SWZ: Herr Widmann, wie beurteilt der Landesrat für Wirtschaft kurz zusammengefasst die Lage der Wirtschaft in Südtirol?
Thomas Widmann: Wie das WIFO der Handelskammer feststellt, haben wir derzeit eine stagnierende bis leicht positive Entwicklung, was im Vergleich zum restlichen Staatsgebiet ein gutes, im Vergleich zu den nördlichen Nachbarländern aber ein unbefriedigendes Ergebnis ist. Wenn man die Dinge differenziert betrachtet, muss man sagen, dass es einige klare Alarmzeichen gibt, die uns signalisieren, dass wir die Krise noch nicht gemeistert haben. In einigen Teilbereichen drohen Entlassungen, die Jugendarbeitslosigkeit steigt leicht an, die Bauwirtschaft hat nach wie vor große Probleme. Allgemein machen Steuerdruck und Bürokratie den Unternehmen zu schaffen. Es gibt aber auch Erfreuliches zu berichten, denn in verschiedenen Branchen ist die Lage recht gut und manche Unternehmen wachsen weiter. Wir müssen aber auf jeden Fall auf der Hut sein und dürfen die Probleme nicht auf die leichte Schulter nehmen.
Selten zuvor einmal war das Verhältnis zwischen Politik und Wirtschaft so getrübt wie heute. Sehen Sie das auch so?
Man kann nicht „die Politik“ sagen, sondern muss differenzieren und von Politikern sprechen. Es mag zutreffen, dass das Verhältnis zwischen der Wirtschaft und manchen Politikern nicht gut ist. Ich kann nur für mich sprechen und stelle fest, dass es eine gedeihliche Zusammenarbeit und ein sehr vertrauensvolles Verhältnis gibt. Aber natürlich braucht es in der Politik Mehrheiten, um Entscheidungen herbeizuführen. In manchen Staaten hat es an Einsicht gefehlt, dass strukturelle Reformen unumgänglich sind und nicht dauerhaft Geld ausgegeben werden kann, das man nicht hat. Ohne gesunde Wirtschaft gibt es keinen soliden Haushalt. Ich hoffe, dass dies auch hierzulande allen klar ist.
Die Unternehmen haben nicht den Eindruck, dass die Politik den Ernst der Lage erkennt und entsprechende Entscheidungen trifft. Sehen Sie Handlungsbedarf?
Die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft sind in Südtirol besser als in anderen Regionen, aber sie müssen an neue Erfordernisse angepasst werden. Ich sage es noch einmal: Wir müssen mit dazu beitragen, dass wir leistungsstarke und wettbewerbsfähige Unternehmen und Vollbeschäftigung haben, denn nur dann wird das Land die notwendigen Einnahmen haben, um das Rad am Laufen zu halten und auch ein hohes Maß an sozialer Sicherheit gewährleisten zu können. Allerdings befürchte ich, dass der Leidensdruck noch zu gering ist, als dass sich sofort die Einsicht durchsetzt, dass wir nicht weitermachen können wie bisher. Wir brauchen eine spending review, eine umfassende Überprüfung der öffentlichen Ausgaben. Die Durchforstung des gesamten Landeshaushaltes ist Teil einer seriösen, nachhaltigen Zukunftspolitik. Und da ist ganz klar, dass insbesondere auch bei den größten Ausgabenkapiteln angesetzt werden muss, etwa bei den Gesundheits- und den Personalkosten. Möglicherweise muss auch Hand an manche Wirtschaftskapitel gelegt werden, aber wir dürfen die Verhältnisse nicht außer Acht lassen: Zehn Prozent bei der Sanität sind mehr, als der Haushalt der Wirtschaft insgesamt ausmacht.
Sie haben zusammen mit Ihrem zurückgetretenen Kollegen Michl Laimer an einer Reform des Landesraumordnungsgesetzes gearbeitet und wollen darin mit Blick auf das Gewerbebauland einige ganz neue Regeln verankern. Liegen die Pläne jetzt auf Eis?
Keineswegs! Für die Reform der Regeln für die Gewerbegebiete bin ich zuständig, und der diesbezügliche Vorschlag liegt bereits vor. Er ist mit den verschiedenen Verbänden besprochen und erhält gerade gesetzestechnisch den letzten Schliff. Die geplanten Neuerungen bedeuten einen Quantensprung in dem Sinne, dass es zu einem Paradigmenwechsel kommt. Wir gehen weg von der Enteignung und hin zur Marktwirtschaft, denn die bisherige Planwirtschaft in diesem Bereich ist ein Relikt aus der Steinzeit. Einst mögen gewisse Regeln vor dem Hintergrund einer äußerst starken Nachfrage nach Gewerbebauland noch eine gewisse Berechtigung gehabt haben, heute sind die Normen von einst überholt, denn wir müssen ja froh sein, wenn Unternehmen noch investieren. Die Zeiten haben sich geändert, und wir müssen vor allem schneller werden. Wenn die Verwaltung in Österreich nur sechs Monate von der ersten Anfrage bis zur Erteilung der Baugenehmigung braucht, dann müssen wir zumindest gleich schnell sein. Und genau dieses Ziel verfolgen wir mit dem Gewerbebaulandreformgesetz, das in den nächsten Monaten dem Landtag vorgelegt wird.
Sie basteln an einer Reform der Wirtschaftsförderung. Wo wollen Sie hin?
Reformen sind von Zeit zu Zeit unerlässlich, weil sich die Zeiten ändern und die Rahmenbedingungen andere werden. Was vor 20 Jahren angesichts der damaligen Voraussetzungen und Umstände gut war, kann heute wenig nützlich sein. Wir leben in einer Zeit der wirtschaftlichen Stagnation und rückläufiger Neugründungen und haben erkannt, dass eine Zunahme der Durchschnittsgröße wünschenswert wäre. Also denken wir an eine Umgestaltung der Immobilienförderung mit einer Stärkung der Altbestände gegenüber Neubauten, wir wollen den Umweltschutz weiter stärken, weiters die Innovation, Forschung und Entwicklung und den Export. Die Eroberung neuer Märkte mit neuen Produkten ist notwendiger denn je, genauso wie die Kooperationen und Fusionen, weil diese dazu beitragen, die Flexibilität der Kleinbetriebe mit der Marktkraft, der Angebotsbreite und der Produktivität und Professionalität größerer Unternehmen zu verbinden. Besonders wichtig ist auch die Weiterbildung, denn sie ist die Voraussetzung für Qualität und hohe Leistung. Im Mittelpunkt der Förderung steht dabei immer die Überlegung, wie die weniger werdenden Mittel besser investiert werden können, wo sie für das Land mehr Wertschöpfung generieren. Die Filmförderung zum Beispiel kann neue Impulse geben und generiert im Land Umsätze, die immerhin um 50 Prozent über den Beiträgen liegen müssen.
Südtirol will der römischen Regierung zusammen mit Trient einen Vorschlag zur Regelung der Geschäftszeiten im Einzelhandel unterbreiten. Ist das die Taktik: den Kompromiss suchen, wo rechtlich nichts zu holen ist, und es in Sachen Liberalisierung des Einzelhandels in Gewerbegebieten, wo die rechtlichen Rahmenbedingungen günstiger für Südtirol sind, auf ein Verfahren vor dem Verfassungsgericht ankommen zu lassen?
Rom hat unsere Regelung in den Ortszentren akzeptiert und auch das Verbot des Einzelhandels im landwirtschaftlichen Grün. Das ist schon einmal ein Erfolg. Bei den Öffnungszeiten wird es sicher zu einer leichten Liberalisierung kommen, wobei wir dafür eintreten, dass die Geschäfte nicht prinzipiell an jedem Sonntag geöffnet sein dürfen, sondern dass es ein Öffnungsverbot mit Ausnahmen gibt, die den Bedürfnissen der Kaufleute, der Einheimischen und der Touristen entspricht. Eine Feiertagsöffnung kann zuweilen entscheidend sein für die Überlebensfähigkeit. Was den Einzelhandel in Gewerbegebieten betrifft, haben wir ein grundsätzliches Verbot mit einer ganzen Reihe von sinnvollen Ausnahmen, und wir werden kämpfen bis zum Schluss, um diese Regelung zu verteidigen. Wenn wir die Gewerbegebiete vollkommen öffnen müssen, drohen uns internationale Multis zu überschwemmen und es entstünden Monopole, was nicht im Interesse der Konsumenten sein kann. Der Mix zwischen Groß und Klein, den wir in Südtirol haben, bringt eine große Vielfalt des Angebots, und das wollen wir nicht so einfach aufgeben.
In Südtirol gibt es überdurchschnittlich viele Beschäftigte im öffentlichen Dienst. Werden es in zehn Jahren merklich weniger sein?
Ganz sicher, denn wir können uns so viele Mitarbeiter über kurz oder lang ganz einfach nicht mehr leisten. Wir haben im Verwaltungsbereich des Landes, wo 4300 Menschen arbeiten, schon längst mit einem Personalabbau begonnen. Von drei Leuten, die den Dienst quittieren, wird einer nicht mehr ersetzt, einer ersetzt und einer nur ersetzt, wenn eine eigene Kommission dies vorschlägt. Wir haben heute fünf Prozent weniger Mitarbeiter, und das ist richtig so. Aber es gibt andere Bereiche, die nicht mir unterstehen. Im Bildungsbereich wurden in den letzten Jahren über 550 Leute zusätzlich angestellt. Da wird es in Zukunft Änderungen geben müssen, und Ähnliches gilt für den Gesundheitsdienst. Auch die Gemeinden müssen da ihre Hausaufgaben machen.
Der öffentliche Nahverkehr verursacht nur im Betrieb ein Defizit von 150 Millionen. Ist da etwa zu viel des Guten getan worden? Busse und Bahnen sind außerhalb der Stoßzeiten wenig genutzt.
Wir haben nicht 150 Millionen Defizit, sondern geben 150 Millionen für den Betrieb aus. Die Tarifreform, die wir durchgeführt haben, soll dazu beitragen, dass nicht nur unter 20 Prozent dieser Kosten hereingespielt werden, sondern – wie eine Richtlinie der EU verfügt – über 30 Prozent. Ein gut funktionierender öffentlicher Nahverkehr ist unerlässlich für die Entwicklung der ländlichen Gebiete und für unsere Wirtschaft. Wir sind von einem niedrigen Niveau gestartet und haben jetzt bald mitteleuropäische Standards erreicht. Vor meiner Zeit hatten wir ein Angebot wie im tiefen Süden.
Angesichts des schrumpfenden Landeshaushalts drohen Verteilungskämpfe, möglicherweise auch zwischen dem Arbeitnehmervertreter SVP-Obmann Richard Theiner und seinem Stellvertreter, Wirtschaftslandesrat Thomas Widmann. Eine plausible zukünftige Szene, oder?
Schauen Sie, Richard Theiner und ich kommen sehr gut aus und ergänzen uns. Natürlich vertreten wir in mancherlei Hinsicht gegensätzliche Interessen, und natürlich kann es insbesondere vor Wahlen vorkommen, dass der Ton etwas rau ist. Aber ich denke, jedem in meiner Partei ist klar, dass wir auch in Südtirol an einem Wendepunkt angekommen sind und Reformen vornehmen müssen, wenn wir als Landesverwaltung und wenn Südtirol als Standort für Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben wollen. Wir haben die Pflicht zu handeln und dabei alle bisherigen Tabubereiche zu durchleuchten. Weiterzumachen wie bisher bedeutet, irgendwann einmal vor unlösbaren Problemen zu stehen. Wer eine seriöse Politik macht, der stellt sich den Herausforderungen und sitzt die Probleme nicht aus.