SWZ: Herr Sandner, viele Menschen heben Bitcoin von allen anderen Kryptowährungen ab, weil nur Bitcoin wirklich dezentral, sicher und in der Menge begrenzt sei. Schreiben Sie Bitcoin ebenfalls einen besonderen Stellenwert zu?
Philipp Sandner*: Ja, auf alle Fälle. Es ist zunehmend klar, dass Bitcoin etwas Besonderes ist: Er ist das größte, wertvollste und vor allem das dezentralste Projekt. Denn hinter Bitcoin steht niemand – anders als bei anderen Kryptoprojekten. Die Menschen verstehen das zunehmend.
Nun dümpelt die Kryptowährung seit rund eineinhalb Jahren weit unter seinem Höchstwert herum. Im Frühjahr 2024 steht das nächste sogenannte Halving an, also die Halbierung der Bitcoin-Menge, die neu auf den Markt kommt. In Vergangenheit war dies stets mit einem neuen Höhenflug verbunden. Wird das auch dieses Mal so sein?
Es kann natürlich niemand in die Zukunft schauen, aber es gibt viele Gründe, warum ein neuer Höhenflug zu erwarten ist. Durch das Halving sinkt das Angebot relativ zur Nachfrage, was bedeuten würde, dass der Preis steigen könnte. Das wird möglicherweise erneut der Fall sein. Gleichzeitig dürfte aus anderen Gründen – etwa durch Bitcoin-ETFs – die Nachfrage steigen. Wenn man alle Aspekte berücksichtigt, wird die Nachfrage mutmaßlich größer als das Angebot werden.
Derzeit überwiegen tatsächlich die positiven Meldungen, nachdem vor einem Jahr noch Pleiten und Betrügereien in der Kryptowelt für Schlagzeilen sorgten. In den USA wollen gleich mehrere große Player einen Bitcoin-ETF auf den Markt bringen, darunter der weltweit größte Kapitalverwalter, Blackrock. Rechnen Sie mit der Zulassung solcher ETFs?
Ja, früher oder später wird die Genehmigung erfolgen. Vielleicht dauert es noch einige Monate, aber die Zulassungsanträge werden immer besser und die Kritik seitens der zuständigen Behörde SEC wird Stück für Stück gelöst. Zudem hat es jüngst ein Gerichtsurteil zugunsten eines Antragstellers gegeben, was den Druck auf die SEC erhöht.
Was würde das für Bitcoin bedeuten – gerade wenn künftig große Finanzplayer mitspielen?
Es gibt zwei Entwicklungen. Erstens die Signalwirkung: Wenn sich Größen wie Blackrock mit dem Thema beschäftigen, erfährt der Bitcoin mehr Legitimität und mehr Menschen werden ihn sich anschauen. Und zweitens: Wenn Blackrock und andere Akteure selbst einen ETF bauen, entstehen entsprechende Kanäle, genannt „On-Ramps“: Bitcoin würde vermehrt gekauft werden und dessen Preis entsprechend steigen.
Was ist Bitcoin für Sie?
Ich sehe Bitcoin als außergewöhnlich spannendes Projekt. Für mich ist die Lesart momentan klar: Bitcoin ist wie digitales Gold. Besonders wichtig ist also die garantierte Knappheit in Verbindung mit der Dezentralität.
Inwiefern?
Genauso wie Gold ist Bitcoin im Vorkommen beschränkt. Es wird maximal 21 Millionen Bitcoin geben. Diese Knappheit ist technisch garantiert.
In diesem Sinne also auch ein Inflationsschutz?
Langfristig ja. So wie Gold über Jahrzehnte in der Lage war, Wert zu erhalten und in die Zukunft zu transportieren, dürfte es auch Bitcoin schaffen. Allerdings ist die kurzfristig enorm hohe Volatilität zu beachten, die das Argument ein bisschen abschwächt. Man muss kurz- und langfristig also immer auseinanderhalten.
Andere Ökonomen, mit denen ich mich in Vergangenheit über Bitcoin unterhalten habe, sind sehr skeptisch. Das reicht von „niemand weiß, wer hinter Bitcoin steckt“ über „zu volatil“ hin zu „die Zentralbanken werden Bitcoin nicht zulassen“ und „langfristig werden nur mehr Kriminelle Interesse an Bitcoin haben“. Sind manche Ihrer Berufskollegen und -kolleginnen zu wenig informiert oder sind Sie selbst zu „blauäugig“?
Die meisten skeptischen Menschen haben sich nicht intensiv genug mit Bitcoin beschäftigt. Bitcoin, Krypto und die dezentrale Welt sind so komplexe Themen, dass man ganze Monate investieren müsste, um sie im Detail verstanden zu haben. Es reicht nicht, hie und da eine kleine Analyse gelesen zu haben. Taucht man wochen- und monatelang in das Thema Bitcoin ein, kommt man zu einem recht positiven Bild und zu einer offenen Haltung. Wenn man Menschen, die sich mit Bitcoin auskennen, fragt, wie lange sie sich damit beschäftigt haben, heißt es meist Wochen, Monate oder Jahre. Skeptische Menschen antworten meist, dass sie nur gelegentlich etwas über Bitcoin gelesen haben.
Wo sollte man beginnen, wenn man sich mit Bitcoin beschäftigen will? Die ganze Kryptowelt ist ja hochkomplex.
Es gibt inzwischen tolle Bücher, die das Thema Bitcoin systematisch aufarbeiten. Zu empfehlen wäre „Der Bitcoin-Standard“ und das jüngst vom Journalisten Ijoma Mangold veröffentlichte Buch „Die orange Pille“.
Nochmal zurück zu den Skeptikern: Das Argument, dass die Zentralbanken ihr Geldmonopol nicht einfach aufgeben werden, klingt schon irgendwo überzeugend.
Ja, natürlich. Die Frage lautet aber, ob Bitcoin eine Währung ist. Für mich ist es keine. Laut Zentralbanken erfordert eine Währung, dass sie stabil ist und viele Akzeptanzstellen existieren. Bei Bitcoin ist derzeit beides nicht gegeben – es gibt eine hohe Volatilität und wenige Akzeptanzstellen. Das sind zwei Gründe, warum Zentralbanken Bitcoin nicht so sehr im Fokus haben als etwa vor einigen Jahren das Projekt Libra von Facebook. Quasi über Nacht traten damals alle Finanzminister und Zentralbanker auf den Plan, um zu überprüfen, ob sie ein privates Geld, so wie es Libra konzipiert hat, haben wollen oder nicht. Die Antwort war ein klares Nein. Libra sah viele Akzeptanzstellen und eine geringe Volatilität vor. Das hätte nationale Währungen vielleicht infrage gestellt. Bei Bitcoin ist Gegenwehr im Vergleich zu Libra nicht zu beobachten. Im Gegenteil: Zahlreiche Länder der Welt haben die Legalität von Bitcoin inzwischen ins Gesetz geschrieben. Die EU hat eine Verordnung namens MiCA erlassen, die Bitcoin erlaubt, aber natürlich unterbindet, dass damit Steuerbetrug, Geldwäsche und Ähnliches gemacht wird. Das ist verständlich. Aber innerhalb dieser Schranken kann jeder in Europa mit Bitcoin machen, was er will.
Ist die voranschreitende politische Regulierung der Kryptowelt somit gut für Bitcoin?
Dadurch wird zwar der Geist der Technologie etwas verfremdet, allerdings garantiert genau diese Regulierung eine größere Adoption von Bitcoin.
Was halten Sie von den Bemühungen der Zentralbanken, digitale Währungen einzuführen? Die EU und die EZB etwa möchten einen digitalen Euro entwickeln.
Es gibt gute Gründe, sich mit dem Thema zu beschäftigen, insbesondere um in Europa eine eigene, souveräne Zahlungsinfrastruktur zu entwickeln. Denn sehr viele Transaktionen werden über Kreditkarten und Paypal abgewickelt, deren Infrastrukturen nicht europäisch sind. Manches ist aber auch zu kritisieren und zu hinterfragen: Die Governance des Systems, die Privatsphäre und Ähnliches sind noch auszudiskutieren. Und vor allem konnte der Mehrwert eines digitalen Euro für die Bürger noch nicht klipp und klar kommuniziert werden.
Ist es für Sie nur eine Frage der Zeit, bis große Unternehmen oder sogar Zentralbanken für ihre Reserven teilweise auf Bitcoin als alternativen Wertspeicher zurückgreifen?
Die einzelnen Zentralbanken verhalten sich unterschiedlich. Ich gehe nicht davon aus, dass große Zentralbanken Bitcoin ankaufen werden. Sehr wohl kann ich mir aber vorstellen, dass sich die Zentralbanken kleinerer technologiefreundlicher Länder – etwa Singapur, UAE oder Israel – irgendwann mit Bitcoin beschäftigen. In der Unternehmenswelt konnte man eine breite Bitcoin-Adoption bis heute nicht beobachten.
Ein wesentlicher Kritikpunkt an Bitcoin ist der hohe Energieverbrauch des sogenannten Minings. Die Rede ist von rund 0,5 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs – Tendenz steigend. Gleichzeitig nimmt aber der Anteil an grünem Strom im Mining zu. Reicht das, um das Image zu verbessern?
Ja und nein. Tatsächlich gibt es Mechanismen im Bitcoin-Netzwerk, wonach es zunehmend grüner werden dürfte. Trotzdem ist der Anteil an Strom aus fossilen Energieträgern nach wie vor hoch – das kann man nicht negieren. Generell kommt es nicht so sehr auf die Menge an eingesetztem Strom an, sondern auf die CO2-Bilanz. Bitcoin wird auf lange Sicht grüner, aber heute ist der Anteil fossiler Energie im Netzwerk leider noch recht hoch.
Sie referieren bei der Bitcoin-Konferenz in Innsbruck zum Thema „Bitcoin-Education in Unternehmen – Vom Zweifel zur Strategie“. Worum geht es dabei – kurz zusammengefasst?
Wir erörtern, warum es wichtig ist, sich mit dem Bitcoin-Ökosystem auseinanderzusetzen, wie sich Unternehmen dem Thema annähern können und was die Benefits davon sind.
Was sind die Benefits davon?
Durch die Beschäftigung mit Bitcoin nähert man sich einem Vermögenswert, der wie digitales Gold funktionieren dürfte. Er ermöglicht es, Kaufkraft auch in die fernere Zukunft zu transportieren. Weiterhin beschäftigt man sich automatisch auch mit der Blockchain-Technologie und im weiteren Sinne mit dem ganzen Thema Web3, also der Entwicklung der nächsten Generation des Internets. Dabei geht es darum, dass nicht nur Informationen über das Internet transportiert werden, sondern auch Werte.
Sehen Sie für Bitcoin eine große Zukunft – und was sind die Gefahren?
Ich sehe eine recht positive Zukunft. Als Gefahr sehe ich im Falle eines steigenden Bitcoin-Preises einen steigenden Stromverbrauch. Der Anteil an grünem Strom könnte sich nicht so schnell nach oben entwickeln, wie man es sich wünschen würde. Dann wird es sicherlich zu einer gesellschaftlichen Diskussion kommen.
Die Gefahr für Bitcoin sehen Sie also weniger in einem politischen Eingriff oder einem sonstigen Angriff auf das Netzwerk, sondern vielmehr im schlechten Image hinsichtlich Nachhaltigkeit?
Ja, richtig. Ich bin schon der Meinung, dass Bitcoin trotzdem nachhaltig ist. Aber es muss eben wohl noch einmal ausdiskutiert werden in der Gesellschaft. Ist das eine Gefahr für Bitcoin? Nicht unbedingt, aber natürlich können infolge heftiger Diskussionen in bestimmten Ländern Gedanken aufkommen, Bitcoin einzuschränken.
Interview: Heinrich Schwarz
* Philipp Sandner ist Professor an der „Frankfurt School of Finance & Management“ sowie Gründer und Leiter des dort angesiedelten Blockchain Centers.