SWZ: Herr Pichler, am 6. Mai werden Sie bei einem Symposium in Brixen über „Klimawandel: Wie verändert sich der Wirtschaftsraum Alpen?“ referieren. Welches werden Ihre Hauptthesen sein?
Andreas Pichler: Es werden die Thesen sein, anhand deren CIPRA versucht, Antworten für die Zukunft der Gesellschaften und der Wirtschaftsweisen in den Alpen zu finden. Dazu haben wir uns angeschaut, wie fünf wichtige globale Trends auf das Leben der Menschen in den Alpen einwirken und welche Herausforderungen für die alpinen Gesellschaften sich dadurch ergeben.
Um welche Trends handelt es sich?
Der Klimawandel, die zunehmende Mobilität, der demografische Wandel, eine Segmentierung der Wirtschaft und eine rasante Mediatisierung. Diese Trends werden die Alpen in den nächsten Jahren fordern. Damit die Gesellschaften und Wirtschaftsmodelle zukunftsfähig bleiben, gilt es, sich mit den genannten Megatrends zu beschäftigen.
Sind diese Trends überall gleichermaßen spürbar?
Der Alpenraum als Gesamtes hat sehr ähnliche Herausforderungen, aber Umfang und Ausprägung sind von Region zu Region verschieden. In den südlichen Alpen beispielsweise ist die Frage eher die nach Arbeitsplätzen, nach demografischem Wandel, Abwanderung in ländlichen Gebieten und Zuwanderung in den Städten. Südtirol bewegt sich, wie so oft, zwischendrin, sodass man hier sowohl die Trends aus den nördlichen als auch aus den südlichen Alpen bemerken wird. Das bedeutet, dass wir Südtiroler uns in beide Richtungen organisieren müssen.
Welches sind denn die Trends, die in Südtirol besonders spürbar werden?
Klimawandel, Mediatisierung und Mobilität. Der Klimawandel ist in den Alpen insgesamt sehr viel stärker spürbar als im Flachland – diesbezüglich gibt es verschiedene Studien, doch der Grund dafür ist noch nicht wirklich klar.
Und die Mediatisierung?
Auch in Südtirol wird man ständig mit Inhalten bespielt, die Wahrnehmung von Politik und die Art der Meinungsbildung ändern sich. Das sind Phänomene, mit denen man erst umgehen lernen muss, Trends, auf die sich die etablierten Systeme – von der Wirtschaft bis zu den Gewerkschaften, Verbänden und Umweltorganisationen – erst einstellen müssen.
Wie schaut es im Hinblick auf die Mobilität in Südtirol aus?
Da haben wir verschiedene, interessanterweise gegenläufige Trends: Einerseits erleben die alternativen Formen der Mobilität einen Boom, andererseits steigen die Zahlen im Transitverkehr und die Zulassungszahlen von Autos mit großem Hubraum. Zugleich steht fest, dass die Mobilität der Zukunft ganz anders aussehen wird als die heutige.
Bei der Veranstaltung in Brixen, bei der Sie referieren werden, wird es in erster Linie um die nachhaltige Entwicklung im Bereich Energie gehen. Inwiefern wird dieser Sektor sich wandeln?
CIPRA arbeitet an einem Projekt zum innovativen Flussraummanagement, bei einem Gespräch zum Projekt waren kürzlich auch die Vertreter verschiedener alpiner Energieversorger mit dabei. Dabei hat sich eines herauskristallisiert: Der Bau von Großkraftwerken ist heutzutage nicht mehr machbar, nicht nur wegen der umfangreichen Umwelt-
auflagen, sondern auch weil es schwierig ist, einen gesellschaftlichen Konsens zu erreichen. Solche Großinvestitionen sind wegen des demografischen Wandels und einer stagnierenden Wirtschaft immer schwerer zu rechtfertigen. Darum gehen Energieversorger genauso wie Fachleute davon aus, dass die Energieversorgung in Zukunft sehr dezentral und kleinteilig ablaufen wird.
Das bedeutet?
Man kann im eigenen Haus produzieren und direkt verbrauchen. Das führt dazu, dass Ineffizienzen der zentralisierten Stromversorgung weitgehend eliminiert werden. Doch Strom ist nur ein Teil des Bereichs „Energie“: Es gibt auch hinsichtlich Wärme und Mobilität neue Technologien, die schon sehr gut ausgereift sind und zunehmend greifen. Doch man merkt auch, dass beispielsweise hinsichtlich der Energieeffizienz von Wohnraum die Sanierungsraten, die von der Politik angestrebt werden, bei Weitem nicht zu erreichen sind. Es handelt sich bei der Energie bzw. der Energieeinsparung um einen Bereich, in dem wirklich Ernst gemacht werden sollte, denn die beste Energie ist immer jene, die es nicht braucht – das ist auch eine Erkenntnis des Weltklimagipfels in Paris.
Energie bringt jedoch viele Annehmlichkeiten – und dass wir modernen Menschen auf etwas verzichten, das angenehm ist, ist doch eher unwahrscheinlich …
Das Thema Verzicht ist sicher kein einfaches. Doch mit innovativem Denken kann man mit weniger sogar mehr erreichen. Und so orientieren sich immer mehr Leute um, versuchen, Lebensqualität beizubehalten und dabei möglichst wenig Energie zu verbrauchen. Das muss auch geschehen, wenn wir das ernst nehmen, was die Klimaforscher sagen, und wenn wir die Ziele umsetzen wollen, die auf politischer Ebene gesteckt werden. Ich bin aber überzeugt, dass Südtirol und die Südtiroler immer auch das Schöne einer nachhaltigen Entwicklung gesehen hat bzw. haben. Uns als CIPRA ist es in dieser Hinsicht wichtig, das „mehr mit weniger“ nicht rein aus Sicht des Umwelt- und Klimaschutzes zu sehen, sondern viel mehr aus einer technischen Perspektive, und zu fragen: Was haben die Leute? Was brauchen die Leute? Und was für Lösungen bringen uns dahin?
Damit wären wir dann beim „guten Leben in den Alpen“, einem Konzept, das CIPRA in ihrem Projekt alpMonitor in den Fokus stellt. AlpMonitor soll frühzeitig auf Veränderungen in den Alpen und daraus entstehende Chancen und Herausforderungen aufmerksam machen.
Wir haben uns bei „gutes Leben in den Alpen“ so weit hinausgewagt, dass wir sagen, es gibt drei Leitprinzipien, mit denen man Veränderungen begegnen sollte: Genügsamkeit, Solidarität und Partizipation – das sind für uns die Grundlagen, auf denen man Lösungen andenken muss, damit sie in eine gute Richtung gehen. Bei der Solidarität etwa geht es genauso um Solidarität zwischen Alt und Jung und zwischen ärmeren und reicheren Einkommensschichten wie um Solidarität und Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Alpenländern.
Genügsamkeit, Solidarität und die Partizipation sind hehre Prinzipen. Doch sind sie in unserer leistungs- und konkurrenzorientierten und vor allem auch wohlstandsorientierten Welt tatsächlich umsetzbar?
Es gibt weltweit sehr viele Bevölkerungsschichten, die von unserem Wohlstand träumen, und sehr viele Menschen, die sehr viel riskieren, um einen Anteil von unserem Wohlstand – der teilweise auch auf ihre Kosten zustande gekommen ist – abzubekommen. Die Frage ist nun: Sollen diese Leute vorausgehen, die nicht die Möglichkeit haben, mit einer nachhaltigen Lebensweise ihren Beitrag zu leisten, sondern die erst einmal schauen müssen, ihre Grundbedürfnisse zu erfüllen?
Wohl eher nicht …
Aber wenn man in den Alpen lebt und arbeitet, dann ist man im globalen Vergleich in der Regel privilegiert. Deshalb: Wenn es die Alpen nicht vorzeigen, wer soll es dann machen?
Noch einmal zurück zu Ihrem Referat in Brixen: Welches sind die negativen Auswirkungen des Klimawandels auf die Wirtschaft im Alpenraum?
Der Klimawandel verläuft nicht linear, deshalb werden Extremwetterphänomene weiter zunehmen. Damit erhöht sich insgesamt die Gefahrenquelle aus Wetterereignissen in einem Ausmaß, das wir im Alpenraum in vielen Regionen so bisher nicht gekannt haben. Das könnte beispielsweise bei den Prämien der Hagelschutz- und auch anderen Versicherungen Auswirkungen haben. Ein Kreislauf wird etwa auch dadurch bedroht, dass viele internationale Investoren bei ihren Investitionen zunehmend darauf schauen, wie wetterresilient diese sind. Doch viele Folgen sind noch nicht absehbar.
Ergeben sich für die Wirtschaft im Alpenraum auf der anderen Seite auch Chancen aus dem Klimawandel?
Punktuell wird es sicher Gewinner geben, aber gesamtgesellschaftlich ist das nicht der Fall. Durch die Häufung von Extremwetterphänomenen wird die Planbarkeit sinken – sowohl für die Landwirtschaft als auch für die Wirtschaft. Und weil die Planbarkeit in vielen Bereichen so wichtig ist, kann ich im Klimawandel keine großen Chancen für die Wirtschaft entdecken. Die Frage ist aber, wie resilient, wie widerstandsfähig eine Wirtschaft oder eine Gesellschaft ist, wie viel sie aushalten kann und wie gut sie auf solche Extreme vorbereitet ist. In dieser Hinsicht ist im Alpenbogen viel historisches Wissen vorhanden.