Bozen – Wie steht es um den sozialen Umgang am Arbeitsplatz in den Südtiroler Unternehmen und Organisationen? Helfen Führungskräfte und Mitarbeitende in den Betrieben einander? In welchem Ausmaß kommt es bei der Arbeit zu Diskriminierungen, Benachteiligungen und Mobbing? Diese Fragen beantwortet das Arbeitsförderungsinstitut Afi in einem aktuellen Bericht. Er ist Teil einer Euregio-Studie zu den Arbeitsbedingungen von Eurofound (EWCS) in Südtirol, Tirol und dem Trentino.
Führungskräfte und Mitarbeitende helfen einander in allen Branchen
Gemessen auf einer Skala von 0 bis 100 ist die Hilfsbereitschaft am Arbeitsplatz in Südtirol in allen Branchen gleich stark ausgeprägt und liegt im Branchenschnitt fast genau auf dem EU-Niveau von 77 Punkten. Die Handwerker:innen helfen einander am öftesten (84 Punkte). Dienstleistungsberufe und Verkäufer sind mit 79 Punkten an zweiter Stelle, darauf folgen die akademischen Berufe mit 77 Punkten an dritter Stelle.
Schädliche Verhaltensweisen: Nicht nur aufgrund von Führungskräften und Teammitgliedern
„Unter dem Schlagwort Diskriminierung werden sozial schädliche Verhaltensweisen wie Beleidigungen, Bedrohungen, unerwünschte sexuelle Annäherungsversuche bis hin zu Mobbing und Gewalt verstanden. Ausgehen können diese von Vorgesetzten oder Arbeitskollegen, aber auch von den „Endnutzern“, spricht Kunden, Schülern, Patienten“, erläutert Afi-Arbeitspsychologe Tobias Hölbling. Es sei folglich nicht verwunderlich, dass Beschäftigte in Branchen, in denen der Kundenkontakt unabdingbar ist und es um ernste Angelegenheiten geht, mit aggressiven Verhaltensweisen öfter konfrontiert sind als andere, in denen Kundenkontakt nicht in diesem Ausmaß und nicht unter diesen Vorzeichen stattfindet. Weitere Risikofaktoren für aggressives Verhalten am Arbeitsplatz sind eine knappe Personaldecke, große Arbeitsmengen und viel direkte Verantwortung Einzelner bei weitgehend unstrukturierten und oft auch unplanbaren Arbeitsaufgaben. Der unter diesen Arbeitsbedingungen entstehende Druck wird nicht selten an Arbeitskollegen weitergegeben und kann im Extremfall Mobbing begünstigen.
Besonders alarmierend sind die Werte im Gesundheits- und Sozialwesen, wo all diese Schwierigkeiten zusammenlaufen. Weil der Kundenkontakt im dort deutlich schwieriger als in anderen Bereichen und der Arbeitsdruck gleichzeitig hoch ist, gibt ein Fünftel (20 Prozent) der Gesundheits- und Sozialbediensteten an, im Monat/Jahr vor der Befragung von Kolleginnen und Kollegen, Führungskräften und Kundschaft/Patientinnen und Patienten schon mal aggressiv angegangen worden zu sein – ein deutlicher Unterschied zur nächstfolgenden Branche Hotellerie und Gastronomie mit neun Prozent.
Worin liegt die Ursache für die regionalen Unterschiede innerhalb der Europaregion?
Grundsätzlich ordnet sich Südtirol im Europaregionsvergleich stets zwischen dem Bundesland Tirol und dem Trentino ein. Nord- und Osttirol meldet meist mehr Diskriminierungen, das Trentino hingegen immer deutlich weniger. Zu diesen Ergebnissen gibt es mehrere Hypothesen:
- Die erste ist, dass es tatsächliche reale Unterschiede bei den sozialen Verhaltensweisen gibt. Demzufolge würden in der Nord- und Osttiroler Arbeitswelt allgemein ruppigere Sitten und ein rauerer Umgangston herrschen als in Südtirol oder dem Trentino, was sich entsprechend auf die Bewertung niederschlagen würde.
- Die zweite Hypothese ist, dass die Beschäftigten im Bundesland Tirol sensibler für das Thema sind und daher Beleidigungen und Belästigungen verschiedener Art als wesentlich nennenswertes Problem wahrnehmen und solche Episoden häufiger melden.
Prävention als Schlüssel
Besonders in Anbetracht des zunehmenden Wettbewerbs um Fachkräfte und der umliegenden wirtschaftsstarken und gleichsprachigen Nachbarländer ist es wichtig, dass Südtiroler Unternehmen und Organisationen die Arbeitsbedingungen ihrer Beschäftigten verbessern. Ein genaueres Hinschauen und Lernen von Branchen, die es bereits besser machen, können hierbei von großem Nutzen sein.
Es ist entscheidend, dass Unternehmen und Organisationen angemessen auf solche Herausforderungen reagieren. Sowohl Verhaltens- als auch Verhältnisprävention spielen hierbei eine wichtige Rolle. Durch ein durchdachtes Beschwerdemanagement und Mitarbeiterschulungen können negative Erfahrungen am Arbeitsplatz besser bewältigt werden. Gleichzeitig sind eine angemessene Personalstärke und klare Verantwortungsstrukturen notwendig, um Druck und Frustration zu vermeiden, die sich sonst in Form von Mobbing und Schikane entladen können.
Der AFI-Zoom Nr. 77 „EWCS Europaregion. Branchenbericht: Sozialer Umgang am Arbeitsplatz in Südtirol“ steht hier zum Download bereit.