Bozen – Im August herrschte im Rhein wegen der Trockenheit Niedrigwasser. Frachtschiffe konnten, wenn überhaupt, nur noch mit 30 oder 50 statt 100 oder 150 Containern verkehren. Manche Unternehmen schlugen Alarm, weil ihnen die Rohstoffe ausgingen. Die Suche nach Alternativen blieb aber weitgehend ergebnislos. Dabei heißt es immer: Auf der Schiene gibt es noch Kapazitäten, und nur die oft gescholtene Frächterlobby verhindere deren häufigere Nutzung. Aber die Bahnverwaltung winkte nach Berichten deutscher Massenmedien ab: fehlendes rollendes Material, ausgebuchte Schienenwege, überlastete Terminals!
Das alles erinnert ein wenig an die Lage auf der Brennerstrecke. Zuletzt wurde an der Luegbrücke auf der österreichischen Seite der Brennerautobahn gearbeitet, so dass sie nur einspurig passierbar war (heute sollen die Arbeiten beendet werden). Erschwerend hinzu kommt, dass in der Nähe von Rosenheim gleichzeitig (!) Arbeiten an der Bahnstrecke durchgeführt wurden. Absprache zwischen Asfinag und DB? Fehlanzeige. Das ist aber nur ein Vorgeschmack auf das, was kommen wird. Ab Jänner 2025 soll die genannte Brücke vollkommen erneuert werden. Dauer der Arbeiten: mindestens zwei Jahre. Was das bedeutet, ist angesichts der bereits jetzt stark ausgelasteten und zeitweise überlasteten Autobahn leicht auszumalen, zumal wahrscheinlich keine Aussetzung des Nachtfahrverbotes für Lkws erwogen wird.
Rasch wird es die Bahn nicht richten
Eine Chance für die Bahn? Martin Ausserdorfer, CEO der im Warenverkehr auf der Schiene tätigen Rail Traction Company, ist ein Verfechter der Warentransporte auf der Schiene, aber skeptisch, was die nächste Zukunft betrifft. „Rasch wird es keine Verbesserung der Situation geben“, sagt er. Die RTC habe zuletzt Umsatzeinbußen von über fünf Prozent hinnehmen müssen, einerseits, weil in der deutschen Industrie Sand im Getriebe ist und die Nachfrage nach Transportleistungen allgemein leicht zurückgegangen ist, anderseits aber auch aufgrund der Tatsache, dass der Preis von elektrischem Strom weit stärker angestiegen ist als jener von Diesel, was den Bahntransport gegenüber der Straße teurer macht. „Langfristig kann die Schiene zur Lösung unserer Transportprobleme beitragen, aber kurz- und mittelfristig ist sie dazu nicht in der Lage“, sagt Ausserdorfer und erklärt, warum dies so ist.
Der Personenverkehr hat auf der Strecke Zürich-Mailand durch den Gotthardtunnel deutlich zugenommen. Die Warenbeförderung entwickelt sich nicht wie erhofft.
Da sind einmal die Schienenwege. Der Brenner mit seinen starken Steigungen ist ein Hindernis, denn die Züge können mit deutlich weniger Waggons verkehren als im Flachland und müssen von zwei oder gar drei Lokomotiven gezogen werden. Der Brennerbasistunnel, mit dem dies anders wird, dürfte frühestens 2031 betriebsbereit sein. Mit den Zulaufstrecken, die ursprünglich zeitgleich zur Verfügung stehen sollten, schaut es noch düsterer aus. Südlich von Bozen sind manche Teilstrecken noch nicht einmal in die Bauleitpläne eingetragen. Wenigstens mit den Umfahrungen von Bozen und Trient scheint es weiterzugehen. Und aus Bayern wird verlautbart, dass die Strecke von München bis zur österreichischen Grenze nicht vor 2040 ausgebaut sein wird. Nur Österreich ist nicht säumig. Engpässe gibt es aber auch weiter im Norden, insbesondere im Rheintal als Zubringer zum Gotthard-Basistunnel. Die Deutsche Bahn investiert zwar derzeit stark in den Streckenausbau, aber das bedeutet in den nächsten Jahren Behinderungen, und es wird viele Jahre dauern, bis die Gleisinfrastruktur so ist, dass neue Kapazitäten zur Verfügung stehen.
Die für Hochgeschwindigkeitszüge konzipierten Strecken haben sich im gemischten Betrieb als problematisch erwiesen. Personen- und Güterzüge auf einer Linie weisen eine schwierige Koexistenz auf. „Der Gotthardtunnel sollte es möglich machen, die Strecke Zürich-Mailand in drei Stunden zu bewältigen. Das bedeutet aber, dass die viel langsameren Güterzüge häufig in die Warteschleife müssen, was die Kapazität mindert,“ sagt Thomas Baumgartner, der Präsident des italienischen Frächterverbandes Anita. Tatsächlich hat der Personenverkehr auf dieser Strecke seit der Eröffnung des Basistunnels deutlich zugenommen, während sich die Warenbeförderung nicht wie erhofft entwickelt.
BIP-Wachstum heißt Verkehrszunahme
Baumgartner rechnet vor, dass ein Wirtschaftswachstum von einem Prozent in den letzten Jahren immer zu einer Zunahme des Warenverkehrs um mindestens zwei Prozent geführt hat. Die Bahn, so sagt er, wird irgendwann nach 2030 nach und nach höchstens jene Transportmengen übernehmen können, die sich bis dahin an Zuwachs ergeben. Das heißt im Umkehrschluss: „Der Straßentransport wird nicht weniger!“
„Zu kompliziert, zu unflexibel, zu bürokratisch, zu wenig koordiniert, nicht effizient“, arbeiten die Bahnverwaltungen, sagt Martin Ausserdorfer.
Sowohl Baumgartner als auch Ausserdorfer verweisen darauf, dass es mit dem Ausbau der Bahnlinien nicht getan ist. Die bestehenden Terminals, sagen sie, seien hoffnungslos überfordert. Aber diesbezüglich geht seit Jahren wenig weiter, so wenig, dass die im kombinierten Verkehr tätige Schweizer Gesellschaft Hupac in Norditalien Terminals eingerichtet hat, um Warentransporte auf die Schiene zu bringen. Auch auf der Brennerstrecke gibt es Engpässe. Der Quadrante Europa in Verona hat seine Kapazitätsgrenze überschritten, und der Terminal Intermodale Interbrennero nördlich von Trient ist relativ klein.
Warten auf Terminal Isola della Scala
Einer, der in die Zukunft gedacht hat, war Ferdinand Willeit. Die Brennerautobahn-Gesellschaft, die indirekt Mehrheitseigentümerin der Rail Traction Company ist, hat bereits 1996 in der Zeit seiner Präsidentschaft in Isola della Scala südlich von Verona 70 Hektar Grund erworben, um Einrichtungen für den Warenaustauch zwischen Schiene und Straße zu schaffen. Seither steht alles still, zumal die Finanzierung aus den Überschüssen der Autobahngesellschaft erfolgen sollte. Die ständigen Verzögerungen bei der Konzessionsvergabe zur Führung der Autobahn haben auch das Vorhaben zum Bau dieses wichtigen Umschlagebahnhofs lahmgelegt. Handelskammerpräsident Michl Ebner hat im April 2019 den damaligen Präsidenten der Region, Arno Kompatscher, darauf hingewiesen, wie wichtig die Verwirklichung dieses Projektes sei, da nur so „eine Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene möglich wird“ und ohne diesen Verladebahnhof „sich auch der Nutzen des Brennerbasistunnels stark einschränken“ würde. Es sollte kein Konzessionsvertrag unterzeichnet werden, der das Vorhaben Isola della Scala nicht beinhaltet.
Übrigens: Terminals fehlen nicht nur in Italien, sondern auch in Deutschland.
Warum braucht es zwei Lokomotivführer in der Kabine?
Trotz aller Schwachpunkte der Bahn: Für Martin Ausserdorfer gehört ihr die Zukunft. Derzeit verzweifelt er jedoch zuweilen an ihr. „Zu kompliziert, zu unflexibel, zu bürokratisch, zu wenig koordiniert, nicht effizient“, arbeiteten die Bahnverwaltungen. Als Beispiel nennt er unter anderem die Tatsache, dass in Italien immer noch zwei Lokomotivführer in der Kabine sitzen müssen, in einer Zeit, in der sich die Technik parallel zu selbstfahrenden Autos auf selbstfahrende Züge vorbereitet. Oder: In allen Staaten gibt es eigene Regulatorien, so dass an den Grenzen die Lokführer ausgetauscht werden müssen, und es braucht drei verschiedene Softwareversionen, um einen Zug grenzüberschreitend einsetzen zu können. Dies und die hohen Gebühren für die Benutzung der Strecken machen Bahntransporte teuer.
Resümee: Der Brennerbasistunnel wird es möglich machen, die Strecke mit 750 Meter langen Güterzügen zu nutzen, die 2.200 statt 1.500 Tonnen transportieren können. Aber diese teure Einrichtung kann ihre Stärken nur dann ausspielen, wenn für die Begleitmusik gesorgt wird und die gesamte notwendige Infrastruktur entsteht – einschließlich einer entscheidenden Verbesserung des Managements bei der Bahn.