SWZ: Dr. Linzmajer, es heißt, dass das Schmerzzentrum im Hirn eines Menschen auf Kreditkarten weniger stark reagiert als auf Münzen und Scheine – und dass demzufolge die Zahlungsbereitschaft eines Kunden steigt, wenn er Rechnungen mit Karte oder per Überweisung begleichen kann.
Marc Linzmajer: Man kann es ganz pragmatisch tatsächlich so zusammenfassen. Das liegt daran, dass die psychische Verbindung, wenn wir etwas hergeben, in unserem Hirn andere Bereiche aktiviert, als wenn wir mit Kreditkarte bezahlen, bei der der zu zahlende Betrag meistens erst Wochen später vom Konto abgebucht wird und beim Bezahlvorgang physisch kein Geld aus der Hand gegeben wird. Dazu kommt der Einfluss des Endowment-Effekts – also des Besitztumseffekts: Wenn ich etwas einkaufe und dafür direkt Geld transferiere, dann gebe ich ja dafür etwas her; bei der Kreditkarte ist dieser Ich-gebe-was-her-Effekt ganz stark abgeschwächt, weil das Geld physisch nicht so stark wahrgenommen wird.
Ähnlich soll es bei Preisangaben und Währungen sein: Wenn bei einer Preisangabe die Währungsangabe weggelassen wird, dann verbindet das Hirn die Zahl offenbar nicht mit einem Preis bzw. einem Bezahlvorgang.
Ich kenne keine neurowissenschaftliche Studie zu einem solchen Effekt. Allerdings würde ich vermuten, dass der Effekt ziemlich schwach ist, weil – wenn wir uns im „Einkaufsmodus“ befinden – eine Preisangabe sofort mit der Währung, in der wir bezahlen müssen, in Verbindung gebracht wird.
Woran liegt das?
Ein bisschen liegt es daran, dass wir als Konsumenten mittlerweile ganz, ganz stark auf Preis getrimmt sind, man denke etwa an die sogenannte Preisabwärtsspirale im Handel, an die Preiskämpfe. Wir kennen das, wenn wir heutzutage – etwa in den Tagen vor Weihnachten – beim Einzelhändler reingehen, und überall werden wir mit Discountpreisen, Preisreduktionen usw. erwartet. Deswegen ist unser Hirn schon sehr stark darauf ausgelegt, Preise und Preisreduktion zu sehen und zu verarbeiten –
und damit tagtäglich umzugehen.
Ist es dann so, dass wenn ein Kunde denkt, er hätte ein Schnäppchen gemacht, er sich besser fühlt, als wenn er für ein Produkt, eine Dienstleistung denselben Preis bezahlt, ohne dass ein Rabatt dafür ausgezeichnet ist?
Das ist eine ganz schwierige Frage. Neural ist sie so zu beantworten, dass ein Preisdiscount in erster Linie den mit der Preisverarbeitung assoziierten Preisschmerz reduziert. Physiologisch ausgedrückt: Es ist tatsächlich so, dass Sie weniger Schmerz empfinden, wenn Sie ein Schnäppchen machen. Was ein Preisnachlass aber zum Beispiel nicht erhöht – und das ist ganz spannend –, ist die Loyalität. Denn die Loyalität wird im Gehirn woanders verarbeitet.
Das bedeutet für Händler und Dienstleister?
Dass sie mit Discounts vielleicht mehr Umsatz machen, weil sie kurzfristig mehr Kunden anlocken, dass sie sich dadurch aber keine loyaleren Kunden schafft. Denn um positive Emotionen hervorzurufen, zum Beispiel eine Belohnungswirkung, braucht es eher eine besonders hohe Qualität oder eine starke Marke.
Nun haben Sie bereits einige wichtige Erkenntnisse des Neuropricing erklärt. Doch was ist dieses Neuropricing überhaupt?
Die Integration neurowissenschaftlicher Theorien, Methoden und Konzepte, aber auch Erkenntnisse in die betriebswirtschaftlich relevante Preisforschung. Es geht mir aber nicht darum, den „Kauf-Button“ im Gehirn zu finden – den es meiner Meinung nach ohnehin nicht gibt. Es geht uns darum, zum ersten Mal ein beschreibendes Modell dazu zu entwickeln, wie Menschen Preise wahrnehmen und was in ihrem Hirn geschieht, wenn sie Kaufentscheidungen treffen. Woran wir in den nächsten Jahrzehnten stärker arbeiten müssen, sind praktisch-normative Handlungsempfehlungen: Wie kann ein Unternehmen sein Management an diese Erkenntnisse anpassen?
Und seit wann gibt es diesen speziellen Wissenschaftsbereich?
Da muss ich etwas ausholen: Das, was wir vor allem mit der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) machen – den Kunden in den Kopf schauen, wenn sie eine Entscheidung treffen, die auf Preisen basiert – dieser Effekt, den wir dabei messen können, wurde 1992 entdeckt. Die ersten Studien im Bereich Consumer Neuroscience – also der Verbraucher-Neurowissenschaften bzw. der Integration allgemein neurowissenschaftlicher Methoden in die betriebswirtschaftliche Forschung – entstanden Anfang, Mitte der 2000er Jahre.
Was sind denn bisher die wichtigsten Erkenntnisse der Verbraucher-Neurowissenschaften? Zum einen wohl die Tatsache, dass das Hirn Schmerz empfindet, wenn eine Person Geld ausgibt?
Genau. Ich formuliere das aber neurowissenschaftlich immer vorsichtig: Wir sehen, wenn wir Preise wahrnehmen, Aktivierungsunterschiede in Bereichen des Hirns, die im neurowissenschaftlichen Schrifttum mit dem Schmerzempfinden assoziiert sind. Anders gesagt: Wir sehen Veränderungen in Bereichen, die auch aktiver sind, wenn Sie Ihre Hand in Eiswasser legen oder einen Stromschlag bekommen. Deswegen sprechen wir im übertragenen Sinne von Preisschmerz.
Gibt es weitere wichtige Erkenntnisse?
Es gibt viele spannende Einzelerkenntnisse. Zum Beispiel, dass eine starke Marke mit einer Belohnungswirkung im Gehirn einhergeht – wie bereits vorher angemerkt – und somit Marketingmaßnahmen offensichtlich die neurale Aktivität beim Menschen modulieren können.
Wenn man die Ergebnisse Ihrer Studien betrachtet, könnten Unternehmen weitestgehend auf Rabatte verzichten …
Diese Preisabwärtsspiralen sind meiner Meinung nach der falsche Weg. Denn durch ständige Rabatte für alle werden betriebswirtschaftlich viele Margen zerstört. Und auf der anderen Seite sehen wir bei unserer Neuro-Forschung, dass die Loyalität davon nicht positiv beeinflusst wird. Es kann natürlich sein, dass der eine oder andere Rabatt für einen bereits bestehenden Stammkunden sinnhaft ist, aber diese allgemeine Rabattpolitik – weil ich beispielsweise als Hotelier sage, ich muss mich an irgendwelchen Internetplattformen wie booking.com orientieren – kann gerade für private Hoteliers nicht vorteilhaft sein. Denn wir sehen ja gleichzeitig auch, dass starke Marken und hohe Qualität zu einer Belohnungswirkung führen. Wenn ich es schaffe, eine starke Marke aufzubauen, dann wird der Fokus auf den Preis schwächer.
Zum Beispiel?
Ich war mal in einem Hotel, da fand ich im Zimmer ein kleines Glas mit einem Goldfisch zum Füttern. Dabei stand „Herzlich willkommen! Hier eine kleine Erinnerung an Ihren Aufenthalt bei uns. Sie können den Goldfisch gerne mit nach Hause nehmen, aber gerne auch hier lassen …“ Das ist ein inspiratives Moment, für das sich das Management wirklich Gedanken gemacht hat, sich gefragt hat: Wie kann ich meine Kunden begeistern? So eine Inspiration lenkt den Fokus des Gastes, des Kunden vom Preis ab; ihm gefällt das Erlebnis und er freut sich deshalb schon auf das nächste Erlebnis bei dem Anbieter, sodass es ihm nichts ausmacht, dass die Nacht hier 20 Euro mehr kostet als bei einem vergleichbaren Hotel in der Nähe – und dass er trotz des höheren Preises auch wiederkommt.
Ist dieses Prinzip quer durch alle Branchen anwendbar?
Nein, es muss immer produktgruppenspezifisch betrachtet werden: Wenn ich zum Beispiel in einer Produktgruppe unterwegs bin, wo die Produkte sehr, sehr wenig kosten, wir sprechen dann von Fast Moving Consumer Goods, Güter des täglichen Bedarfs, ist das schwierig. Bei der Butter etwa, wo es technisch-funktional zahlreiche ähnliche Produkte gibt, sodass der Hersteller den Preiskampf mitgehen muss, um überhaupt noch Umsatz zu machen. Beim Elektronikeinzelhandel dagegen werden wir Konsumenten dazu trainiert, auf den Preiskampf einzusteigen – siehe auch den letzten Black Friday, der sowohl in den USA als auch in Europa wieder alle Rekorde gebrochen hat.
Gäbe es auch Möglichkeiten zum Gegensteuern?
Wir glauben, dass eine gute Verzahnung von Cross-Channel-Maßnahmen – also zwischen Online und Offline – in Zukunft eine Differenzierung am Markt schaffen könnte. Abheben könnte sich ein Anbieter auch, indem er statt eines Rabatts eine zusätzliche, tolle Dienstleistung bietet, die es bei anderen Händlern nicht gibt.
Grundsätzlich ist meine Botschaft: Rabatte können oft hilfreich sein, sind aber kein Allgemeinrezept – weil wir ja als Betriebswirte auf den Profit achten müssten und nicht nur auf den Umsatz.