SWZ: Ministerpräsidentin Meloni verspricht unter anderem Bürokratieabbau, weniger Steuern auf Arbeit und eine Bekämpfung der hohen Energiekosten. Genau das, was Sie sich wünschen. Ist diese Regierung mit klarem postfaschistischem Anstrich gar nicht mal so schlecht?
Heiner Oberrauch: Von mir erhält jeder Vorschusslorbeeren. Man muss jedem zugestehen, dass er sich weiterentwickeln kann und sich auch Meinungen ändern können. Ich finde es befremdlich, wenn auf einem Sager von Meloni als Jugendliche herumgehackt wird. Meine Erwartung war sehr wohl, dass sich Meloni vom Faschismus distanziert, und das hat sie – wenn auch in einer sanften Weise – getan: Sie verachte alle autoritären Systeme, auch den Faschismus. Bevor man Menschen kreuzigt, sollte man schauen, was sie tun. Wir werden die Regierung jedenfalls nach ihren Taten bewerten. Bürokratieabbau hat bisher jeder versprochen, aber passiert ist nicht viel. Ich bin deshalb nicht sehr hoffnungsvoll. Bei den anderen Themen schon. Zentral ist, dass die Menschen mehr Netto vom Brutto haben. Wenn ein Betrieb einem Mitarbeiter mehr Gehalt oder eine Prämie zahlt, kriegt mehr als die Hälfte der Staat. Das ist nicht motivierend – Leistung muss sich auszahlen. Den Menschen mehr Geld in der Tasche zu lassen, ist zudem die beste Maßnahme gegen die Inflation, tut der Wirtschaft gut und dadurch auch den Steuereinnahmen. Italien hat im Verhältnis zu Europa die höchsten Lohnsteuern.
Was ist mit dem Kampf gegen die Energiekosten?
Der ist am dringendsten anzugehen. Wenn wir die Industrie verlieren, weil nichts getan wird, haben wir ein großes wirtschaftliches und soziales Problem, weil Steueraufkommen und Arbeitsplätze wegfallen. Es gilt, Industrien nach Europa zurückzuholen und unabhängiger zu werden. Wir haben schon in der Pandemie die Abhängigkeiten bei Schutzausrüstung und Impfstoffen gesehen. Jetzt ist es die Energie. Und was noch wichtiger ist: Wenn wir den Klimawandel ernstnehmen, braucht es die Industriebetriebe, denn sie machen 70 Prozent der Investitionen in Innovation aus. Ich halte übrigens nichts von der geplanten Erhöhung der Bargeldobergrenze – das ist Blödsinn. In anderen Ländern zahlt man bereits den Kaffee mit dem Handy. Italien hinkt Europa in der Digitalisierung hinterher, wobei Südtirol auch noch hinter Italien liegt.
Versprochen wurde in Vergangenheit vieles, aber nur wenig eingehalten. Was ist mit dieser Regierung tatsächlich umsetzbar?
Es ist schon einmal positiv, dass es eine klare Mehrheit gibt, um Reformen durchziehen zu können. Das Grundübel Bürokratie kann man nur abbauen, wenn man gegenüber Bürgern und Betrieben auf Vertrauen setzt, wobei Fehler geahndet werden müssen.
Vor allem Giancarlo Giorgetti und Adolfo Urso kümmern sich als Minister um die wirtschaftlichen Belange. Welchen Eindruck haben Sie von ihnen?
Giorgetti habe ich nur einmal persönlich kennengelernt. Unser Dachverband Confindustria hat mit ihm gute Erfahrungen gemacht. Auch in Südtirol gibt es positive Stimmen. Er ist ein sehr fähiger, wirtschaftlich kompetenter und moderater Mann, der eigentlich ein Zentrumspolitiker ist. Vor allem kann man sich auf ihn verlassen, wie sich bisher gezeigt hat. Zu Urso kann ich wenig sagen.
Sie sagten, Meloni habe sich vom Faschismus distanziert. Nun hat Fratelli d’Italia eine ganze Reihe von Exponenten aus dem ganz rechten Spektrum. Macht Ihnen deren ideologische Ausrichtung keine Sorgen?
Die Ministerliste von Meloni ist eigentlich besser als erwartet. Dem Hardliner Salvini wurde ein Ministerium gegeben, in dem er in der Flüchtlingsfrage keinen großen Schaden anrichten kann. Sorgen machen mir die Aussagen von Meloni nicht so sehr in wirtschaftlicher Hinsicht, sondern in gesellschaftspolitischer, sprich die Diskriminierung von verschiedenen Menschen sowie das Familienbild. Meine Hoffnung ist, dass es schwierig wird, gesellschaftspolitische Veränderungen so schnell rückgängig zu machen. Die Gesellschaft hat sich nun einmal in eine bestimmte Richtung weiterentwickelt.
Zum Landeshaushalt hat Arno Kompatscher klargestellt, dass man sich in Bescheidenheit üben müsse und die großen Investitionen auf den Prüfstand kommen. Der Zeitplan für Investitionen, für die es keine europäischen und staatlichen Gelder gibt, müsse neugestaltet werden. Steht Südtirol ein Stillstand bevor?
Es ist festzuhalten, dass wir einen Rekordhaushalt haben. Nun braucht es neues Denken. Hier können sich die einzelnen Landesräte beweisen. Etwas enttäuscht bin ich, dass bei der spending review noch nichts Spürbares passiert ist. Wir haben öfters aufgezeigt, dass Doppelgleisigkeiten in der Verwaltung dringend zu beseitigen sind. So braucht es vielleicht noch drei Kulturämter, aber sicherlich nicht drei Verwaltungen. Ebenso braucht es für das produzierende Gewerbe nicht zwei Ämter – diese gehören zusammengelegt. Zudem muss die Zusammenlegung von Gemeinden oder Diensten viel schneller gehen. Die Liste wäre lang, aber passiert ist wenig, was mich traurig macht.
Stattdessen kann der Staat ohne Weiteres auf die Flat Tax verzichten, von der ich nichts halte, oder die Erbschaftssteuer reformieren.
Wir können hier gute Sparringspartner sein, denn Verantwortungsträger von großen Unternehmen haben auch komplexe Organisationen zu leiten. Auf der anderen Seite braucht es Investitionen – speziell in die Digitalisierung und nachhaltige Energie. Ich bin einverstanden, dass bestimmte Investitionen warten müssen, denn es war wichtig, die Familien zu unterstützen. Hilfe braucht es aber auch für die Unternehmen, wie es andere Länder getan haben, ansonsten sinken die Steuereinnahmen und dies fällt uns auf den Kopf. Ich glaube jedenfalls nicht, dass es einen totalen Investitionsstau gibt. Es braucht momentan etwa sicher kein Haus der Wirtschaft. Dieses ist überhaupt in Frage zu stellen, denn wir müssen in Köpfe investieren, nicht in Tempel. Und wenn das Ötzi-Museum ein Jahr länger warten muss, bricht die Welt auch nicht zusammen. Es ist trotzdem sinnvoll, Infrastrukturen weiterzuentwickeln, weil diese zur Effizienzsteigerung beitragen.
Woran hakt es, dass die Suche nach Einsparungsmöglichkeiten im Landeshaushalt seit Jahren nur langsam vorangeht?
Das müssen Sie andere fragen. Zu viel Geld macht halt bequem, nach dem Motto: Warum sollte ich sparen, wenn genug Geld da ist. Der Landeshauptmann hat durchaus gut mit Rom verhandelt und Geld nach Südtirol gebracht. Aber das Ziel der gesamten Verwaltung muss es sein, die Dienste effizienter zu gestalten, etwa durch Digitalisierung. Und die Politik muss sich auf ihre hoheitlichen Aufgaben konzentrieren.
Sie fordern eine Senkung der Wertschöpfungssteuer Irap. Das würde Mindereinnahmen von rund 60 Millionen Euro verursachen. Das werden wir uns kaum leisten können.
Das müssen wir uns leisten. Die Irap ist die ungerechteste aller Steuern. Sie ist auch zu zahlen, wenn jemand Verluste macht. Derzeit haben viele Unternehmen, speziell die energieintensiven, Existenzängste. Sie müssen sich entscheiden, ob sie Verluste machen – auch zehn bis 30 Prozent – oder den Betrieb zusperren und damit die Kunden und Mitarbeiter verlieren. In einer Zeit von Pandemie, Energiekrise und jetzt auch noch höheren Zinsen fällt dem Land ein, die Steuern zu erhöhen. Andere Länder geben den Unternehmen massive Hilfen, Südtirol bis jetzt nichts. Die Mittel für die Irap-Senkung kann man mit einem schlankeren Haushalt einsparen. Letztlich sägt man den Ast ab, auf dem man sitzt. Unternehmen müssen zusperren, wenn die Energiepreise weiter so hoch bleiben. Eine niedrigere Irap könnte das zwar nur in wenigen Fällen verhindern, würde aber für die Unternehmen ein wichtiges Zeichen sein. Ansonsten bleibt Bitternis, Sorge und Ärger. Der Staat sollte die Irap ganz abschaffen. Stattdessen kann er ohne Weiteres auf die Flat Tax verzichten, von der ich nichts halte, oder die Erbschaftssteuer reformieren.
Die Wirtschaft kritisiert immer wieder den hohen Anteil der fixen Ausgaben gemessen an den Ausgaben für Investitionen. Sind fixe Ausgaben wie die Gehälter des Lehrpersonals nicht auch Investitionen in die Zukunft?
Ganz bestimmt – das Bild der Lehrer gehört aufgewertet! Und dazu gehört auch ein höheres Gehalt. Gleichzeitig muss man die Lehrer von der Bürokratie entlasten und sie unterrichten lassen. Dieselbe Aufwertung braucht es für die Leistungsträger in der Sanität: Gute Leute muss man gut bezahlen, damit sie in Südtirol bleiben oder zurückkommen.
Südtirol wird diese Krise wieder relativ gut meistern, weil es viele Familienbetriebe gibt, die schnell reagieren können.
Europa dürfte wegen der Energiekrise, hoher Inflation und steigender Zinsen in eine Rezession stürzen. Wie wird Südtirol in einem Jahr realistischerweise dastehen?
Das ist schwierig zu sagen. Gott sei Dank hat Südtirol ein ausgeglichenes Wirtschaftssystem zwischen Landwirtschaft, Tourismus, Handel und produzierendem Gewerbe. Südtirol wird diese Krise wieder relativ gut meistern, weil es viele Familienbetriebe gibt, die schnell reagieren können. Und weil es einen sozialen Zusammenhalt gibt und die Menschen auch mal kurzfristig auf etwas verzichten. Viele Familienbetriebe haben zudem Reserven, um durch die Krise zu kommen. Aber wenn sich auf dem Energiemarkt nicht schnell etwas ändert, stehen zumindest energieintensive Betriebe vor einem großen Problem. Um den Tourismus habe ich weniger Angst, weil die Gäste in Krisenzeiten lieber in ein vertrautes und sicheres Land und nicht so weit weg fahren. Unter den energieintensiven Betrieben, die sehr viele Menschen beschäftigen, gibt es jetzt schon einige, die von drei Turnussen auf einen oder auf Kurzarbeit umgestellt haben.
Um welche konkreten Branchen machen Sie sich am meisten Sorgen?
Im Grunde um alle energieintensiven Betriebe und im Besonderen um den Lebensmittel- und den Automotive-Sektor.
Südtirols Wirtschaft hat viele fette Jahre hinter sich. Sollten die Betriebe somit nicht in der Lage gewesen sein, sich finanzielle Polster zu schaffen, um für schlechtere Zeiten gerüstet zu sein?
Nur beschränkt. Unser Steuersystem ist darauf ausgerichtet, dass das Geld möglichst investiert wird: Man muss ständig investieren, um die Steuerlast niedrig zu halten. Aber in Südtirol gibt es viele traditionsreiche Betriebe, die einen finanziellen Polster haben.
Was ist zu tun, um die aktuellen Krisen zu meistern?
In Europa braucht es einen Gaspreisdeckel. Und ein gemeinsames Auftreten. Es gab während der Pandemie einen Hoffnungsschimmer, als dem pandemiegeplanten Land Italien geholfen wurde und es eine gemeinsame Impfstrategie gab. Jetzt scheint das zu bröckeln: Jedes Land schaut zuerst auf sich. Die Staaten müssen sich zudem schlank aufstellen und den Unternehmen helfen, sonst gibt es danach kein Steueraufkommen mehr. Südtirol hat nur wenige Möglichkeiten, aber diese sind zu nutzen – in diesem Fall die Irap zu senken. Zudem war es wichtig, die Familien zu unterstützen. Genauso muss das Land die Voraussetzungen für leistbares Wohnen schaffen, vor allem für Mietwohnungen.
Dann ist da noch die Bürokratie.
Genau. Es ist auch zu bedenken, dass die öffentliche Verwaltung in Zukunft aufgrund des demografischen Wandels genauso wie die Wirtschaft mit 30 Prozent weniger Personal auskommen muss. Ein banales Beispiel in Bezug auf die Wirtschaft: Morgen wird das Dorfgasthaus auch der Dorfladen und das Postamt samt Paketdienst sein, um die Effizienz zu steigern. Oder die Busse werden wieder zum Postauto, indem sie Post und Pakete mitnehmen. Das ist gleichzeitig nachhaltiger. Die öffentliche Verwaltung wird indes Dienste zusammenlegen und digitalisieren müssen. Ich hoffe, dass dies ein Schwerpunkt der nächsten Regierung in Südtirol sein wird.
DIE SERIE In den kommenden Wochen führt die SWZ Interviews mit den Präsident:innen der Südtiroler Wirtschaftsverbände. Es geht dabei um aktuelle Themen, Problemfelder und Zukunftsaussichten.