SWZ: Herr Professor Steyrer, „die einen machen Karriere, die anderen die Arbeit!“, wird zuweilen festgestellt. Haben jene, die sich frustriert so äußern, weil das mit dem beruflichen Vorankommen nicht so recht klappt, etwas versäumt?
Johannes Steyrer: Sie haben versäumt, sich wirklich mit den Bedingungen des beruflichen Aufstiegs vertraut zu machen. Denn neben einer starken Leistung gehört dazu nun einmal, sich ins rechte Licht zu rücken, sich ins Gespräch zu bringen, auf sich aufmerksam zu machen. Eine klassische Studie dazu stammt vom amerikanischen Managementforscher Fred Luthans aus den 1980er-Jahren. Er untersuchte Unterschiede zwischen Managern, die in der Hierarchie aufgestiegen sind und erfolgreich Karriere gemacht haben, und solchen, die, gemessen an ihrer qualitativen wie quantitativen Leistung sowie der Zufriedenheit ihrer Mitarbeiter besonders effektiv waren, aber es nicht so weit nach oben geschafft haben. Seine Erkenntnisse legen eine gewisse Distanz gegenüber der Vorstellung nahe, der zufolge Beförderungen primär aufgrund von Leistungen erfolgen. Die effektiven Manager verbrachten elf Prozent ihrer Zeit mit Netzwerkpflege, die erfolgreichen Aufsteiger hingegen 48 Prozent. Das bestätigt ein altes Wissen: Vitamin B ist mindestens so wichtig, wenn nicht noch wichtiger, als ein solider Leistungsausweis.
Und was sagen die Forschungen Ihres Hauses zu dieser Erkenntnis?
Unsere eigene aktuelle Forschung untersuchte drei Kohorten von Wirtschaftshochschulabsolventen mit Studienabschluss um 1970, 1990 und 2000, wobei jeweils die ersten zehn Karrierejahre betrachtet werden. Konkret wurden die Zusammenhänge des Einkommens mit wahrgenommener Förderung durch einflussreiche Personen einerseits, sowie mit berufsbezogenen Persönlichkeitsmerkmalen wie Leistungs- und Führungsmotivation, Flexibilität und Teamfähigkeit andererseits, und mit der durchschnittlichen tatsächlichen Wochenarbeitszeit untersucht. Bei einer Analyse aller drei Kohorten zusammen scheint die Förderung durch einflussreiche Personen für das Fortkommen zumindest so viel Bedeutung wie die richtige Karrierepersönlichkeit zu haben – also flexibel sowie leistungs- und führungsmotiviert zu sein – und kaum weniger als die geleistete Arbeitszeit. Schaut man sich Unterschiede in den drei Kohorten an, dann zeigt sich, dass bei den jüngeren Kohorten die Bedeutung wohlwollender und mächtiger Mentoren für die eigene Karriere leicht zunimmt.
Übersetzt in die Realisierungsbedingungen für den Karrierewunsch, kommt es mithin worauf an?
Wahrscheinlich zunächst einmal auf das richtige soziale Netzwerk. Und dabei liegt die Betonung auf „das richtige“. Dabei gibt es Folgendes zu bedenken und zu beherzigen: Wir treffen bevorzugt Menschen, die uns im Hinblick auf Einstellung, Herkunft, Profession und so weiter ähnlich sind. Und das ist unter strategischen Netzwerkgesichtspunkten kontraproduktiv. Worauf beim Karrierewunsch das Augenmerk zu richten ist, sind nichtredundante, also über das Gewohnte hinausgehende Beziehungen zu einem Cluster einflussreicher Personen und Cliquen. Erfolgreiche Netzwerker verknüpfen also soziale Felder, die keine Schnittmengen aufweisen. Für jüngere Menschen sind es die Mentoren-Beziehungen, die entscheidend sind. Ohne einen Förderer wird es schwer, in komplexen Organisationen nach oben zu kommen. Und schließlich kommt dann auch noch eine gehörige Portion Glück dazu. Nämlich das Glück, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein.
Weshalb reichen erwiesene Kompetenz und Tüchtigkeit als Empfehlung für eine Beförderung eigentlich nicht aus?
Weil es sich dabei wie erwähnt um eine Conditio sine qua non handelt, um eine schlicht notwendige Bedingung, ohne die eine Karriere kaum ins Rollen kommt. Es gibt viele, die ihre Ziele stets sauber erreichen, aber dennoch nicht nach oben kommen, weil sie nicht bedenken, dass die Münze „Karriere“ zwei Seiten hat. Allerdings dürfen wir in diesem Zusammenhang aber auch nicht vergessen, dass es auch zahlreiche Menschen gibt, die im landläufigen Sinn gar nicht nach oben kommen wollen, die glücklich und zufrieden sind, wenn sie in Ruhe das erledigen können, was zu erledigen ist. Viele bevorzugen daher auch eine Fach- gegenüber einer Führungskarriere. Sie sind dann meist hoch geachtete Spezialisten, bleiben aber am Platz hängen, weil die Firma von diesen Kompetenzen abhängig ist. So eine Nische hat jedoch nicht nur Nachteile. Mit Geschick kann man sich darin auch gut einrichten.
Wer sich geschickt darzustellen und zu verhalten weiß, gilt mehr als der kompetente, konsequente Arbeiter. Ist das im Grunde nicht eine erstaunliche Tatsache?
Nicht wirklich! Schauen Sie sich doch um in Ihrem eigenen Umfeld. Wer steht klar im Vordergrund bei allen Ereignissen? Die geschickten Selbstdarsteller! Und genauso ist es in Sachen Karriere. Wer weiterkommen möchte, darf sein Licht nicht unter den Scheffel stellen. Der schöne alte Satz „Ohne Fleiß kein Preis“ ist sehr, sehr doppelbödig. Ernsthaft: Es gibt dazu ein psychologisches Konzept, das auf den Harvard-Psychologen Professor Mark Snyder zurückgeht und Self-Monitoring genannt wird. Es geht dabei darum, in welchem Ausmaß eine Person ihr Verhalten an die Anforderungen spezifischer Kontexte anzupassen imstande ist, um einen guten Eindruck zu hinterlassen. Und das besagt in der Quintessenz, dass Menschen in einer Welt permanenter Informationsüberflutung schlicht und einfach übersehen werden, wenn sie nicht imstande sind, auf sich aufmerksam zu machen. Die Forschung zeigt, dass Menschen mit einem starken Self-Monitoring in der Tat schneller Karriere machen. Sie sind flexibler in ihrem Verhalten und anpassungsfähiger. Das Dumme an der Sache ist nur: Sie weisen eine niedrigere Einstellungskonsistenz auf, sprich, sie sind irgendwie menschliche Chamäleons.
Professor Steyrer, was Sie hier erläutern, wurde früher informelle Beziehungspflege genannt, heißt heute Mikropolitik und ist mit einem anderen Wort Lobbyarbeit in eigener Sache. Wie wird man denn nun ein wirkungsvoller Lobbyist?
Na ja, da muss man jetzt sehr aufpassen, weil der Eindruck entsteht, dass es die strategischen Netzwerker sind, die primär nach oben kommen, also die, die anpassungsfähig sowie selbstdarstellungsflexibel sind, geschickt auf sich aufmerksam machen und die einen gehörigen Schuss Egoismus aufweisen. Adam Grant, Professor für Organisationspsychologie an der berühmten Wharton Business School der University of Pennsylvania, hat in seinem Buch „Give and Take“ den aktuellen Forschungsstand aufgearbeitet. Er unterscheidet drei Typen, nämlich
1. die Nehmenden, Charaktere, die aus Beziehungen mehr herauszuholen suchen, als sie selbst investieren,
2. die Vergleichenden, Menschen, die sowohl berechnend als auch bereit sind zu geben, wenn dafür eine Gegenleistung winkt (die meisten fallen in diese Gruppe) und
3. die Gebenden, Personen, denen es darum geht, anderen relativ selbstlos zu helfen, deren Wünsche und Bedürfnisse zu erfüllen, ohne unmittelbar eine Gegenleistung zu erwarten.
Als hätten wir es nicht geahnt: Ganz unten auf der Karriereleiter finden sich die Gebenden: Wer zu allen lieb und nett ist, kommt nicht nach oben! Auf der mittleren Stufe tummeln sich die Nehmenden und Vergleichenden. Interessant ist allerdings, dass sich an der Spitze wieder häufig Gebende finden. Nun stellt sich natürlich die Frage, was die Gebenden ganz unten von denen ganz oben unterscheidet. Gebende in Spitzenpositionen geben wenig oder gar nichts, wenn sie ihre individuelle Zielerreichung gefährden. Das schützt vor Selbstausbeutung. Sie sind altruistisch, solange sie sich nicht selbst schaden. Vergleichende sind hingegen altruistisch, wenn eine Gegenleistung erwartet wird. Das trennt die Spreu vom Weizen.
Info
Zur Person
Johannes Steyrer hat Soziologie und Betriebswirtschaftslehre in Wien studiert, war dann in den Bereichen Strategie- und Organisationsentwicklung in der Unternehmensberatung tätig, ist Psychotherapeut, Management-Coach und -Trainer und a.o. Universitätsprofessor an der Interdisziplinären Abteilung für Verhaltenswissenschaftlich Orientiertes Management an der Wirtschaftsuniversität Wien.