Seit einigen Jahren prasselt vor allem ein Begriff auf uns ein: Innovation. Er jagt durch den Äther, quillt aus Zeitungen und Magazinen, schmückt wirtschaftspolitische Reden, ist von den hochtrabenden Unternehmensphilosophien großer Konzerne in die Werbebotschaften lokaler Anbieter vorgedrungen und hat den Smalltalk am Rande gesellschaftlicher Ereignisse infiziert. Innovation ist immer und überall. Südtirol hat natürlich längst einen Landesrat für Innovation, der seltsamerweise nicht auch für Forschung zuständig ist (aber vielleicht verbirgt sich hinter diesem Rätsel ein innovativer Ansatz!), ein Innovationstisch wurde eingerichtet, um ein Innovationskonzept auszuarbeiten, unser Land wartet mit einem Innovationsfestival auf (27. bis 29. September) und im Süden von Bozen ist der „innovation park“ tätig, das TIS, das sich als „Zentrum und Impulsgeber für Innovation, Kooperation und Technologietransfer für alle Südtiroler Akteure des Innovationssystems“ versteht. Aber die Innovation als Anliegen und Lockmittel bewegt sich nicht bloß in den hohen Sphären volks- und betriebswirtschaftlicher Anliegen, sondern ist längst hinabgestiegen in die geliebten Niederungen des Alltags. Die Dame von Welt ist vom innovativen Nageldesign des neuen Studios in der Altstadt begeistert, in einer Anzeige wirbt ein Star-Friseur mit einem innovativen Haarschnitt, den er drauf hat, und auch die diesjährige Maturaprüfung konnte mit einer Innovation aufwarten: die Prüfungsthemen wurden nicht mehr von Staatsdienern in einem versiegelten Umschlag überbracht, sondern per Mausklick übermittelt.
Ich gestehe: Angesichts dieser bedeutungsschwangeren Vielfalt des Begriffs Innovation und seines geradezu hemmungslosen Einsatzes komme ich ins Stottern, wenn mich jemand fragt, was denn diese allgegenwärtige Innovation eigentlich ist. Deshalb sage ich immer: Im Wort Innovation steckt das lateinische Verb innovare (schließlich habe ich damals am Realgymnasium Latein gelernt!), was so viel wie erneuern bedeutet. Innovation heißt also, neue Wege zu gehen, Dinge ganz anders zu machen, Ideen umzusetzen, die etwas Neues bewirken, Erfindungen machen und sie in neue Produkte, Dienstleistungen oder Verfahren münden lassen. Innovationen oder innovative Ansätze gibt es in Managementdisziplinen wie der Produktion oder im Marketing und Vertrieb, auf Wissenschaftsfeldern wie der Medizin oder Biotechnologie, aber auch in der Kultur, die mit neuen künstlerischen Lösungswegen aufwartet.
Bezeichnend ist, dass heute jedermann alles als Innovation verkauft, wirkliche Innovationen aber oft lange nicht als solche erkannt werden. Ein Beispiel: Als 1881 in Berlin das erste Telefonbuch erschien, das die Namen der 96 stolzen Besitzer eines Fernsprechapparates enthielt, nannten es die Berliner das „Buch der 96 Narren“, die auf diesen amerikanischen Schwindel hereingefallen sind. Oder: Die ersten Eisenbahnen wurden ebenso als Teufelswerk abgelehnt wie die ersten Autos, und ich erinnere mich, wie zu Beginn meiner journalistischen Laufbahn ältere Kollegen es ablehnten, einen PC zu verwenden. Innovation setzt freies Denken und wenig Einschränkung voraus, was den ehemaligen deutschen Minister Jürgen Rüttgers zu der Feststellung veranlasst hat, dass Bill Gates in Deutschland allein deshalb gescheitert wäre, weil nach der dortigen Baunutzungsordnung eine Garage keine Fenster haben darf.
Als innovativ präsentieren sich heute alle, die irgendwie auf Neues setzen und damit punkten wollen. Wer nicht in diese Kategorie passt, der wechselt die Fahrbahn und ist nicht innovativ, sondern authentisch im Sinne von traditionsbewusst, ehrlich, unverfälscht, regional, stark verankert in Geschichte und Umfeld. Und was ist mit jenen, die weder innovativ noch authentisch sind? Ganz einfach: die sind arme Teufel im Ringen um Märkte und Kunden.
Am Beginn dieses Artikels stand eigentlich die Absicht, innovative Überlegungen anzustellen, solche, über die die Leserinnen und Leser Hurra schreien. „Das sind überdurchschnittlich gebildete Menschen, die nach vorne schauen und – hätten sie im Berlin der 1880er-Jahre gelebt – im Buch der 96 Narren gestanden hätten, die an das Telefon geglaubt haben“, dachte ich mir. Aber am Ende, als ich den Text durchlas, musste ich mir eingestehen: innovativ ist nichts an meinen gedanklichen Ergüssen. Aber ich war wieder authentisch, ein ehrlicher Beobachter des Zeitgeistes, der von Innovationen schwärmt, aber in Wirklichkeit keine Veränderungen will.
In meinem Scheitern, rationelle und innovative Überlegungen anzustellen, tröstet mich George Bernard Shaw. „Der vernünftige Mensch“, hat er einmal festgestellt, „passt sich der Welt an. Der unvernünftige Mensch besteht darauf, dass sich die Welt nach ihm zu richten hat. Deshalb hängt jeder Fortschritt vom unvernünftigen Menschen ab.“ Hurra!