Perugia/Rom – Der Fall von Mario Cartasegna ist durch die italienischen Medien gegangen. Er selbst sagt von sich, zu seiner Rente gekommen zu sein wie einer, der in der Neujahrslotterie gewinnt. Völlig überrascht sei er gewesen. Ob das wirklich stimmt, weiß nur er.
Jedenfalls hat die Geschichte, die unlängst auch von „La Deriva“-Autor Gian Antonio Stella im Corriere della Sera aufgegriffen wurde, etwas Unglaubliches. Mario Cartasegna wird heuer 74, seit 2008 ist er in Pension und kassiert seither eine Rente, die das Doppelte von Barack Obamas Bezügen beträgt. Geboren 1941 im damaligen italienischen Postumia und heutigen slowenischen Postojna (1947 zu Jugoslawien geschlagen), kam Mario Cartasegna als Profifußballer nach Umbrien zum Hauptstadtverein Perugia. Damals konnte er noch nicht wissen, dass er in Perugia alt werden und das ganz große finanzielle Glück finden würde. Jedenfalls schaffte der Stürmer mit Perugia in der Saison 1966/67 den umjubelten Aufstieg in die Serie B. Er trug die prestigeträchtige Nummer 10.
In einem späteren Interview anlässlich des 100-jährigen Bestehens des Vereins erwähnte Cartasegna mehr oder weniger beiläufig, dass er während seiner fußballerischen Karriere meistens jener Spieler gewesen war, der mit der Vereinsführung die Prämien für sich und seine Mitspieler aushandelte. Es ist ein Nebensatz, der heute in einem völlig neuen Licht erscheint. Die Prämien verhandelte Cartasegna nämlich auch während seiner beruflichen Karriere als Gemeinde-Jurist offensichtlich äußerst geschickt. Zunächst bewältigte Cartasegna parallel zu seinem Fußballerleben ein Studium der Rechtswissenschaften. Während viele seiner Mannschaftskollegen auf der faulen Haut lagen, büffelte er. Der Lohn für den Fleiß war, dass die Gemeinde Perugia den nunmehrigen Juristen 1972 aufnahm. Er bekam eine unbefristete Anstellung mit Fixgehalt, so wie im Gemeindedienst üblich, aber zusätzlich verhandelte Cartasegna irgendwann auch Prämien für gewonnene Rechtsstreitigkeiten, ganz als wäre er als selbstständiger Rechtsanwalt mit eigener Kanzlei tätig. Die Gemeinde stimmte der Forderung zu. Gian Antonio Stella schreibt dazu süffisant: Wenn ein Gemeindejurist für gewonnene Streitfälle Prämien kassiert, dann ist das so, als würde ein Maurer für jeden gemauerten Ziegel eine Prämie erhalten, oder eine Telefonistin für jedes entgegengenommene Telefonat. Mit anderen Worten: Wie kann es sein, dass jemand für seine ureigenste Aufgabe Extras bezieht?
Allerdings war Cartasegna keineswegs der einzige Gemeindejurist mit einem solchen Vertrag. Zu jener Zeit klagten nämlich Bedienstete der Rechtsabteilung der Gemeinde Rom vor dem Verwaltungsgericht Latium und dann vor dem Staatsrat ein, dass solcherlei Prämien auch für die Rentenbemessung berücksichtigt werden müssen. Als Cartasegna davon Wind bekam, klagte er selbiges Privileg auch für sich vor dem Verwaltungsgericht Perugia ein. Es ist daher recht eigenartig, wenn Cartasegna später – als goldener Rentner ertappt – sagt: „Ich habe es nicht glauben können, als ich von der Höhe meiner Rente erfuhr. Bei der Gemeinde verdiente ich 10.000 bis 12.000 Euro monatlich. Wer hätte sich also ausmalen können, dass die Rente 24.000 Euro netto im Monat betragen würde? Ich bin zur Rente gekommen wie jemand, der den ersten Preis in der Neujahrslotterie gewinnt.“
Detail am Rande: Nach Cartasegnas Pensionierung 2008 begann ein Rechtsstreit, ob sich die unter Cartasegnas Ägide begonnenen, aber noch nicht abgeschlossenen Streitfälle nachträglich ebenfalls auf die Pensionsbemessung auswirken, falls sie für die Gemeinde gut ausgehen. Jedenfalls verfolgte Cartasegna „seine“ Fälle auch nach der Pensionierung weiter, so wie es laut seinen Aussagen von einem Gemeindedekret vorgesehen ist. Zu den Verhandlungen in Rom ließ er sich im Dienstwagen fahren. Das sei für die Gemeinde günstiger als die zeitraubende Zugfahrt samt Übernachtung, rechtfertigte sich Cartasegna. Aber das ist eine andere Geschichte.
Fakt ist: Cartasegna bezieht eine Jahresrente von 651.000 Euro brutto – oder 288.000 Euro netto. Pro Monat sind das ansehnliche 24.000 Euro netto. Gian Antonio Stella rechnet vor, dass das doppelt so viel sei wie das Präsidentengehalt von Barack Obama und dreimal so viel wie die Entlohnung für die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie den UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon. Laut Stella kam die Megarente zustande, weil Cartasegnas Gehalt zwischen 2004 und 2008 von etwa 200.000 Euro auf über eine Million explodiert sei, wohl durch gewonnene Rechtsstreitigkeiten. Und weil Cartasegna noch nicht in das beitragsbezogene Rentensystem fällt, sondern seine Rente an den letzten Jahreseinkommen bemessen wird, kommt eine goldene Rente heraus.
Stella hat keinen Zweifel: Der Fall Cartasegna sei mit seiner exemplarischen Abnormität ein Symbol, wie das verrückte System Italien Ungleichgewichte entstehen lässt, die in anderen Teilen der Welt unvorstellbar wären. Übrigens: Die Renten der römischen Juristen, die schon vor Cartasegna geklagt hatten, erreichen nur knapp ein Drittel von Cartasegnas Pension.(cp)