Bozen – „Wo die Zeit still steht.“ So wird das historische Haus in der Altstadt von Bozen im Internet beworben. Seit 1913 prägt das „Stadt Hotel Città“ mit seiner rosa Fassade den Waltherplatz. Äußerlich hat sich in über hundert Jahren kaum etwas verändert. Im Hotel selbst aber ist ein Mann am Werk, für den Stillstand ein Fremdwort ist. Vor gut einem Jahr hat Robert Wieser das Management im Città, wie es meist nur genannt wird, übernommen. Von vielen unbemerkt übt er seither den für ihn „schönsten Job der Welt“ aus – mit Herzblut und einer Philosophie, die ihm seine Mutter mitgegeben hat.
Liebe auf den zweiten Blick
Eigentlich wollte Robert Wieser seiner Liebe zu Autos und Maschinen folgen, Mechaniker werden, zum Beispiel. „Wenn ich ehrlich sein muss: Ich habe den Job gehasst.“ Der Job, von dem Wieser spricht, ist das Beherbergen und Bewirten von Gästen, mit dem er aufgewachsen ist. In St. Kassian in Badia/Abtei eröffneten seine Eltern 1964 das Hotel „Ciasa Salares“. Pauli Wieser und Hilda Pizzinini gelten als Pioniere des Tourismus im Gadertal und darüber hinaus. Schon als Kinder wurden Wieser und seine Geschwister im Betrieb eingespannt, bis zur Volljährigkeit hatte er von Küche und Bar bis zur Rezeption alle Tätigkeiten kennen-, aber nicht liebengelernt. „Erst mit 17 Jahren hat es klick gemacht“, erinnert er sich, „und zwar, als ich begonnen habe, Wein zu trinken.“ Die Weinwelt, sagt Wieser, habe ihm die Tür zur Gastronomie und Hotellerie geöffnet, ihm viele Begegnungen ermöglicht und die Erkenntnis gebracht, „dass ich gut mit Menschen umgehen kann“.
In St. Kassian in Badia/Abtei eröffneten seine Eltern 1964 das Hotel „Ciasa Salares“. Pauli Wieser und Hilda Pizzinini gelten als Pioniere des Tourismus.
Nach dem Abschluss der Handelsschule – „eine Hotelfachschule oder Universität habe ich nie eine besucht“ – steigt Robert Wieser mit seinen Geschwistern in den elterlichen Betrieb ein. Der ältere Bruder Stefan eröffnet im Keller des Salares das Restaurant „La Siriola“, das alsbald zum Sterne-Lokal avanciert. Die jüngere Schwester Monica übernimmt das Front- und Backoffice. Robert kümmert sich um den Food and Beverage-Bereich und die Instandhaltung des Hauses. Mit den Familiengründungen trennen sich die Wege des Wieser-Trios. Von 1990 bis 1993 führt Robert Wieser mit seiner damaligen Ehefrau Judith die Würzjochhütte, dann kehrt er ins Salares zurück, um 2004 die Leitung im Sporthotel Teresa in Pedraces/Pedratsches zu übernehmen, das der Schwester seines Vaters, Waltraud Pizzinini, gehört. „Ich hätte es gerne weitergeführt“, verrät Wieser. Doch 2008 veräußert seine Tante das Hotel. Mit dem Verkauf beginnt für Wieser eine neue Ära.
Die Krönung der eigenen Arbeit
„Mir gefällt es, einen Betrieb zu übernehmen, über den schlecht geredet wird.“ Wer Robert Wiesers Charakter und seine rezenten Etappen kennt, kann sein ungewöhnliches Geständnis nachvollziehen. 2009 tritt Robert Pichler an ihn heran. Der Alimco-CEO besitzt, gemeinsam mit dem Wirtschafts- und Finanzberater Heinz Peter Hager, das Gebäude am Bozner Musterplatz, in dem das Restaurant „Zur Kaiserkron“ untergebracht ist. Die Gespräche sind erfolgreich, im April 2010 sperrt das Lokal, das gerade keine guten Zeiten erlebt, unter neuer Führung auf – der von Robert Wieser. „Mit dem Kaiserkron war es wie mit jedem anderen Betrieb: Er kann nur funktionieren, wenn du selbst präsent bist. Die Leute kommen nur, wenn sie wissen, mit wem sie es zu tun haben.“ Dieser Überzeugung folgend macht sich Wieser mit unermüdlichem Einsatz daran, dem Kaiserkron wieder ein Gesicht und einen Namen zu verschaffen. Die Grillhähnchen, die Wieser auf einem Holzkohleofen zubereiten lässt, werden zum Renner. Auch das Weinsortiment, das er mit großer Sorgfalt aufbaut, lässt die Anzahl der Gäste und ihre Zufriedenheit steigen. „Die ersten zwei Jahre waren wirklich hart“, sagt Wieser. „Aber wissen Sie, wer mir die Kraft zum Weitermachen gegeben hat? Der Gast selbst.“ Für ihn sei es das Schönste, „wenn Gäste kommen, auch solche, die vielleicht einen schlechten Tag haben, und sich am Ende lächelnd, mit einem Kompliment und dem Versprechen, wiederzukommen, verabschieden“.
Vom Kaiserkron ins Mondschein
Neben dem seiner Gäste liegt Wieser genauso das Wohl seiner Mitarbeiter:innen am Herzen. Sich Zeit für sie nehmen, über Probleme sprechen, Empathie zeigen, Chancen bieten, sich weiterzuentwickeln – für den heute 55-Jährigen stand „das Menschliche schon immer ganz oben“. „Damit kannst du in einem Betrieb einen Unterschied machen“, ist er überzeugt. „Schließlich kommst du in unserem Job ohne Mitarbeiter:innen absolut nicht weiter. Deshalb musst du dafür sorgen, dass sie für dich und mit dir arbeiten.“
Mit ihm arbeiten ab 2015 auch Schwester Monica und ihr Mann, der sardische Spitzenkoch Claudio Melis, im Kaiserkron. Die beiden sind nach Stationen in Riad, Antigua und Dubai nach Südtirol zurückgekehrt. 2017 erkocht sich Melis im Restaurant „In Viaggio“, das er in den Räumlichkeiten am Musterplatz betreibt, seinen ersten Michelin-Stern. 2019 zieht „In Viaggio“ ins alte Gasthaus Mondschein im gleichnamigen Hotel in der Bozner Piavestraße. Daneben eröffnen Melis und seine Frau ein neues Restaurant und nennen es „Tree Brasserie“. Ab März ist auch Schwager Robert Wieser dort. „Nach zehn Jahren Kaiserkron war die Zeit für einen Wechsel gekommen“, erklärt er.
„Nach zehn Jahren Kaiserkron war die Zeit für einen Wechsel gekommen.“
Die Verlockung, ins Mondschein zu gehen, habe darin gelegen, erneut ein eingeschlafenes Lokal zu übernehmen: „In einem gut laufenden Betrieb gibt es weniger Gestaltungsmöglichkeiten. In Betrieben in schwierigen Situationen kannst du etwas Neues aufbauen – und nur so herausfinden, ob du in deiner Arbeit gut bist oder nicht.“ Ende März 2024 ist das „Tree Brasserie“ samt „In Viaggio“ übrigens ins Hotel Irma nach Meran umgesiedelt.
Robert Wieser hingegen führt die ständige Suche nach Herausforderungen und der Wille, sich selbst auf die Probe zu stellen, im Februar 2023 dorthin, wo er insgeheim schon immer hinwollte, wie er sagt: zurück zu seinen Wurzeln, in das einzige am Bozner Waltherplatz gelegene Hotel.
Mission Klimawandel
Das „Stadt Hotel Città“ gehört der Gemeinde Bozen. Von 2001 bis 2020 führte die Familie D’Onofrio das Haus samt Bar- und Restaurantbetrieb. Nach der Neuausschreibung der zwanzigjährigen Konzession bekommt 2021 die Podini AG im Tandem mit der Brauerei Forst den Zuschlag. Für 610.000 Euro Pacht im Jahr. Schon 2022 steigt Forst aus und überlässt den Podinis die alleinige Führung. Weil das Città trotz bester Lage am zentralen Platz in Bozen nicht in die Gänge kommen will, holt man Robert Wieser ins Boot. Das Potenzial des Hauses mit damals 78 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, unter denen viel Unstimmigkeit herrschte, sei ihm „bestens bewusst“ gewesen, sagt Wieser. Im Februar 2023 tritt er die Stelle als General Manager an – die Bezeichnung Hoteldirektor mag er nicht.
Das erste halbe Jahr verbringt Wieser damit, die Mitarbeitersituation zu stabilisieren, will die Personalfluktuation, die im Gastgewerbe besonders hoch ist, in den Griff kriegen, das Klima verbessern. Obwohl die Pächter darauf drängen, lehnt es Wieser ab, seinen Wechsel an die große Glocke zu hängen: „Das hätte mich nur zusätzlich unter Druck gesetzt. Ich wollte langsam starten, zunächst alles verstehen und nichts überstürzen.“
Die knapp 70 Mitarbeiter:innen haben ihm Anfang 2024 einen Moment beschert, der ihn zu Tränen gerührt hat.
Sechs Tage in der Woche ist er von morgens bis abends im Hotel, 13 bis 14 Stunden. Ist besonders viel zu tun, packt Wieser auch selbst an. Sein Einsatz fruchtet. Inzwischen führt er knapp 70 Mitarbeiter:innen. Die haben ihm Anfang 2024 einen Moment beschert, der ihn zu Tränen gerührt habe, berichtet Wieser: „Ich wurde ins Restaurant gerufen, wo angeblich etwas passiert war. Als ich ankam, stand das versammelte Team da, überreichte mir kleine Geschenke und einen Brief, in dem stand: ‚Wir danken dir, dass du diesen Ort zu einem Ort gemacht hast, an den wir gerne zum Arbeiten kommen.‘“
Das Rezept der Mama
In seinem zweiten halben Jahr im Città hat Robert Wieser vor allem die Bar und das kulinarische Angebot im Restaurant in Angriff genommen. Die gastronomische Konkurrenz im Zentrum von Bozen ist groß. Wiesers Ziel: dem Trend, den er in der Landeshauptstadt beobachtet – „billig, schnell und möglichst viel Absatz muss es sein“ –, entgegenwirken. In der Küche setzt er auf frische Zutaten hoher Qualität, viel Eigenproduktion und lokale Gerichte. Das hängt auch damit zusammen, dass nicht nur Gäste von auswärts, sondern vor allem Einheimische ins Città kommen sollen. Das sei ihm in jedem Betrieb, in dem er gearbeitet hat, „immer sehr wichtig gewesen“, sagt Wieser: „Es sind die Einheimischen, die deinen guten Namen weitergeben.“
Auf noch etwas legt er viel Wert: „Keinen Unterschied zwischen den Gästen zu machen: Alle werden gleich bedient, egal, ob jemand mit dem Porsche kommt oder mit einem 500er. Jede:r soll sich wohlfühlen und mit demselben Respekt behandelt werden.“ Das habe ihm Mutter Hilda beigebracht. Von ihr habe er auch die Passion und den Fleiß mit auf den Weg bekommen. „Meine Mama war sehr streng mit mir“, sagt Wieser liebevoll, „wahrscheinlich, weil sie lange vor mir wusste, dass mir der Job liegt.“
„Meine Leidenschaft, mein Leben ist die Arbeit.“
Auch wenn sich an seinem neuen Arbeitsplatz in einem Jahr „sehr viel getan“ habe, sieht Wieser „noch einen ziemlich weiten Weg“ vor sich. Die Weinkarte soll sein nächstes Projekt werden. Dafür setzt er vermehrt auf junge Südtiroler Winzer:innen. Für seine eigenen Kinder hat der zweifache Vater wenig Zeit, auch Partnerin Inge müsse oft auf ihn verzichten, sagt Wieser: „Natürlich steht die Familie an erster Stelle. Aber meine Leidenschaft, mein Leben ist die Arbeit.“ Und die will er noch lange machen. „Mein Anliegen ist, dass das Haus gut funktioniert und die Menschen, die für mich arbeiten, das mit Freude tun – denn das heißt, dass die Gäste zufrieden weggehen. Und ein zufriedener Gast bedeutet für mich, dass ich gewonnen habe.“ Als Endstation sieht Wieser das Città „sicher nicht“, meint er lachend: „Wenn ich hier fertig habe, weiß ich ganz genau, dass etwas anderes kommen wird.“
Lisa Maria Gasser
lm.gasser@hotmail.com
DIE AUTORIN ist freiberufliche Journalistin.