Bozen – „Europa verliert seit geraumer Zeit immer mehr den Anschluss an die internationale wirtschaftliche Entwicklung“, schreibt die Handelskammer Bozen in einer Aussendung. Die USA, China sowie zunehmend auch Indien würden Europa bei den innovativen Technologien, bei der Forschungsleistung der Universitäten und bei der Attraktivität als Wirtschaftsstandort insgesamt überholen. Dafür mitverantwortlich sei der unvollendete EU-Binnenmarkt, der gerade für kleine und mittlere Unternehmen – auch in Südtirol – immer noch unzählige Hürden aufweise und dadurch sein enormes Potential nicht ausschöpfen könne.
Der IW-Standortindex
Die Handelskammer verweist auf den IW_Standortindex: Demnach rangieren viele EU-Länder im internationalen Vergleich von Industriestandorten auf den hinteren Rängen. Italien liege auf dem 26. Platz von 45 Industrie- und Schwellenländern und damit weit entfernt von der führenden Schweiz und den zweitplatzierten USA. Nur vier EU-Staaten (Niederlande, Deutschland, Dänemark und Schweden) schafften es 2019 unter die ersten zehn Plätze des Rankings. Dieser von IW-Consult berechnete Index bewertet Standortfaktoren wie Rechtssicherheit, Korruption, Arbeitsmarktregulierung, Infrastruktur, vorhandenes Humankapital, Kosten usw. aus der Sicht der Investitionsentscheidungen von Industrieunternehmen, schreibt die Handelskammer.
Das BIP-Wachstum der Europäischen Union liege in den letzten Jahren im Schnitt unter jenem der USA und von China. Was die Bruttoinvestitionen betreffe, so habe China seinen Anteil über die Jahre ständig ausgebaut. Auch bezüglich der Forschungsleistung könne Europa mit den Spitzenuniversitäten nicht mithalten. Auf Europa entfallen nur mehr 18 Prozent der weltweiten Patentanmeldungen.
Der unvollendete Binnenmarkt
Der Europäische Binnenmarkt wurde 1993 gegründet, um den Wirtschaftsstandort Europa gegenüber der weltweiten Konkurrenz zu stärken. Allerdings ist der Binnenmarkt noch bei weitem nicht vollendet, schreibt die Handelskammer. So gebe es immer noch keinen gemeinsamen europäischen Kapitalmarkt und noch immer würden unzählige Handelshürden und fehlende einheitliche Standards den Handel innerhalb der EU hemmen. Auch bei anderen Themen, die für die künftige Wettbewerbsfähigkeit seiner Wirtschaft entscheidend sind, wie Digitalisierung und künstliche Intelligenz, Cybersicherheit und die Versorgung mit Rohstoffen und Batteriekapazitäten zur Unterstützung des ökologischen Übergangs, scheine Europa im Rückstand zu sein.
Diese Faktoren seien auch für viele Südtiroler Unternehmen eine Belastung. „Ein wesentlicher Pfeiler des EU-Binnenmarktes ist der freie Warenverkehr. Die vielen Hindernisse für den Güterverkehr auf der Brennerroute machen deutlich, dass die EU aktiv werden muss, damit das Potential des Binnenmarktes voll ausgeschöpft werden kann. Nur so kann Europa seine wirtschaftliche Stellung in der Welt verteidigen“, ist Handelskammerpräsident Michl Ebner überzeugt.