Unternehmer haftet im Extremfall mit seinem Vermögen, während der Manager nur seinen Job verliert. Schließlich der Blick für das große Ganze inklusive der Bereitschaft, die Kontinuität des Unternehmens über Generationen hinweg im Auge zu behalten. Es gibt natürlich auch Manager, die all die Eigenschaften eines Unternehmers haben.
Was war eigentlich schlimmer für den gefeierten Topmanager Thomas Middelhoff: die Verurteilung inklusive Haft in der kleinen Zelle – oder die Häme in Medien und im Internet?
Ohne Zweifel die Verurteilung, dazu der Randaspekt, vor den Augen der Familie verhaftet zu werden. Die Häme hatte vor der Verurteilung wahnsinnig wehgetan, denn ich war immer einer gewesen, der sich verzweifelt gewehrt hat, wenn etwas geschrieben wurde, das ich für falsch hielt. Es ging ja um mein Bild in der Öffentlichkeit. Mit der Verhaftung hat sich mein Empfinden völlig verschoben, denn mir war klar, dass meine internationale Reputation weg war.
Und wenn Ihr neues Leben als Buchautor und Vortragsreisender nur der Versuch wäre, die eigene Reputation wiederherzustellen?
Das ist nicht der Fall. Ich möchte als Vortragsreisender aufmerksam machen auf die Schwächen im deutschen Justizsystem, die ich als Gefangener dieses Systems kennengelernt habe. In einer Demokratie muss es erlaubt sein, Missstände zu thematisieren. Nur darum geht es mir.
Können Sie nachvollziehen, dass ein Gefallener wie Sie Schadenfreude erntet, wenn er zuvor seinen Reichtum ungenierter als andere Menschen hergezeigt hat?
Absolut.
Kann den Reichtum überhaupt genießen, wer so viel arbeitet, wie sie es getan haben?
Eben nicht! Er wird vielmehr zur Last. Wenn wir mal auf Urlaub waren in Südfrankreich – da finden Sie im Internet ja allerhand über das Haus und das Schiff, die ich dort besaß –, war das Arbeit. Ich hatte ständig Ärger mit dem Personal. Je mehr mir weggenommen wurde von alledem, desto befreiter habe ich mich gefühlt. Ich genieße heute auf völlig andere Weise die Dinge, die genießenswert sind.
Bereuen Sie Ihr altes Leben?
Sie können es auch positiv sehen: Wenn ich zurückblicke, klage ich nicht, dass ich alles verloren habe, sondern weiß, dass ich alles gehabt habe, was man sich wünschen kann, und alles erreicht habe, was man als Manager erreichen kann. Heute blicke ich nach vorne und begreife meinen Absturz als Chance. Meinen heutigen Aggregatszustand würde ich folgendermaßen beschreiben: Ich weiß nicht, wo es hinführt, aber ich weiß, es wird richtig gut.