Wo die Migranten lernen

Bozen - In den vergangenen Wochen ist wieder einmal die Einwanderungsproblematik entflammt. Über das Einwanderungsgesetz wurde diskutiert, das die SVP in den Landtag bringen will, über mögliche Sprachtests als Voraussetzung für eine Aufenthaltsgenehmigung, über die Sorge der SVP über eine Verschiebung der Sprachgruppenverhältnisse, falls Zuwanderer massiv die italienische Schule besuchen, und über die Herausforderungen, die die Zuwanderung für das Lehrpersonal schafft.Die SWZ hat - als Beitrag zur Diskussion - das Zuwanderungsphänomen mit gezieltem Blick auf Südtirols Schulsystem unter die Lupe genommen und zu diesem Zweck Astat-Statistiken zu den verschiedenen Schulstufen zusammengetragen. Das Ergebnis kann in der Tabelle auf dieser Seite nachgelesen werden und weist je nach Ausbildungsart und Schulstufe beeindruckende Unterschiede beim Ausländeranteil auf. Zwar mögen die Zahlen auf den ersten Blick „alt“ ausschauen, weil sie vom vergangenen Schuljahr stammen, doch hat das Astat die Statistik über die Berufsbildung erst Ende September veröffentlicht; erst mit dieser Statistik ließ sich ein vollständiges Bild über die Zuwanderer in Südtirols Schulsystem zeichnen. Die Abteilung für die deutsche und ladinische Berufsbildung hat der SWZ inzwischen erste (vorläufige) Zahlen zum laufenden Schuljahr vorgelegt, die keine Überraschung bringen: Der Ausländeranteil steigt in diesem Schuljahr unvermindert weiter. Südtirol muss zwingend mit der wachsenden Vielfalt in den Schulbänken fertig werden, ganz egal, wie jemand zum Thema Zuwanderung steht.Apropos Berufsbildung: Sie ist das beste Beispiel, wie vielschichtig das „Ausländerproblem“ ist. Während sich der Ausländeranteil in Südtirols Bevölkerung auf 7,8 Prozent beläuft, kommen die Vollzeitkurse in der Berufsbildung auf einen Ausländeranteil von 10,8 Prozent, während in der Lehrlingsausbildung nur 4,5 Prozent der Auszubildenden keine italienische Staatsbürgerschaft besitzen. Dazu kommt, dass in der Lehrlingsausbildung Deutschland das wichtigste Herkunftsland der „Nicht-italiener“ ist. Die Lehrlingsausbildung bleibt von den Schwierigkeiten, die die Integration von Fremdsprachigen mit sich bringt, also weitgehend verschont. Am höchsten fällt der Zuwandereranteil in den Kindergärten aus (10 Prozent) - die Kindergärten dienen gewissermaßen als Ausblick auf das, was Südtirols Schulsystem in den nächsten Jahren erwartet. An den Grundschulen ist es schon heute so, dass die Schülerzahlen ohne Ausländerkinder noch stärker sinken würden, als sie dies ohnehin schon tun.Die Zuwandererproblematik in der Schule muss also differenziert betrachtet werden, und zwar nicht nur weil die Migrantenanteile je nach Schulart und -stufe variieren, sondern noch aus zwei weiteren Gründen. Erstens: Ausländer ist nicht gleich Ausländer. Zweitens: In der italienischen Schule fällt der Anteil der Zuwandererkinder bedeutend höher aus als in der deutschen und ladinischen.Zum ersten Punkt: Deutsche und Österreicher lassen sich in der deutschen Schule problemlos integrieren, weil keine sprachlichen Verständigungsschwierigkeiten auftreten. Rudolf Meraner, der Direktor des Pädagogischen Instituts, rechnet vor: „Etwa ein Fünftel der Ausländerkinder stammen aus dem deutschsprachigen Ausland.“ Sie sind nicht relevant, was die sprachliche Integration betrifft. Gleichzeitig gibt es Zuwanderer, die inzwischen die italienische Staatsbürgerschaft angenommen haben und in der Statistik somit als Inländer geführt werden, zu Hause aber mit ihren Kindern ausschließlich ihre Muttersprache sprechen. Kurzum: Manchmal fallen die Sprachschwierigkeiten von Ausländern geringer aus als jene von Inländern.Zum zweiten Punkt: Im Vergleich zur italienischen Schule fällt der Zuwandereranteil an den deutschen und ladinischen Schulen beinahe lächerlich aus. An den italienischen Oberschulen beträgt der Zuwandereranteil 14,5 Prozent, an den deutschen Oberschulen hingegen 2,7 Prozent und an den Oberschulen der ladinischen Täler gar nur 1,4 Prozent. An den Mittelschulen belaufen sich die Prozentsätze auf 10,7 (italienisch), 4,5 (deutsch) und 1,7 (ladinisch), an den Grundschulen stehen 18,8 Prozent 4,9 bzw. 2,7 Prozent gegenüber, an den Kindergärten lautet das Verhältnis sogar 21,2 zu 6,8 zu 4,7 Prozent. In absoluten Zahlen gerechnet kommen in der deutschen Schule zwar mehr Migrantenkinder unter, in Prozentzahlen ausgedrückt zeigt sich aber, dass das „Problem“ an der italienischen Schule akuter ist. Allerdings steigt der Ausländeranteil an den deutschen Schulen letzthin schneller - zum einen wohl deshalb, weil die Zuwanderung inzwischen auch die Peripherie betrifft (dort existieren ausschließlich deutsche Schulen), zum anderen, weil sich anscheinend immer mehr Zuwanderer im Wissen um die Wichtigkeit der deutschen Sprache in diesem Land für die deutsche Schule entscheiden. Unterschiede gibt es je nach Herkunft. Rudolf Meraner nennt zwei Beispiele: „Die Chinesen wählen vor allem die italienischen Schulen, Pakistani hingegen drängen stark in die deutsche Schule.“Die Eurac will übrigens im Rahmen des Projektes LinguaInclusion interessierten Lehrkräften praktische Methoden vermitteln, wie sie Migrantenkinder integrieren und sprachlich im Unterricht fördern können. Die Herausforderung ist groß - und wird mit dem steigenden Ausländeranteil noch größer werden. „Man begreift jetzt erst, wie lange ein Kind braucht, eine Sprache zu lernen, und mit welchen konkreten Problemen Kinder konfrontiert sind, deren Sprache einer ganz anderen Sprachfamilie angehört“, wurde Grundschullehrerin Ruth Gatterer kürzlich in einer Eurac-Aussendung zitiert.Christian Pfeifer• christian@swz.itTabelle 1: Die Schuljahre 2005/06 und 2009/10 im VergleichTabelle 2: Das Schuljahr 2009/10 im Überblick

Wo die Migranten lernen

Zuwanderung - Der Ausländeranteil an Südtirols Schulen ist höchst unterschiedlich - entsprechend vielschichtig ist die Problematik

Südtiroler Wirtschaftszeitung

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