Neustift/St. Gallen – Dass er dort ist, wo er heute steht, sagt Florian Kamelger, sei eigentlich nichts anderem als dem Zufall bzw. einer Aneinanderreihung von Zufällen zu verdanken. Diese haben dazu geführt, dass aus dem in Neustift bei Brixen aufgewachsenen Mediziner der Mitbesitzer einer Unternehmensgruppe mit Hauptsitz im Kanton Appenzell wurde.
Chef ist der 43-Jährige gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Andreas Baenziger, einem aus der Schweiz stammenden ausgebildeten Orthopäden, der im Management von Medizintechnikfirmen tätig war, bevor er selbst ein Unternehmen gegründet hat.
Ihren Ursprung hat diese Partnerschaft – wie es der Zufall wollte – in einem Kennenlernen vor mehr als 15 Jahren, zu einer Zeit, als Baenziger Geschäftsführer eines Unternehmens war, über das Kamelger und ein Kollege, damals beide Forscher an der Uniklinik Innsbruck, ihre selbst entwickelte Technologie für die plastisch-rekonstruktive Chirurgie an die Industrie bringen wollten. „Ein Beratervertrag mit Andreas’ Firma war in Vorbereitung, kurz vor der Unterzeichnung wurde das Unternehmen verkauft, womit unser Projekt vorerst ‚gestorben‘ war“, erinnert sich Kamelger. Nach etwa eineinhalb Jahren sei es Baenziger vertraglich wieder möglich gewesen, „uns mit seinem Netzwerk zu helfen und das Projekt zu einem positiven Ende zu bringen“.
Seitdem, es war Mitte der Nuller-Jahre, verloren sich Kamelger, der an der Innsbrucker Universitätsklinik die Facharztausbildung zum Unfallchirurgen durchlief, und Baenziger nicht mehr aus den Augen, arbeiteten auch gemeinsam an einigen Projekten. So habe Baenziger beispielsweise 2007 mit der Sports Medicine Excellence AG (SME) das Konzept Sportsclinic umgesetzt, Therapiezentren für Patienten, die sich von Unfällen oder Krankheiten des Bewegungsapparats erholen. „Daran“, sagt Kamelger, „durfte ich im Hintergrund mitwirken. Der erste Standort war die Sportsclinic Austria in Innsbruck, daraus wurden dann insgesamt fünf Standorte in ganz Europa, die bis 2014 betrieben wurden.“
Schließlich bot Baenziger Kamelger an, als Teilhaber in sein Unternehmen einzusteigen. Der junge Südtiroler ergriff die Chance und ging Anfang 2011 in die Schweiz. „Unsere Idee war es, dass wir gemeinsam die Unternehmung größer machen“, erzählt Kamelger. „Zugleich war es aufgrund unseres Altersunterschieds für Andreas eine Nachfolgeregelung, die er bereits im jungen Alter von 45 Jahren angedacht hat.“
Kamelger übernahm Führungspositionen in verschiedenen Unternehmen der Gruppe, außerdem eröffneten die Geschäftspartner ihr Autohaus in St. Gallen. In diesem verkaufen sie Sportwagen der britischen Marke Aston Martin. Ein Schritt, der – wie könnte es anders sein? – dem Zufall zu verdanken ist: „Andreas und ich haben Ulrich Bez kennengelernt“, sagt Kamelger. Der Deutsche war von 2000 bis 2013 CEO von Aston Martin. „Dadurch erhielten wir die Möglichkeit, einen Händlerstützpunkt von Aston Martin in der Ostschweiz zu eröffnen, wo es noch keinen gab, im Rest der Schweiz dagegen waren es vier“, so Kamelger. Warum es diesen „weißen Fleck“ geben konnte, erschließe sich ihm bis heute nicht, sagt Kamelger. „Denn dort liegen St. Moritz, Arosa, Lenzerheide, und außerdem ist die geografische Nähe zum Arlberg gegeben.“
Die unternehmerische Entscheidung für den Autohandel sei auch eine sehr stark von Emotionen gelenkte gewesen. Denn sowohl Kamelger als auch Baenziger begeistern sich für den Motorsport. „Und Aston Martin ist eine geniale Marke“, betont Kamelger. „Wir waren der Meinung, dass das nur schön werden kann und Opportunitäten für uns birgt.“
Schnell stellte sich heraus, dass es ganz so schön doch nicht werden sollte – zumindest anfangs: Der Start des Unternehmens fiel in eine Zeit, in der der Euro gegenüber dem Schweizer Franken extrem gefallen ist. „Das war für uns mit den ganzen Vorleistungen, die wir hatten, massiv schmerzhaft“, erinnert sich Kamelger. „Dazu kam die Luxuskrise, und die anderen Aston-Martin-Händler waren über die neue Konkurrenz auch nicht gerade erfreut.“
Dieser schwierige Anfang habe ihn und seinen Geschäftspartner „animiert – ich möchte nicht sagen gezwungen – zu überlegen, andere Wege zu gehen“, sagt Kamelger. Zum „Strategisieren“ zogen sich die Geschäftspartner vier Tage auf einer Almhütte im Gadertal zurück. „Wenn ich schwierige Phasen hatte, habe ich die Nähe zu Südtirol schon immer gesucht“, so Kamelger.
Er spricht auch nach all den Jahren im Ausland und im internationalen Umfeld noch mit „reinem“ Südtiroler Akzent. Wie viel Südtiroler steckt noch in ihm? „Noch relativ viel – auch wenn ich nicht mehr viel dort bin“, sagt Kamelger. „Doch Heimatverbundenheit hat nichts mit physischer Anwesenheit vor Ort zu tun. Je älter man wird und je mehr man in der Welt unterwegs ist, desto mehr versteht man, wo daheim ist.“ Auch die Schweiz habe „einen Riesencharme – die Lebensqualität und die Natur, wesentlich für einen Naturverbundenen wie mich, sind dort genauso gigantisch wie in Südtirol, aber Südtirol hat einen gewissen Zauber, den ich sonst noch nirgends gefunden habe“, schwärmt Kamelger.
Zurück zum Krisen-Meeting im Gadertal, bei dem es um die Frage ging, ob es Sinn mache, den Aston-Martin-Handel überhaupt fortzuführen. „Letzten Endes waren wir zwei Mediziner, die begonnen hatten, Sportwagen zu verkaufen – nicht unbedingt die herkömmliche Geschichte“, so Kamelger. Sobald die Entscheidung für das Weitermachen gefallen war, sei auch klar gewesen, „dass wir alles anders machen müssen als die anderen, weil wir sonst gegen die herkömmlichen, gut aufgestellten und jahrelang erfolgreichen Unternehmer in dem Markt keine Daseinsberechtigung gehabt hätten“.
Für das Anderssein setzten sie auf drei strategische Pfeiler. „1. Der Kunde steht maximal im Mittelpunkt. Es gibt kein Nein oder kein ‚das geht nicht‘“, sagt Kamelger. „2. Wir setzen auf den Spezialfahrzeugbereich: Wir bedienen eine äußerst exklusive Nische mit in limitierter Stückzahl hergestellten Autos.“ Als dritten Pfeiler definierten sie den Rennsport. „Diesen hatten wir schon vorher im Visier, und zwar weil wir selbst GT4 gefahren sind“, sagt Kamelger. „Wir haben schnell bemerkt, dass wenn der Andreas Baenziger oder der Florian Kamelger vom Nürburgring zurückkommen, die Kunden mit uns darüber reden wollen. Es war uns deshalb bewusst, dass der Rennsport ein gutes Marketingtool ist.“
Diese Strategie hat Früchte getragen. „Weil wir mit unserem Team R-Motorsport im hochprofessionellen Rennsport mitmischen, gelingt es uns, unsere Bekanntheit zu steigern und neue Kunden zu akquirieren, vor allem auch, weil wir im Rennsport beweisen können, was die Marke Aston Martin unter Extrembedingungen imstande ist abzuliefern“, führt Kamelger aus. Dabei fährt R-Motorsport, dessen Teamchef und Mitbesitzer Kamelger ist, in der DTM mit exklusiver Lizenz von Aston Martin und in der Blancpain GT-Serie als Kundenteam des britischen Herstellers von Luxussportwagen.
40 Prozent der Kunden von Kamelgers und Baenzigers Autohaus kommen mittlerweile aus dem Ausland – von Neuseeland über Argentinien bis nach Südafrika. Zur Internationalisierung beigetragen habe neben dem Rennsportengagement ein Gemeinschaftsprojekt von Aston Martin, Red Bull und der AF Racing, der „Mutter“ von R-Motorsport: der Hypersportwagen Aston Martin Valkyrie. „Es ist ein Projekt, für das wir die Idee hatten und das wir anleiern durften“, sagt Kamelger nicht ohne Stolz. Ab Ende diesen Jahres soll der Valkyrie ausgeliefert werden; die streng limitierte Auflage von 150 Straßen- plus 25 Rennversionen ist, trotz eines Basispreises von knapp drei Millionen Euro, längst ausverkauft.
Als schwierig empfindet Kamelger das Arbeiten mit den Spezialkunden, die häufig „Chefsache“ sind, nicht. „Es handelt sich“, so der Unternehmer, „um sehr, sehr spannende Leute, die sehr, sehr interessante Geschichten zu erzählen haben – und die genau wissen, was sie wollen.“ Wenn man sich entscheide, in diesem Segment zu arbeiten, dann „ist das letztendlich nichts anderes als ein Geschäftsmodell, nach dem man laufen muss“, formuliert es Kamelger.
Welche unter all seinen Tätigkeiten ist nun der Hauptjob? Verwaltungsratspräsident, CEO, Autohändler? Teamchef? Kamelger lacht: „Unternehmer sein, heißt unternehmen wollen!“ Abschalten kann der 43-Jährige, wenn er Zeit mit seiner Familie verbringt oder beim Radfahren. „Auf dem Fahrrad kann ich im Kopf Dinge weiterentwickeln“, so Kamelger, „für die ich im Büro keine Zeit habe.“ Auch Autorennen fährt er ab und an noch, zuletzt im Februar in Australien ein 12-Stunden-Rennen. „Aber zwischen Familie und Arbeit fehlt einfach die Zeit dafür, es ‚gscheit‘ zu machen“, sagt Kamelger.
Um sich für das Unternehmersein fit zu machen, hat Kamelger ein Program for Executive Development am IMD Lausanne, einer privaten Wirtschaftshochschule, gemacht. Doch auch vieles von dem, was er in seinen Jahren als Mediziner gelernt habe, sei für seinen jetzigen Beruf hilfreich. „Um nur ein Beispiel zu nennen: Ich war in Innsbruck an einer der größten unfallchirurgischen Abteilungen Europas tätig, in der strikt organisierte, strukturierte, prozessgebundene Abläufe zum Ziel führen“, unterstreicht Kamelger. „Das Ausmaß an Konzentration, das man dafür braucht, und das Ausmaß von Durchhalte- und Durchsetzungswillen helfen einem für das Leben, und natürlich auch für das Unternehmerdasein.“
Nur glatt ist Kamelgers Weg als Unternehmer übrigens auch nach den anfänglichen Problemen im Aston-Martin-Handel nicht gelaufen, es gab auch wenig erfreuliche Phasen. Etwa die Schwierigkeiten bei einem SME-Großprojekt am bayerischen Tegernsee, einem 121-Zimmer-Hotel mit einem medizinischen Bereich. Die Bauarbeiten sind auf unbestimmte Zeit unterbrochen. Und auch die erste Saison in der DTM, sie geht am ersten Oktober-Wochenende auf dem Hockenheimring in die letzte Runde, war mit einigen durchwachsenen Rennwochenenden gespickt. „Angesichts der 90-tägigen Rekord-Entwicklungszeit unseres DTM-Prototypen war dies aber erwartbar“, so Kamelger. „Man muss im Rennsport Geduld zeigen können. Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut.“
Dennoch wird R-Motorsport auch im nächsten Jahr wieder in der DTM mitmischen. Schnell aufzugeben, ist nicht Florian Kamelgers Stil.