Bozen – Seit der Forstwirt und Forscher Christian Hoffmann vor gut vier Jahren – vor der Pandemie! – zum ersten Mal in seiner Küche selber Bier braute, ist er vom Ergebnis durchgehend positiv überrascht. „Interessanterweise ist der Unterschied zum herkömmlichen, industriell gebrauten Bier wirklich ganz eklatant, es ist vollmundiger und hat auch nicht den herben Abgang der Industriebiere.“ Sein Forscherkollege Frank Maixner, ein Mikrobiologe, der als Bayer über natürliche Autorität auf dem Gebiet verfügt und Hoffmanns Selbstgebrautes schon öfter probiert hat, pflichtet bei: „Die Haptik ist nicht zu vergleichen – man beißt da fast in den Schaum rein, es kommt fast dem Essen gleich. Ein ganz anderes Erlebnis.“ Maixner hat mit Hoffmanns Anlage auch selber einmal einen Brauversuch unternommen: Er endete in einer kleinen Explosion im Keller, worauf kein zweiter folgte; Bier zu genießen, reicht ihm völlig, hat Maixner erkannt. Hoffmann braut vier Mal im Jahr in der Küche Doppelmalzbier. Beide Forscher werfen beim Beer Craft Festival am 19. und 20. Mai in Bozen einen wissenschaftlichen Blick auf das Bier und seine Produktion.
Getreideanbau und eine Mälzerei: Chancen für Südtirol?
Hoffmanns Perspektive ist dabei die des Regionalentwicklers, der sich insbesondere mit nachhaltigen Wertschöpfungsketten befasst. Schon die Erfahrung des Hobbybrauers ist da frustrierend: „Man bestellt bei einer Vertriebsfirma Biogerste, und wenn sie ankommt, sieht man: Sie ist aus Belgien. Das Primärprodukt wird also durch ganz Europa gekarrt, dabei könnte es fast überall angebaut werden.“
Eine Mälzerei in Südtirol käme auch den kleinen Brauereien im Trentino und Venetien gelegen.
In Südtirol wird heute generell kaum Getreide angebaut, und Forscher:innen wie Umweltschützer:innen plädieren seit Langem dafür, diesen Zustand zu ändern: Getreidefelder sind wertvoll als Lebensraum vieler Arten, für die Bodenqualität und die Ernährung; auch das Landschaftsbild würde an Vielfalt gewinnen. Durch Initiativen wie das „Regiokorn“-Projekt, das ein Netzwerk zwischen landwirtschaftlichen Betrieben, Mühlen und Bäckereien knüpft, haben die Getreideanbauflächen in den letzten Jahren zwar etwas zugenommen, man liegt aber immer noch nur bei 400 Hektar (auf 18.400 Hektar wachsen Äpfel). Gerste wird gar nur auf etwa acht Hektar angebaut – „Versuchsflächen“, sagt Hoffmann. Die lebendige Bierkultur, von der die zahlreichen Südtiroler Handwerksbrauereien zeugen, könnte ein starker motivierender Faktor für den heimischen Gerstenanbau sein – vor allem, wenn noch ein wichtiges Glied dazukäme, erklärt Hoffmann: eine Mälzerei. Vor dem Brauen steht nämlich das Mälzen: ein technisch aufwendiger Prozess, bei dem das Getreide zuerst zum Keimen gebracht und dann gedarrt (geröstet) wird, damit beim Maischen die Stärke des Gerstenkorns leichter zu vergärbarem Zucker abgebaut werden kann. In Italien gibt es derzeit nur wenige große Mälzereien, die nördlichste in Ancona. Die nächsten für Südtirol sind in Bayern oder Salzburg. Eine Mälzerei in der Provinz käme sicher auch den kleinen Brauereien im Trentino und in Venetien gelegen, die dort in den vergangenen Jahren in großer Zahl entstanden.
Südtirol war schon einmal dort, wo es jetzt hinwill
Am landwirtschaftlichen Versuchszentrum Laimburg wurden bereits Untersuchungen gemacht, welches Potenzial es gibt und ab welcher Größenordnung es sich wirtschaftlich lohnen würde. Eine Möglichkeit könnte sein, die Mälzerei als Genossenschaft zu organisieren, nach dem Muster des Apfelanbaus. Das große Ziel sei eine geschlossene Wertschöpfungskette von der Aussaat bis zum Zapfhahn, erklärt Hoffmann, der als Bier-Enthusiast über die Braukultur im alten Ägypten ebenso Bescheid weiß wie über spontan vergorene belgische Lambic-Biere, den als Regionalentwickler das Produkt Bier aber vor allem unter einem Gesichtspunkt begeistert: als möglicher Keim einer positiven Transformation, die weit über die Getränkekarten hinausgeht.
In gewisser Weise war man schon einmal dort, wo man jetzt wieder hinwill: Bis in die Zwanzigerjahre des 20. Jahrhunderts wurde in Südtirol Getreide in großem Stil angebaut, und allerorts gab es Brauereien. Ein verlässlicher Getreidenachschub war die Voraussetzung, dass Menschen vor etwa 9.000 Jahren beginnen konnten, Bier herzustellen, wobei lange im Vordergrund stand, auf angenehme und sichere – die Fermentierung reinigt kontaminiertes Wasser – Weise den Durst zu löschen; auch war Bier ein wichtiger Nährstofflieferant. Beim Pyramidenbau in Ägypten erhielt jeder Arbeiter eine Tagesration von vier bis fünf Litern; ohne ausreichend Bier wären die gigantischen Bauwerke womöglich nie fertig geworden, hat ein Gelehrter in dem Feld suggeriert.
Was das Bier mit dem Salzabbau zu tun hat
Frank Maixner ist weit davon entfernt, den Salzabbau im eisenzeitlichen Bergwerk in Hallstatt in einen ähnlich engen Zusammenhang mit dem Biernachschub zu bringen. Doch dass die Bergleute Bier konsumierten (und Blauschimmelkäse), zeigte der Mikrobiologe 2021 in einer gemeinsamen Studie mit einem Archäologenteam des Naturgeschichtlichen Museums Wien, die weltweit für Schlagzeilen sorgte. Nicht nur die Hochkulturen kannten raffinierte Nahrungsverarbeitung! „Dass im Europa jener Zeit eine Gemeinschaft die Technik der Fermentierung einsetzte, um Lebensmittel haltbarer zu machen und zu verändern: Das war schon sehr überraschend“, sagt Maixner. Archäobotanikern und -botanikerinnen zufolge kannte man im prähistorischen Europa auch schon die Praxis des Mälzens.
Maixners Team wies den Bierkonsum allerdings vom Ende her nach: In fossilisierten Exkrementen – die Bergleute verrichteten ihre Notdurft im Stollen und das Salz hatte eine wunderbar konservierende Wirkung – fanden sie Genmaterial von „Saccharomyces cerevisiae“, einer noch heute in der Fermentierung alkoholischer Getränke verwendeten Hefe. Dass auch die Bergleute den Pilz schon verwendeten, zeigt sein von den Forschern fast vollständig rekonstruiertes Genom, wie Maixner erklärt: „Man hat offensichtlich Stämme kultiviert – etwa, indem man vom Sud eines Braugangs jeweils ein wenig aufhob und beim nächsten wieder dazugab, oder indem man die immer gleichen Gefäße gebrauchte. So erhielt man eine Hefe, die immer besser für den Gärprozess geeignet war.“ Das Bier war also nicht das Resultat spontaner Gärung, wie sie die praktisch überall vorkommenden Hefepilze in der Natur ständig auslösen. In Hallstatt wurde kontrolliert gebraut. „Das Wissen um das Wiederverwenden der Hefe war vorhanden“, sagt Maixner. Wie in vielen anderen Dingen hatte der Mensch eine Methode entdeckt, die funktionierte, ohne zu verstehen, warum sie es tat – das würde man erst im 19. Jahrhundert herausfinden. Wegen dieser Domestizierung zum Zweck des Brauens oder Backens wird Hefe manchmal „das älteste Haustier der Menschheit“ genannt.
Der „Hefejäger“ Matthias Hutzler
Und so, wie wir andere Nutztiere für unsere Zwecke optimiert haben, so werden im modernen Brauwesen heute hauptsächlich Hefe-Hochleistungsstämme eingesetzt – mit dem Ergebnis relativer Monotonie in den Fässern und Flaschen. Denn Hefepilze verursachen nicht nur die alkoholische Gärung im Bier, sie bestimmen auch den Großteil des Aromas. Hier wieder mehr Vielfalt möglich zu machen, ist ein Ziel des „Hefejägers“ Matthias Hutzler. Hutzler ist Getränkemikrobiologe und Leiter des Hefezentrums am Forschungszentrum Weihenstephan der Technischen Universität München, und gerade hat er Licht in einen wichtigen Abschnitt der modernen Biergeschichte gebracht: Mit einem Forschungsteam ist es ihm gelungen, die Entwicklung der erfolgreichsten Brauhefespezies aller Zeiten zu rekonstruieren, sozusagen den Ursprung von Lager und Pils zu entdecken. Die Hefejagd auf der Suche nach neuen, zum Brauen geeigneten Stämmen führt Hutzler und sein Team oft in stillgelegte frühere Gärkeller, wo sie Ablagerungen von Wänden oder Utensilien schaben und manchmal sogar ungeöffnete oder nur halb ausgetrunkene, jahrzehntealte Flaschen finden. Mit einer Hefe aus einer 80 Jahre alten Flasche haben sie in der Weihenstephaner Versuchsbrauerei ein Bierrezept von Anfang des 14. Jahrhunderts nachgebraut.
Hefepilze verursachen nicht nur die alkoholische Gärung im Bier, sie bestimmen auch den Großteil des Aromas.
Auch in der Natur fahndet Hutzler nach Hefen, die gutes Bier machen, wobei besondere Aufmerksamkeit Pflanzen gilt, die den Germanen und Kelten heilig waren, denn Teile von ihnen wurden oft verwendet, um den Gärprozess in Gang zu setzen. Die Eiche ist so ein Baum – und aus Eichenrinde isolierten die Weihenstephaner Wissenschaftler:innen eine Hefe, die nun im Sortiment des Hefezentrums unter dem Namen „Quercus“ geführt wird. Wer ein Bier brauen möchte, das fruchtig und nach einer „Spur Orangennote verbunden mit leichter Nelke“ schmeckt, kann sie erwerben, so wie alle anderen Hefen des Zentrums.
Vor einiger Zeit hat Hutzler mit Wissenschaftlerkollegen und -kolleginnen in Weihenstephan den neuen Forschungszweig Archeo-Fermentierung ins Leben gerufen: Dabei versuchen die Forscher:innen, aus dem innersten Kern archäologischer Artefakte Mikroben zu isolieren. „Römische Scherben sind das Paradebeispiel: Diese Gefäße saugen sich durch und durch mit Flüssigkeit voll, und falls Wein oder Bier darin aufbewahrt wurde, könnte sein, dass wir Hefen finden.“
In dieser Richtung möchte auch Frank Maixner die Hallstatter Untersuchungen noch weiterführen, denn die Wiener Archäologen und Archäologinnen haben ein Gefäß identifiziert, das die Bergleute wahrscheinlich zum Brauen verwendeten. Hutzler, vom Nachweis eisenzeitlicher Hefe „absolut fasziniert“, hält solche Untersuchungen für vielversprechend: Wenn Mikroben irgendwo außerordentlich lange überleben können, dann unter Bedingungen wie in Hallstatt. „Bei dem hohem Salzgehalt und einer über Jahrtausende konstanten Temperatur und Luftfeuchtigkeit kann es schon sein, dass Hefesporen sehr, sehr lange überdauern.“ Womöglich gelingt es also, ein Hallstatt-Bier wiederauferstehen zu lassen? „Das wäre natürlich ein Traum“, sagt Hutzler. In Bozen wollen er und Maixner jedenfalls eingehend eine mögliche Zusammenarbeit besprechen. Vielleicht bei einem Bier.
Barbara Baumgartner
DIE AUTORIN ist Mitarbeiterin der Wissenschaftskommunikation bei Eurac Research in Bozen.
INFO Am 19. und 20. Mai findet auf Schloss Maretsch zum siebten Mal das International Craft Beer Meeting statt. Es bietet die Möglichkeit zum Verkosten, aber auch zwei Workshops mit dem Regionalentwicklungsexperten Christian Hoffmann und den Mikrobiologen Frank Maixner und Matthias Hutzler.