Madrid/Brüssel – Zweimal jährlich tagt die Konferenz über Stabilität, wirtschaftspolitische Koordinierung und Steuerung (SWKS) in der EU. Den Vorsitz hat das Parlament der jeweiligen EU-Ratspräsidentschaft inne, momentan also Spanien. Vergangene Woche fand die für heuer zweite SWKS-Konferenz daher in Madrid statt.
Im Mittelpunkt der Konferenz stand der Wachstums- und Stabilitätspakt, der alle Regeln umfasst, nach denen sich die Mitgliedstaaten bei der Gestaltung ihrer Haushalte richten müssen. Teilgenommen hat auch der Südtiroler EU-Parlamentarier Herbert Dorfmann.
SWZ: Herr Dorfmann, vor wenigen Monaten hat die Europäische Kommission neue Regeln der Haushaltsgestaltung vorgelegt, die derzeit im Europäischen Parlament bearbeitet werden. Wieso?
Herbert Dorfmann: Diese neuen Regeln sind notwendig, weil der Wachstums- und Stabilitätspakt in den vergangenen Jahren aufgrund von Pandemie und Ukraine-Krieg ausgesetzt war. Diese Aussetzung läuft Ende des Jahres aus und es ist allgemein klar, dass wir nicht mehr zu den vorher geltenden Regeln zurückkehren können. Mit der Reform soll einerseits sichergestellt werden, dass die Staaten wieder zu einer Haushalts- und Schuldenkontrolle zurückkehren, andererseits soll das Wachstum nicht weiter gebremst werden. Bei der SWKS-Konferenz in Madrid wurde der neue Vorschlag nun mit Abgeordneten aus allen Mitgliedstaaten besprochen.
In erster Linie geht es darum, die Staaten nicht mehr zu einer jährlichen Haushaltsplanung zu verpflichten. Vielmehr sollen sie Haushaltsdefizit und Schuldenabbau über Zeiträume von vier bis sieben Jahren planen.
Welche waren die wichtigsten Punkte, die besprochen worden sind?
In erster Linie geht es darum, die Staaten nicht mehr zu einer jährlichen Haushaltsplanung zu verpflichten. Vielmehr sollen sie Haushaltsdefizit und Schuldenabbau über Zeiträume von vier bis sieben Jahren planen. So kann bei Bedarf mehr Geld ausgegeben werden, das dann im Laufe des Planungszeitraums wieder eingespart wird. So sind die Staaten flexibler, ohne dass sie allerdings das Endziel aus den Augen verlieren.
Dieses Ziel wird grundsätzlich weiter durch die Maastricht-Kriterien definiert. Die Neuverschuldung muss also weiterhin unter drei Prozent des BIP bleiben, und die Gesamtverschuldung sollte nicht mehr als 60 Prozent des BIP betragen.
Gerade von diesem zweiten Indikator sind einige Mitgliedstaaten, allen voran Italien, allerdings meilenweit entfernt, und die Situation hat sich in den letzten Jahren deutlich verschlechtert. Überhaupt haben wir einige Jahre hinter uns, in denen die Mitgliedstaaten jegliche Haushaltsdisziplin vergessen haben. Die Neuverschuldung war aufgrund des Wirtschaftseinbruchs während der Covid-Zeit deutlich höher als erlaubt und in vielen Staaten hat die Gesamtverschuldung zugenommen. Zudem hat der Wiederaufbaufonds der EU, in Italien PNRR genannt, für zusätzliche Liquidität gesorgt. Von dieser Zeit des recht sorglosen Umgangs mit Geld nun wieder zu mehr Haushaltsdisziplin zurückzukehren, ist natürlich nicht einfach. Ich glaube, dass vielen Bürgern der Eindruck vermittelt wurde, dass die Staaten genug Geld haben. Nun wieder sparsamer mit Geld umgehen zu müssen, wird für die Politik zum Problem. Darum hat sich auch die Debatte in Madrid gedreht.
Welche Positionen hat es auf der Konferenz gegeben?
Wie in den vergangenen Jahren wurde bei der Debatte über die Staatshaushalte erneut die Kluft zwischen südlichen und nördlichen Mitgliedstaaten deutlich. Vor allem Vertreter der Parlamente der Mittelmeerländer haben mehr Flexibilität und weniger Haushaltsdisziplin gefordert und diese Forderungen mit der Hoffnung verknüpft, dadurch Wachstum fördern zu können.
Die nördlichen Staaten, allen voran Deutschland, fürchten dagegen, dass eine solche Politik langfristig den Euro in Frage stellen könnte. Sie fordern eine deutlich strengere Disziplinierung der Mitgliedstaaten durch die Kommission.
Die südlichen Mitgliedstaaten, allen voran Italien, haben auch wieder die Forderung nach einer dauerhaften gemeinsamen Verschuldung der EU erhoben, wie dies erstmals mit dem Wiederaufbaufonds geschehen ist. Die Nordstaaten lehnen diesen Vorschlag vehement ab.
Allerdings muss man bedenken, dass derzeit eine Reihe von Sonderausgaben für die Mitgliedstaaten anfallen: von den Kosten des Ukraine-Krieges über die wahrscheinliche EU-Mitgliedschaft der Ukraine bis hin zu den Kosten des Green Deals. Es wäre deshalb durchaus sinnvoll, solche Ausgaben im Stabilitätspakt gesondert zu berücksichtigen und zumindest einen Teil davon durch eine gemeinsame europäische Verschuldung zu decken.
Worin war man sich einig, worin nicht?
Für mich war es interessant, mit Kolleginnen und Kollegen aus den nationalen Parlamenten der Union zu diskutieren und dabei zu sehen, wie unterschiedlich Debatten in den nationalen Parlamenten im Vergleich zu uns im EU-Parlament geführt werden. Einig war man sich jedenfalls, dass der Wachstums- und Stabilitätspakt neu zu definieren ist und der derzeitige Vorschlag dabei sehr hilfreich ist. Andererseits gab es auch vollkommen unterschiedliche Vorstellungen über die Haushaltsdisziplin – nicht nur zwischen den Mitgliedstaaten, sondern auch zwischen den Parteien. So fordern Vertreter von Mittelinksparteien und vieler südlicher Staaten mehr Flexibilität, weniger Disziplin und mehr Ausgaben, während die Staaten im Norden Europas und Mitterechtsparteien ein langfristiges, solides Wachstum unserer Volkswirtschaften nur für machbar halten, wenn es strikte gemeinsame Haushaltsregeln gibt.
Interview: Sabina Drescher