Bozen – Arbeitnehmer*innen stellen heute höhere Ansprüche an ihre Arbeitsstelle. Während bis vor einigen Jahren noch vor allem der Lohn ausschlaggebend dafür war, ob eine Person einen Job angenommen hat, wirken sich heute noch weitere Faktoren auf diese Entscheidung aus. Flexibilität, spannende Herausforderungen und nicht zuletzt ein Arbeitsumfeld, in dem sich die Mitarbeiter*innen wohlfühlen, sind ausschlaggebend für deren Bindung an ein Unternehmen. Gerade der letzte Aspekt kann in vielen Branchen von den Arbeitgeber*innen direkt beeinflusst werden – und diese Chance wird auch zunehmend von den Unternehmen genutzt, indem sie Räume oder Zonen schaffen, die darauf abzielen, das Wohlbefinden der Mitarbeiter*innen zu erhöhen.
Trendsetter aus dem Silicon Valley
Der Trend weg von nüchternen Büroräumen und hin zu Arbeitsplätzen mit Wohlfühlfaktor hat seinen Ursprung im Silicon Valley in Kalifornien. In der Heimat zahlreicher Start-up-Firmen und großer Technologieunternehmen entwickelten sich riesige Firmenareale, die eher an ein Ferienresort als einen Betrieb im herkömmlichen Sinn erinnern. Die Areale von Google, Apple, Facebook oder Samsung werden – in Anlehnung an universitäre Gebäudekomplexe – als Campus bezeichnet, und der Belegschaft stehen beispielsweise Beachvolleyball-Anlagen, Zahnartpraxen und Massagestudios zur Verfügung. Wer also bei einem der großen Technologieunternehmen im Silicon Valley arbeitet, braucht seinen Arbeitsplatz kaum mehr zu verlassen. Ein Verschwimmen der Grenzen zwischen Privat- und Berufsleben ist die logische Folge dieses Trends.
Der Trend zu Arbeitsstätten mit Wohlfühlfaktor hat – wenngleich in kleinerem Ausmaß – auch Nachahmer in Südtirol gefunden. Die Full-Service-Marketingagentur Brandnamic beispielsweise nahm sich die Areale der kalifornischen Technologieunternehmen zum Vorbild und schuf ihren eigenen Campus oberhalb von Brixen. Mittlerweile weist das Unternehmen unter anderem mit einem Kino, einem Fitnessstudio, einem Game Room und einem konventionierten Friseursalon eine ganze Reihe sogenannter benefits für die Mitarbeiter*innen auf. „Wir wollen unseren Mitarbeiter*innen einige Herausforderungen aus ihrem Alltag abnehmen. Statt sich in der Mittagspause schnell ein Restaurant suchen zu müssen, können sie in der Firma essen und zusätzlich noch im Fitnessstudio etwas Gutes für ihre Gesundheit tun“, sagt Michael Oberhofer, Mitinhaber und -geschäftsführer von Brandnamic. Ein vollständiges Verschwimmen der Grenzen zwischen Privat- und Berufsleben wie bei den Quartieren der großen Technologieunternehmen will die Marketingagentur allerdings nicht erreichen, denn die Trennung dieser zwei Bereiche sei sehr wichtig.
Platz ist zwar in vielen Unternehmen Mangelware, doch auch die kleinste Ecke kann zu einem gemütlichen Aufenthaltsort umgestaltet werden.
Um Anreize für die Belegschaft schaffen zu können, benötigt ein Unternehmen neben finanziellen auch räumliche Ressourcen, denn Wohlfühlzonen brauchen vor allem eines: Platz. Gerade der ist in vielen Unternehmen Mangelware. Dennoch tendieren immer mehr Südtiroler Firmen dazu, Aufenthaltsräume für ihre Mitarbeiter*innen in einem für sie hinnehmbaren Ausmaß zu schaffen. Das Bozner Unternehmen Somi hatte beispielsweise bis vor Kurzem einen Raum für Schulungen. Dieser wurde Geschäftsführer Igor Menegot zufolge aber kaum für seinen ursprünglichen Zweck genutzt und wurde deshalb zu einem Aufenthaltsraum umgestaltet. Nun können die Mitarbeiter*innen in ihren Pausen Tischtennis, Tischfußball oder Darts spielen, fernsehen, zusammen essen und nach Feierabend an der Bar gemeinsam ein Bier trinken. In nächster Zeit sollen noch einige Fitnessgeräte dazukommen.
Steigerung der Kreativität und Produktivität
Für die einen – die Mitarbeiter*innen – dienen solche Räumlichkeiten primär der Erhöhung des Wohlbefindens am Arbeitsplatz. Sie treffen sich in der Kaffee- oder Mittagspause mit ihren Kolleg*innen an den Rückzugsorten und kehren dann an ihren Arbeitsplatz zurück. Für die anderen – die Arbeitgeber*innen – kann der Austausch, der in diesen Bereichen stattfindet, kurzfristig zum Teambuilding beitragen und langfristig zur Steigerung der Kreativität und der Problemlösungskompetenz des gesamten Kollektivs führen. In den Wohlfühlzonen besprechen die Mitarbeiter*innen neben privaten Angelegenheiten auch ihre Projekte, an denen sie gerade arbeiten, oder Aufgaben, an denen sie tüfteln. Und anhand des Sprichworts „Zwei Köpfe denken besser als einer“ wird der potenzielle Mehrwert solcher Denkerzonen für einen Betrieb deutlich, ungeachtet des vielzitierten Homeoffice-Trends.
Vom positiven Nutzen von Gemeinschaftsbereichen ist auch Hannes Mair, der Projektleiter für Aus- und Umbaumaßnahmen bei ELAS, überzeugt. Das Unternehmen hat vor Kurzem einige Wohlfühlzonen eingerichtet. „Der Wissenstransfer unter den Mitarbeiter*innen ist das A und O für das Funktionieren eines Unternehmens – und der Austausch von Erfahrung findet genau an diesen Orten statt.“ Denn miteinander reden können Mitarbeiter*innen theoretisch auch in Sitzungsräumen oder im eigenen Büro, „doch manchmal braucht es für Ideen einen Tapetenwechsel“, so Mair.
Darüber hinaus kann ein lockeres Ambiente auch zum Abbau von Hürden und Distanz beitragen: „Viele Mitarbeiter*innen sind distanziert und verunsichert, wenn sie in das Chefbüro gerufen werden“, sagt Igor Menegot. „In einer weniger formellen Umgebung, wie etwa beim Tischtennisspielen, ist die Atmosphäre lockerer, und man kann die verschiedensten Dinge besprechen“, sagt er.
Mitarbeiterrekrutierung durch Employer-Branding
Wohlfühlzonen können sich weiters positiv auf die Rekrutierung neuer Mitarbeiter*innen auswirken. „Es ist heute, zugespitzt gesagt, einfacher, Kunden zu bekommen als Mitarbeiter, deshalb ist Employer-Branding mindestens genauso wichtig wie der Umgang mit der Kundschaft“, sagt Michael Oberhofer. Mit Employer-Branding verfolgt ein Unternehmen das Ziel, sich selbst als attraktiven Arbeitgeber darzustellen, indem eine positive Arbeitgebermarke geschaffen wird. Das übergeordnete Ziel dieser Strategie ist es, neue Mitarbeiter*innen anzuwerben und die bestehende Belegschaft langfristig an die Firma zu binden.
Auch Igor Menegot ist vom Anreiz von Wohlfühlzonen für potenzielle Mitarbeiter*innen überzeugt. Sein Betrieb ist in der Branche der Ölhydraulik und -pneumatik tätig: „Als Unternehmen in einem Sektor, der kaum bekannt ist, ist es sehr schwierig, neue Mitarbeiter*innen anzuwerben. Wenn wir es aber schaffen, uns als attraktiver Arbeitgeber zu präsentieren, wird die Rekrutierung neuer Kräfte einfacher“, sagt Menegot. Der Arbeitsplatz kann also zum Aushängeschild am Arbeitsmarkt werden.
Darüber hinaus können sich solche Zonen positiv auf die tägliche Motivation und Arbeitslust auswirken – immerhin verbringen wir im Schnitt etwa 40 Stunden pro Woche an unserer Arbeitsstelle. „Wohlfühlzonen sind für ein Unternehmen eine vorteilbringende Maßnahme, die ohne größeren Aufwand umzusetzen ist“, sagt Hannes Mair. „Allerdings reicht ein Umbau nicht aus, man benötigt für den Zusammenhalt und Teamgeist im Unternehmen auch andere Maßnahmen, wie Seminare fürs Teambuilding oder Konfliktmanagement zum Beispiel“, so Mair.
Die Konzepte der Wohlfühlräume können sich also in vielerlei Hinsicht positiv auf die Belegschaft einer Firma auswirken, vorausgesetzt, dass die Mitarbeiter*innen nicht das Gefühl haben, dass ihr eigener Lohn dafür zurückgeschraubt wird.