Bozen / Mölten – Paulina Schwarz müsste eigentlich eine US-Amerikanerin sein, wenn sie nicht eine waschechte und bodenständige Südtirolerin wäre. Amerikanerin deshalb, weil sie genau jener Menschenschlag ist, der sich von Jugend auf aus eigener Kraft emporgearbeitet hat, intelligent ist und sich immer wieder einen neuen Schuh anzieht, der eine halbe Nummer zu groß ist, damit sie einmal mehr hineinwachsen kann. Eine „self-made woman“ also, von der sich viele Frauen etwas abschauen können – und auch manche Männer. Den Einsatz, den sie dafür aufbringen muss, ist allerdings nicht jedermanns Sache.
Die gebürtige Möltnerin, die noch heute mit ihren Zwillingen und ihrem Mann in Mölten wohnt, ist seit 1999 Inhaberin der Pronorm Consulting. Das Beratungs- und Dienstleistungsunternehmen ist auf Ausschreibungsberatung und Arbeitssicherheit spezialisiert. Schwarz und ihr Team – 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Tendenz steigend – unterstützen Unternehmen und öffentliche Körperschaften also bei der Bewältigung von bürokratischen Abläufen. Schwarz ist außerdem das erste weibliche Mitglied des Verwaltungsrates des Raiffeisenverbandes, Obmann-Stellvertreterin der Raiffeisenkasse Mölten und Vorsitzende des Handelskammer-Beirates zur Förderung des weiblichen Unternehmertums. Zusätzlich hält sie mit Freude Expertenunterricht im Rahmen von Meisterausbildungen oder an Oberschulen. Oft steht sie vor 4 Uhr auf, um sich auf den Tag vorzubereiten und Berichte und Konzepte zu schreiben, erzählt sie beim ungezwungenen Gespräch im Hotel Laurin, für das sie sich Zeit genommen hat. Schwarz schätzt diesen „angenehmen Zeitpuffer immer dann, wenn es tagsüber eng wird“. Sie ist das aus Studienzeiten gewohnt, als sie in Vollzeit berufstätig war: „Früh am Morgen war für mich die beste Zeit, um zu studieren.“
Die „Paulina“, wie sie viele nennen, ist auf einem Bergbauernhof aufgewachsen. Sie ist die Älteste von sieben Töchtern. Erstgeborene sind bekanntlich häufig davon geprägt, dass sie für ihre Geschwister Verantwortung übernehmen und gegenüber den Eltern den Weg in die Selbstständigkeit ebnen müssen. So lernen sie Zielstrebigkeit und übernehmen problemlos Führungsrollen. Als Paulina die Mittelschule abschließt, gehen ihre Eltern davon aus, dass sie nun eine Lehre beginnt, um zum Lebensunterhalt der immer noch wachsenden Familie beizutragen. Ihr Glück ist – aus heutiger Sicht – dass sie keine Lehrstelle findet und beschließt, die Frauenoberschule zu besuchen. Die Eltern haben zwar nichts dagegen, es ist ihr aber klar, dass sie sich das nunmehr selbst finanzieren muss. „Ich hatte ja mit zwölf schon beim Reiterer für ein gutes Taschengeld die Arunda-Sektflaschen gedreht und ab dreizehn im Gastgewerbe gearbeitet.“ Trotz Nebenjobs schafft sie die Oberschule problemlos: „Ich musste zum Glück nicht viel lernen, um gute Noten zu bekommen.“ In jenen Jahren weiß Paulina noch nicht, was sie werden will, sie weiß aber ganz genau, was sie nicht will, nämlich Saisonarbeiterin bleiben.
Jus wählt sie vielleicht auch deshalb als Studienfach, weil sie in der Schule einen Rechtskundeprofessor hatte, der ihr imponierte, und der hieß Richard Theiner: „Fesche Lehrer fielen uns Mädels eben auf.“ Ihr Jusstudium beginnt Schwarz in Bologna, parallel dazu studiert sie BWL, deren Prüfungen sie immerhin zu einem guten Teil erfolgreich abschließt. Das Jusstudium schließt sie schließlich in Trient ab. Den Wechsel unternimmt sie deshalb, weil Bologna schlecht organisiert war: „Als berufstätige Studentin konnte ich mir nicht leisten, eine schlecht organisierte Uni zu besuchen und zum Beispiel für einen Stempel einen Tag in der Schlange zu stehen“, meint sie.
Während des Studiums unterrichtet sie drei Jahre lang zunächst Rechtskunde, dann Naturkunde und Chemie an der Bozner Oberschule für Geometer. Weil keine Aussicht auf eine Stammrolle besteht und sie nicht in eine andere Schule wechseln will, übernimmt Schwarz beim LVH die Verantwortung für die Berufsgruppe Bauhaupt- und Baunebengewerbe. Ihre Position beim LVH gewinnt immer mehr an Bedeutung, als Juristin ist Schwarz Mitglied verschiedener nationaler Gremien des Bausektors: „Als Frau bin ich in diesen männerdominierten Gremien sehr aufgefallen. So kam es, dass ich mir ein großes Netzwerk aufbauen konnte, das mir später nützlich wurde“, erzählt sie. Inzwischen fällt es ihr schon gar nicht mehr auf, wenn sie die einzige Frau in einer Männerrunde ist – sie ist es gewohnt. Die Sitzungen in Rom lassen die Geschäftsidee für das Unternehmen Pronorm reifen, das sie gemeinsam mit ein paar Netzwerkkollegen 1999 gründet. Vorher bringt Schwarz aber noch ihre Zwillinge zur Welt. „Viele konnten es nicht glauben, dass ich eine sichere Stelle mit Mutterschutz aufgab, um selbstständig zu sein“, erinnert sie sich lächelnd an jene Zeit. „Am Anfang war es schwierig, aber es hat funktioniert. Ich bereue nichts.“
Auf die Frage, wie sie das mit ihren Zwillingen löste, stellt sie zunächst leicht entrüstet die Gegenfrage, ob die SWZ dies auch vielbeschäftigte Männer fragen würde. Schwarz erzählt weiter: „Es ist eine Frage der Organisation, der Prioritäten. Und es geht auch um die Qualität der Zeit, die man sich für die Kinder nimmt. Ich habe mich von Anfang an nicht um den Haushalt kümmern müssen, und wenn ich abends heimkam, war ich ganz für die Kinder da. Tagsüber hatte ich eine gute Kinderfrau, zu der die beiden, die inzwischen 16 sind, immer noch gern auf Besuch gehen, und mein Mann hat mir vieles abgenommen “.
Pronorm hatte in der Erstfassung auch Gesellschafter aus Neapel und der Schweiz. „Die ersten 100 Kunden waren nicht Südtiroler Unternehmen, sondern saßen in der Emilia Romagna und in der Lombardei. 2002 habe ich meinen Partnern die Anteile abgekauft. Denn wenn zu viele schaffen, dann funktioniert es nicht“, sagt Schwarz und lächelt. Jemand müsse die Hauptverantwortung tragen und am Ende der Diskussion auch eine Entscheidung treffen, meint sie, und das liegt ihr ganz offensichtlich. Ihre Spezialität sind die Vergabesysteme: „Die komplexen, sich ständig ändernden gesetzlichen Bestimmungen in diesem Bereich sowie die neuen elektronischen Systeme sind sowohl für öffentliche Körperschaften als auch für Wirtschaftsteilnehmer eine große Herausforderung. Wollen wir Transparenz und jenen technischen Fortschritt, der es ermöglicht, Formfehler zu reduzieren, oder der gewisse Dokumente automatisch erstellt? Dann müssen wir auch bereit sein, uns mit diesen Systemen auseinanderzusetzen!“, meint sie entschlossen. Durch die neue EU-Vergaberichtlinie habe Südtirol nun wieder die Chance, ein eigenes Ausschreibungsgesetz umzusetzen, das die Anforderungen unserer kleinen und mittleren Betriebe besser berücksichtigt. Doch warnt sie: „Die Regeln müssen klar definiert werden, um die Rechtsunsicherheit, die wir in den letzten Jahren erlebten, zu vermeiden.“
Wie es ihr gelungen sei, in den Vorstand des Raiffeisenverbandes gewählt zu werden, der so lange fest in Männerhand war, will die SWZ wissen. „Ich bin seit vielen Jahren Obmann-Stellvertreterin der Raiffeisenkasse Mölten. In dieser Funktion bin von den Obmännern der Raiffeisenkassen vom Bezirk Bozen für die Wahl vorgeschlagen und dann auch gewählt worden“, erzählt Schwarz. Inzwischen gibt es immerhin an die 50 Frauen in den Vorständen und Aufsichtsräten der Raiffeisenkassen, es tut sich also langsam etwas. „Immer mehr Frauen interessieren sich für Finanzangelegenheiten, das fällt mir in der Bank gerade bei Anfragen um Kredite für den Hausbau auf, wo meist beide Partner vorsprechen. Wenn man sie aber fragt, ob sie für einen Vorstand bereitstünden, überlegen sie sich das dreimal. Das ist nicht gut – Männer zieren sich nicht so“, stellt Schwarz fest. „Frauen müssten oft selbstbewusster interessante Chancen ergreifen, weil sie auch daran wachsen können.“
Welche Eigenschaften waren noch ausschlaggebend für den Erfolg der attraktiven Mittvierzigerin? Diese Frage will sie zunächst nicht beantworten, auf weiteres Drängen hin tut sie es aber doch: „Ich habe immer den Ehrgeiz verspürt, nicht aufzugeben, die Dinge durchzuziehen. Wenn man mit dem Kopf durch die Wand will, dann tut man sich natürlich auch weh, aber man lernt dabei. Und ich habe viel gelernt!“. Was Schwarz sympathisch macht, ist, dass sie sich nicht überheblich zeigt. Obwohl ihre Qualitäten wie aus dem Bilderbuch des Selbstmarketings erscheinen, nimmt man sie ihr ab. „Die zweite Qualität ist meine Neugierde, immer wieder etwas Neues anzugehen und es auch in den Griff zu bekommen. Daraus ergibt sich eine weitere Stärke, nämlich, dass ich gut und gern delegiere, denn sonst könnte ich mir keinen Freiraum schaffen für Neues.“
Und was würden ihre Schwestern von ihr sagen? „Eine davon hat eine Meinung, die mich nachdenklich und auch ein wenig traurig stimmt, nämlich ‚die Paulina hat’s leicht, die hat’s nur herzunehmen‘. Sie sieht nicht meinen Einsatz dahinter oder das, worauf ich dafür verzichten muss. Eine andere meiner Schwestern hingegen lädt mich ab und zu ein, fordert mich auf, das Handy auszuschalten, damit sie mal ruhig mit mir ein Glas Wein trinken kann. Trotz allem, was ich erreicht habe, sagt sie, würde sie nie mit mir tauschen. Das tut gut, denn sie sieht, welchen Preis ich zahle.“