SWZ: Herr Kompatscher, am 27. Oktober wird ein neuer Landtag gewählt, und es ist davon auszugehen, dass Sie der nächste Landeshauptmann sind. Die erste Aufgabe, die ansteht, dürfte die Verabschiedung des definitiven Haushalts 2014 sein. Wird das angesichts der unsicheren Haushaltslage bereits die erste Nagelprobe – oder gehen Sie davon aus, dass doch noch mehr Geld vom Staat kommt und Sie auf ausreichende Einnahmen bauen können?
Arno Kompatscher: Wir sind gerade dabei, mit Rom das Problem der Rückstände zu lösen. Der Senat hat auf Initiative unserer Vertreter dort letzte Woche der Regierung den Auftrag erteilt, Verhandlungen mit Südtirol aufzunehmen, um eine Regelung zu treffen. Immerhin schuldet uns der Staat 1,5 Milliarden. Das wird aber nicht dazu führen, dass wir wieder ein Haushaltsvolumen erreichen, wie wir es vor fünf oder sechs Jahren hatten. Es wird weiterhin schwierig bleiben, einen Bilanzausgleich zu schaffen. Ich hoffe aber trotzdem, dass die Lage etwas besser sein wird als in den letzten beiden Jahren. Klar ist aber, dass wir den Haushalt 2014 weitgehend fortschreiben müssen, denn es sind umfangreiche Vorarbeiten notwendig, um einen ganz neuen Voranschlag zu erarbeiten. Das schaffen wir dann frühestens für den Haushalt 2015.
Sie stimmen aber der Einschätzung zu, dass strukturellen Änderungen im Haushalt notwendig sind?
Auf jeden Fall. Ich spreche ja schon seit Wochen von einem Zero-Base-Budget. Wir müssen den Haushalt auf Null stellen und eine Arbeitsgruppe einsetzen, der auch diesbezüglich erfahrene Fachleute angehören und die aufgrund von objektiven Kriterien die einzelnen Kostenstellen analysiert und auf deren Effizienz und Zielgenauigkeit überprüft. Den Ergebnissen entsprechend muss dann der Haushalt von Grund auf neu aufgebaut werden. Schweden hat dies schon vor Jahren mit großem Erfolg gemacht, auch Baden-Württemberg ist diesen Weg gegangen. Hand in Hand damit muss die Verwaltungsstruktur an die Zielsetzungen des Haushalts angepasst werden. Das ist eine Aufgabe, die eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt.
Die wirtschaftliche Lage ist wenig erfreulich. Das BIP dürfte 2013 leicht schrumpfen, die Zahl der Beschäftigten nimmt zum ersten Mal seit langer Zeit ab, die Arbeitslosigkeit steigt. Welchen Stellenwert räumen Sie der Wirtschaftspolitik ein?
Die Wirtschaftspolitik ist eine zentrale Aufgabe. Erfolge dort sind die Voraussetzung für wettbewerbsfähige Unternehmen und damit für Arbeit und Einkommen. Es ist Aufgabe der Politik und Verwaltung, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass Unternehmen erfolgreich sein können – und nicht selbst Unternehmer zu spielen, was in der Vergangenheit etwas zu häufig passiert ist. Gerade in den heute schwierigen Zeiten kommt der Wirtschaftspolitik große Bedeutung zu.
Angesichts der Probleme rufen alle nach Hilfe und insbesondere auch nach sozialen Maßnahmen, um die Auswirkungen der Krise abzufedern. Was soll und was kann die Landesregierung tun?
Es wäre ein großer Fehler, in der der derzeitigen Krisensituation die Probleme dadurch lösen zu wollen, dass wir Symptome bekämpfen, indem wir vor allem die Transferleistungen anheben. Wir müssen das Problem an der Wurzel anpacken, auch wenn das nur mittel- und langfristig wirkt. Es ist eine Tatsache, dass die Nettolöhne in Südtirol aufgrund der recht hohen Lebenshaltungskosten zu niedrig sind. Aber höhere Löhne können Unternehmen nur zahlen, wenn sie steuerlich entlastet, produktiv und wettbewerbsfähig sind. Also müssen wird da ansetzen. Gleichzeitig soll danach getrachtet werden, die Lebenshaltungskosten dort, wo wir sie beeinflussen können, zu senken, und ich denke dabei in erster Linie an das Wohnen. Wir müssen dieses Problem angebotsseitig lösen, nicht durch noch mehr und noch höhere Mietzuschüsse oder dergleichen.
Die Menschen rufen immer öfter nach Steuersenkungen. Bisher hieß es immer: Das Land kann es sich nicht leisten, Unternehmen und Haushalte durch einen kompletten Verzicht auf die IRAP und den IRPEF-Zuschlag zu entlasten. Zuletzt ist diese Doktrin ins Wanken gekommen. Werden Sie von ihr abgehen?
Ich habe mich klar gegen die geplante Einführung einer zusätzlichenTourismussteuer ausgesprochen und mehrmals verkündet, dass ich für eine Senkung der IRAP bei gleichzeitigem Abschluss von Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern bezüglich Lohnerhöhungen bei Produktivitätssteigerungen bin. Es gibt inzwischen auch verschiedene Vorschläge zur Verringerung oder Abschaffung des IRPEF-Zuschlags, ja, Parteien und Kadidaten überbieten sich mit solchen Forderungen. Diese Vorhaben müssen aber gegenfinanziert werden. Das ist kurzfristig nur möglich, indem Zuwendungen und Subventionen verschiedenster Art gekürzt werden. Für mich ist das aber kein Nullsummenspiel, denn es entsteht auf jeden Fall ein Mehrwert für Wirtschaft und Gesellschaft – und es fällt der Verwaltungsaufwand weg, den das Kassieren und Verteilen notwendig macht. Es geht jetzt darum zu untersuchen, welche der vorgeschlagenen Steuersenkungen am effizientesten sind – Maßnahmen im Bereich der IRAP oder der IRPEF oder eine Kombination von beiden -, und diese müssen wir umsetzen. Mit einem Federstrich auf alle Landessteuern verzichten, das wird nicht möglich sein; wir müssen einen Schritt nach dem anderen setzen.
Weniger Staat (bei uns: weniger Land) – und mehr Selbstverantwortung und Raum für Eigeninitiative: Ist das eine Forderung, mit der Sie sich anfreunden können?
Ja, das kann ich. Wir haben eine sehr hohe Staatsquote und tun gut daran, da eine Wende einzuleiten. Das heißt aber nicht, dass ein neoliberaler Nachtwächterstaat ein Ziel sein kann. Es gibt öffentliche Kernleistungen, die öffentlich bleiben sollen wie z.B. Gesundheit, Soziales und Bildung oder etwa auch netzgebundene Infrastrukturen. Viele Staaten haben negative Erfahrungen mit Privatisierungen in solchen Bereichen gemacht. In Südtirol hat sich die öffentliche Hand aber in zu vielen Sektoren engagiert, auch in solchen, aus denen sich öffentliche Verwaltrungen europaweit in der Regel heraushalten. Es muss zu einem Umbau kommen und zu einem Abbau bestimmter öffentlicher Leistungen, damit wir Ressourcen freimachen für unsere zentralen öffentlichen Aufgaben. Damit einher gehen muss ein Schrumpfen des Verwaltungsapparats, und damit meine ich die Verwaltung, nicht die Dienste selbst, weil in einigen Bereichen, wie z.B. in der Altenbetreuung, die Nachfrage nach Leistungen sogar noch steigen wird.
Sie teilen also die Einschätzung, dass der öffentliche Dienst überproportioniert ist. Glauben Sie, dass es einen politischen Konsens gibt, dagegen etwas zu tun?
Ich stelle in diesem Wahlkampf fest, dass es diesen Konsens sogar überparteilich gibt. Es ist in den letzten Jahren offensichtlich geworden, dass wir den öffentlichen Dienst effizienter gestalten und der Privatinitiative mehr Raum geben müssen. Die Privaten erledigen manche Dinge billiger und sind flexibler. Und wir müssen auch überlegen, ob wir in der Landesverwaltung wirklich fünf Entscheidungsebenen brauchen wie wir sie derzeit haben.
Zur Strompolitik. Sie kommen aus der Kommunalverwaltung und haben immer für mehr Mitbestimmung der Gemeinden in der SEL plädiert. Ist es damit getan? Und: Kann es gelingen, dass das Land nur mit einem blauen Auge aus der von ihm verschuldeten Konzessionsaffäre aussteigt?
Wir haben einst mit einer Durchführungsbestimmung ja nicht die Energie ins Land geholt, sondern die Zuständigkeit für die Vergabe der Stromkonzessionen. Da müssen wir ansetzen. Es liegt am Landtag, ein neues Gesetz zu verabschieden, das gewährleistet, dass Wettbewerb stattfindet und gleichzeitig die Wertschöpfung im Land bleibt. Wir streben das so genannte Schweizer Modell an, die gesetzlichen Voraussetzungen dafür gibt es in Italien. Für die Zukunft mache ich mir keine Sorgen. Was wir jetzt schaffen müssen, ist, aus dem Schlamassel zu kommen, das durch die manipulierte Vergabe der Konzessionen entstanden ist. Das geht nur über den Verhandlungsweg – zunächst zwischen den beteiligten öffentlichen Körperschaften. Da bahnt sich eine Übereinkunft an. Ich sehe die definitive Lösung aber nicht in der Form, dass es sehr billigen Strom für alle gibt. Das ist weder ökonomisch noch ökologisch sinnvoll. Wir streben ein großes öffentliches Energieunternehmen unter Einbindung aller lokalen Körperschaften an, das mit den kleinen Produzenten und den Genossenschaften in Produktion und Handel kooperiert. So können wir eine hohe Wertschöpfung erzielen, die dazu dient, Gesundheits- und Sozialdienste weiterhin zu finanzieren, weil die Steuereinnahmen allein aufgrund notwendiger Entlastungen nicht mehr reichen.
Der Ruf nach einer zweisprachigen Schule wird lauter, vor allem in der italienischen Sprachgruppe. Kann man mit Ihnen über Änderungen oder Ergänzungen des Art. 19 des Autonomiestatuts reden, der Schulen in der jeweiligen Muttersprache vorsieht?
Die gemischte Schule und ihre Nützlichkeit für den Sprachenerwerb bereits in der Primärstufe sind ein Mythos, der sich hält, obwohl ihm jede Grundlage fehlt. Die internationale Sprachwissenschaft ist sich heute darüber einig, dass in der Primärschule der gemischte Unterricht nicht geeignet zum Spracherwerb ist. Der Art. 19 des Autonomiestatuts ist weiterhin aktuell, gerade bei uns, wo die Kinder erst die deutsche Hochsprache erlernen. Sehr wohl müssen wir aber darangehen, den Zweit- und auch den Drittsprachenunterricht durch Einführung moderner didaktischer Methoden zu verbessern und den Austausch zu fördern, denn Spracherwerb findet auch und gerade außerhalb der Schule statt. Die Trennung der Schulgebäude ist nicht sinnvoll, wir müssen mehr Begegnung ermöglichen. Was leider vielfach fehlt, ist die Motivation zum Erwerb der zweiten Landessprache. Warum lernen unsere Kinder sehr schnell Englisch, aber vielfach ungenügend Italienisch bzw. Deutsch?
Die SVP strebt wieder die absolute Mehrheit an. Was ist, wenn sie sie verfehlt?
Das darf nicht passieren, das wäre nämlich in der derzeitigen Umbruchphase ein Schaden für das ganze Land. Denn dann wird es sehr viel schwieriger, die notwendigen Reformen umzusetzen, und gleichzeitig würde es unsere Verhandlungsposition in Rom schwächen.
Erwarten Sie sich neue Gesichter in der Landesregierung? Wie viele Freiheiten haben Sie oder nehmen Sie sich bei deren Bildung?
Ich werde sicherlich kein Statement zur zukünftigen Zusammensetzung der Landesregierung abgeben, zumal sicher auch der Wille der Wählerinnen und Wähler zu berücksichtigen ist, den diese mit ihren Vorzugsstimmen zum Ausdruck bringen. Das kann aber nicht das einzige Kriterium sein, denn wir müssen auch den Sprachgruppen- sowie den Geschlechterproporz berücksichtigen, und natürlich zählen auch die jeweiligen Kompetenzen für die Übernahme eines Ressorts. Das Bezirksdenken wird in dieser Logik kaum mehr eine Rolle spielen.