Bozen – Wo steht Südtirol heute wirtschaftlich? Liegen wir mit unserer Wirtschaftsleistung über dem Niveau von 2008 – oder haben wir das Vorkrisenniveau nicht wieder erreicht? Wer könnte eine fundierte Antwort auf solche Fragen geben, wenn nicht das Landesinstitut für Statistik? Aufgrund der Tatsache, dass im jüngsten ISTAT-Bericht über die BIP-Entwicklung im Jahr 2014 für Südtirol eine Abnahme um 0,6 Prozent ausgewiesen ist, hat sich die SWZ mit der Bitte an das ASTAT gewandt, einen Überblick über die aktuelle Lage zu geben. Die ASTAT-Leitung hat diesem Wunsch entsprochen und Timon Gärtner mit der Erhebung und Aufbereitung dieser allgemein nützlichen Daten beauftragt. Sein Bericht und die diesbezüglichen Grafiken (siehe Seite 7) liegen nun vor, wir haben lediglich die Inhalte neu gewichtet und leicht ergänzt.
Im Jahr 2009 hat auch Südtirol einen merklichen Wirtschaftseinbruch erlebt. Das BIP ging um 2,1% zurück, sehr viel weniger als auf gesamtitalienischer Ebene, aber auch deutlich weniger, als das ASTAT ursprünglich laut ersten Indikatoren angenommen hatte. Dem Einbruch folgte aber eine unerwartet rasche Erholung (+3,1% im Jahr 2010!). Kurz darauf stellten 2011 die Schuldenkrise im Euroraum und die scharfe Fokussierung auf Italien (Stichwort Spread) eine wirtschaftliche Bedrohung dar. Südtirol konnte jedoch 2011 und 2012 weiterhin ein positives BIP-Wachstum registrieren, allerdings mit merklicher Abwärtstendenz. Für 2013 und 2014 stehen noch keine definitiven Daten bereit, aber gemäß den jüngsten Berechnungen und Schätzungen zeichnet sich für Südtirol 2013 eine Stagnation ab, während die Wirtschaftsleistung 2014 unerwartet deutlich um 0,6% Prozent geschrumpft ist. Insgesamt ist die Südtiroler Wirtschaft relativ gut durch die letzten, krisengeprägten Jahre gekommen. Das Vorkrisenniveau des BIP aus dem Jahre 2008 (17,77 Milliarden) wurde 2014 mit nominal etwa 20,60 Milliarden um gut 2,8 Milliarden übertroffen. Das reale Wachstum (nominales Wachstum minus Preissteigerung) in diesen sechs Jahren beträgt vier Prozent. Zum Vergleich: Italien lag 2014 real um etwa acht Prozent unter dem Stand von 2008.
Allerdings darf die Wirtschaftsleistung nicht losgelöst von der Bevölkerungsentwicklung betrachtet werden, denn es ist ein Unterschied, ob eine bestimmte Menge an Gütern und Dienstleistungen von beispielsweise 490.000 oder von 510.000 Menschen erzeugt wird. Eine entscheidende Größe zur Beurteilung der Wirtschaftsleistung und der Wohlstandsentwicklung ist das BIP-Wachstum pro Kopf. Das BIP pro Kopf liefert allerdings nur einen Durchschnittswert und sagt nichts über die Verteilung aus. Südtirol weist mit 39.894 Euro je Einwohner im Jahr 2014 den höchsten Wert unter den Regionen in Italien auf und liegt EU-weit auf dem 21. Rang von 273 Regionen (2013).
Aber ein Kuchen, der größer wird, ist für den Einzelnen nicht unbedingt von Nutzen, wenn dieser Kuchen entsprechend auf mehr Köpfe verteilt werden muss. Generell hat ein Wachstum der Bevölkerungszahl zwei Effekte: Einerseits wird das BIP-Wachstum durch höhere Konsumausgaben erhöht, andererseits bedeutet dies jedoch, dass sich die Wirtschaftsleistung auf mehr Personen verteilt. Berücksichtigt man das durch einen leichten Geburtenüberschuss und eine starke Zuwanderung bedingte Bevölkerungswachstum der letzten Jahre (durchschnittlich etwa 1% pro Jahr im Zeitraum 2004 bis 2014), zeigt sich, dass das das BIP-Wachstum stärker vom Bevölkerungswachstum getrieben war, als von einem Wachstum pro Kopf. Das BIP-Wachstum pro Kopf betrug von 2004 bis 2014 durchschnittlich 0,4% und liegt damit unter der Wachstumsrate der Bevölkerung. In den Krisenjahren (2008 bis 2014) wurde in Südtirol ein Rückgang des BIP pro Kopf um 0,2 Prozent verzeichnet.
Für das jetzt zu Ende gehende Jahr 2015 liegen Schätzungen vor, die sich auf zentrale volkswirtschaftlich relevante Zahlen stützen wie etwa die Entwicklung der Exporte, die touristischen Nächtigungszahlen, den Energieverbrauch und andere. Diese lassen den Schluss zu, dass es ein Wachstum gibt, das über dem gesamtitalienischen Schnitt von 0,7 Prozent liegt.