Das Problem besteht seit Jahren, und es spitzt sich zu: Wie sollen Lehrpersonen unterrichten, wenn viele (oder gar die Mehrheit) ihrer Schüler:innen kein Deutsch können? In den deutschsprachigen Grundschulen in Bozen zum Beispiel sind die Kinder deutscher Muttersprache bereits in der Minderheit. Nur 30 bis 40 Prozent von ihnen haben Deutsch als Muttersprache, alle anderen Kinder stammen aus Familien, in denen zuhause Italienisch gesprochen wird, oder sie haben ausländische Eltern, hat die Bozner Schulstadträtin Johanna Ramoser schon im Frühjahr letzten Jahres bekanntgegeben.
Dies allein ist nicht problematisch. Die Schwierigkeiten ergeben sich aus der Tatsache, dass diese Kinder kein Deutsch sprechen (und oftmals auch nicht verstehen), sodass sie dem Unterricht nicht folgen können. Daraus müssten die Konsequenzen gezogen werden, und es gehe dabei nicht um eine ethnische Polemik, sondern um unerlässliche Sprachkenntnisse und Unterrichtsqualität, sagte Ramoser damals.
In solchen Klassen ist ein angemessenes Lehren und Lernen nicht bloß schwierig, sondern zuweilen unmöglich. Manche Eltern schicken ihre der deutschen Sprache mächtigen Kinder deshalb bereits in die deutschsprachigen Schulen von Nachbargemeinden, etwa nach Eppan oder Terlan.
Von der Politik sind bisher keine praktikablen Lösungsvorschläge gekommen. Ein paar Lehrkräfte mehr, Beratungsgespräche oder unterstützende Sprachkurse reichen angesichts der Defizite nicht.
Christina Holzer, die Direktorin der Bozner Goetheschule, hat deshalb zur Selbsthilfe gegriffen. Sie hat eine erste Klasse eingerichtet, die von Kindern besucht wird, die – nach Aussage von deren Eltern – nicht Deutsch können. In dieser Sprachförderklasse sollen die Schüler:innen Deutsch lernen, um sie auf den Unterricht in einer Regelklasse vorzubereiten. Absolut vernünftig und notwendig, sagt der Hausverstand.
Aber weit gefehlt! Es gibt viele Einwände von Leuten, die selbst keine alternativen Rezepte haben. Es sind Bedenken rechtlicher („Sonderklassen sind in Italien verboten“) und solche sozialpädagogisch-politischer Natur (sie reichen von Hinweisen auf die Vorteile einer Inklusion bis zu Rassismusvorwürfen).
Nur: Das Inklusionsprinzip zielt auf die Einbeziehung etwa von Kindern mit großen Lernschwierigkeiten oder körperlichen bzw. geistigen Handicaps ab. Dabei geht es um die Förderung einer Minderheit und deren Gleichstellung mit der Mehrheit. Aber soll man in einer Klasse mit sechs deutschsprachigen Schülerinnen und Schülern acht solche ohne Sprachkenntnisse inkludieren? Da sind ja die Deutschsprachigen die Inkludierten!
Dass auf diese Weise das Recht auf ein angemessenes Lernen in der eigenen Muttersprache durch Hiebe mit der Inklusionskeule grob verletzt wird, dürfte klar sein. Die erwähnte Klasse an der Goetheschule wäre keine Sonderklasse, nur eine besondere Klasse, die keine Dauereinrichtung bleiben soll, sondern auf eine spätere Inklusion und den gemeinsamen Unterricht mit Kindern (möglichst ab der zweiten Klasse) abzielt, die bereits Deutsch können. Wer sich hinter rechtlichen Bedenken verschanzt, tut gut daran, an einer Beseitigung eventueller juridischer Hindernisse zu arbeiten, anstatt nur zu blocken.
Wie geht man in anderen Staaten mit dem Problem um? In Österreich etwa wird zur Feststellung der Sprachkompetenzen von Kindern im letzten Jahr vor Schuleintritt ein einheitliches Instrument eingesetzt, von dem es zwei Varianten gibt. Eines wird für Kinder mit Deutsch als Muttersprache verwendet, eines für solche mit Deutsch als zumindest theoretische Zweitsprache. Die Ergebnisse des Sprachtests werden den Grundschulen übermittelt.
Schüler:innen, bei denen feststeht, dass sie dem Unterricht aufgrund unzureichender Sprachkenntnisse auch im Falle einer Förderung innerhalb des Klassenverbandes nicht folgen können, werden in sogenannten Deutschförderklassen unterrichtet. Dies mit dem vorrangigen Ziel, die Unterrichtssprache Deutsch rasch zu erlernen, damit diese Kinder bald gemeinsam mit den anderen in einer Klasse unterrichtet werden können.
Ausreichende Kenntnisse der Unterrichtssprache sind Voraussetzung für Bildungserfolge und die Nutzung der Potenziale, die in allen Kindern stecken, welches auch immer ihre Erstsprache ist. All das wollte man an der Goetheschule tun – und gleichzeitig garantieren, dass die Schule ihren Bildungsauftrag gegenüber deutsch- oder zweisprachigen Kindern erfüllen kann.
Dass man sie nicht gewähren lässt, macht zumindest perplex.
Und das sagt Philipp Achammer, der Landesrat für Deutsche Bildung, zur Diskussion:
Falsche und gefährliche Behauptungen!
In der aktuellen Diskussion um die Klassenbildung der Goethe-Schule in Bozen stehen aufgrund diverser politischer und journalistischer Kommentare und Stellungnahmen einige Dinge im Raum, die ich als zuständiger Landesrat so nicht stehen lassen kann:
- Mehrmals habe ich gelesen, dass „hier endlich etwas getan würde, im Gegensatz zur bisherigen völligen Untätigkeit“. Diese Feststellung ist unkorrekt, ja völlig fehl am Platze, denn sowohl mit Blick auf die den Schulen zugewiesenen Ressourcen als auch mit Blick auf konkrete Unterstützungsangebote gibt es umfassende Maßnahmen. Die Landesschuldirektion weist sprachlich komplexen Schulsprengeln landesweit unter anderem rund 150 Lehrer- und Lehrerinnenstellen zur Sprachunterstützung zu, um gruppenteilig arbeiten und auf den Sprachstand der Kinder auch differenziert eingehen zu können.
Gleichzeitig ersuche ich darum, nicht von gewissen öffentlichen Schlagzeilen abzuleiten, ob jemand arbeitet oder nicht. Das beleidigt die Tätigkeit von vielen Lehrpersonen, die in sprachlich mindestens genauso komplexen Situationen Unterricht leisten. Sehr viele Schulen arbeiten gut, professionell und umsichtig – ohne in der Öffentlichkeit laut sein zu müssen.
- „Die ich rief, die Geister werd ich nun nicht los.“ Dieser Satz aus Goethes Zauberlehrling ist mir in den vergangenen Tagen immer wieder in den Sinn gekommen. Wenn ich lese, dass aufgrund dieser öffentlichen Diskussion nun unter anderem „Deutsche Klassen für deutsche Kinder“ von einigen beschworen wird, dann ist die durch eine Klassenbildung mitunter auch unbewusst ausgelöste Diskussion brandgefährlich. Um es klar zu sagen: Wir haben keine Alternative zu Inklusion und Integration – alles andere heißt kurz-, mittel- und langfristig gesellschaftlicher und sozialer Unfrieden. Auch wenn Inklusion viel Geld und Mühen kostet, wir können nur darin investieren. Alles andere führt zu Konflikten und Auseinandersetzungen, das hat uns die Geschichte mehr als einmal eindrücklich vorgeführt.
Die sprachliche Integration ist eine massive Herausforderung für die Schulen und unsere Lehrpersonen, das steht außer Frage. Unsere Kindergärten und Schulen leben jedoch mit wissenschaftlich fundierten Konzepten und klaren Regeln das Prinzip der Inklusion Tag für Tag, und zwar nicht nur gesetzlich verordnet. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Und vergessen Sie abschließend bitte nie: Wir reden hier von Kindern, die alle gleichermaßen verdient haben, gefördert zu werden!